Keine pannonischen Bananen

Skandale rund um Lebensmittel machen Konsumenten das Leben schwer. Auch die Bioindustrie steht am Pranger. Wo bleiben da der Genuss und die Lust am Essen und Einkaufen? Auf einem »Markt der Erde« könnte man wieder fündig werden.

Mitte Mai, irgendwo im Burgenland bei einem Ausflug an den Neusiedlersee. Die ersten warmen Tage machen Lust auf saftiges Obst. Obststände am Straßenrand bieten Erdbeeren, Marillen und Kirschen aus der Region feil. Sind Marillen und Kirschen jetzt schon reif? Und wenn ja, wächst dieses Obst im Burgenland? Wie kann man sicher sein, dass die Obstfrau wirklich heimisches und saisonales Obst aus der Region verkauft? Ein ansässiger Agrarlandesrat formulierte es kürzlich so: »Es werden uns bald burgenländische Bananen verkauft werden.« Die Konsumenten müssen sensibilisiert werden, aber auch die Produzenten haben eine Bringschuld. Er plädiert für Chargennummern, mit denen man rückverfolgen kann, wann und von welchem Bauern Obst und Gemüse geerntet wurde. Ein einfacherer und sicherer Weg führt ein paar Kilometer weiter nach Parndorf. Versteckt in einer Seitenstraße befindet sich der einzige Markt der Erde in Österreich und im gesamten deutschsprachigen Raum.

Der Konsument als Koproduzent

Märkte der Erde, Earth Markets oder Mercati della Terra sind eine weltweite Initiative der in Italien gegründeten Slow Food-Bewegung. Carlo Petrini, der den gemeinnützigen und inzwischen weltweit agierenden Slow Food-Verein 1989 ins Leben rief, wünscht sich besser informierte Verbraucher, die mit mehr Bewusstsein einkaufen und essen: »Wir müssen den Status des Konsumenten verlassen und zu Koproduzenten jener Menschen werden, die unser Essen anbauen. Also der Bauern.« Aus diesem Gedankengut entstand 2005 eines der ehrgeizigsten Projekte von Slow Food – die Einrichtung eines Netzwerks von Orten, an denen Lebensmittelprodukte durch die Bauern und lokale handwerkliche Erzeuger selbst vorgestellt und verkauft werden.

Kurze Vertriebswege, lokale Wirtschaft, Saisonbezug und Geschmacksschulung sind die Stichworte für diese einzigartigen Märkte, von denen es derzeit weltweit 29 gibt. Etabliert im Ursprungsland Italien (20 Märkte), entstanden sie – teils zum Aufbau der Nahversorgung – darüber hinaus in Bulgarien (1), Rumänien (1), der Türkei (1), in den USA und sogar im Libanon (2) und in Israel (1). Für Kerstin Rohrer, Leiterin der regionalen Slow Food Burgenland-Gruppierung – im Fachjargon Convivien genannt – motivieren Earth Markets die regionalen bäuerlichen Kleinstproduzenten zum Verkauf in der Region: »Es ist eine Win-Win-Situation für Produzenten und Konsumenten. Die Produzenten haben den Vorteil, ihre Produkte vor der Haustüre abzusetzen, gleichzeitig kann damit die Wertschätzung der lokalen Bevölkerung für traditionelle Lebensmittel gefördert werden.«

Von der Idee bis zur Eröffnung des Parndorfer Marktes Ende August 2010 dauerte es dank der Initiative der vor Ort ansässigen Ziegenkäse-Erzeugerin Monika Liehl nur knappe vier Monate. Die ausgestiegene Ex-Finanzberaterin suchte nach einer Möglichkeit, ihren Ziegenkäse direkt zu vermarkten: »Zufällig habe ich dabei von Convivien Slow Food Burgenland erfahren und bei unseren Treffen hat sich herausgestellt, dass es in der Umgebung einige solcher Produzenten wie mich gibt und gleichzeitig viele Verbraucher, die es mühsam fanden, von Hof zu Hof fahren zu müssen, um ihre Einkäufe zu erledigen.«

Steppenrind und Mangalitzaschwein

Ein Markt der Erde-Aussteller und seine qualitativ hochwertigen Produkte müssen die Kriterien der Slow Food-Stiftung für Biodiversität erfüllen, die zwar wesentlich strenger sind als für reguläre Wochenmärkte, aber nicht ganz so rigorose Anforderungen stellen wie Bio. »Slow Food ist keine Zertifizierungsorganisation und schließt per se keinen Produzenten aus. Das Netzwerk der Earth Markets zieht sich bis nach Asien und im Vergleich zu Österreich ist es dort relativ schwierig und teuer, seine Produkte biozertifizieren zu lassen«, begründet Rohrer die tolerante Einstellung. Auch für Carlo Petrini ist bewusster Konsum nicht ausschließlich Bio, aber eine respektable und geschätzte Option. Wichtiger sind ihm aber der direkte Bezug zum Erzeuger und die Stärkung der lokalen Wirtschaft. Beide Ziele werden in Parndorf verwirklicht.

Jeden ersten Samstag im Monat kommen dieselben rund 15 Familienbetriebe, darunter auch einige zertifizierte Biolandwirte, aus ein einem Umkreis von höchstens 40 Kilometer Entfernung zusammen und präsentieren je nach Saison ihre Lebensmittel – erntefrisches Obst und Gemüse, Eier, Milchprodukte, Brot, Fleisch und Wurst vom Steppenrind, Mangalitzaschwein, Lamm oder Wild, Marmeladen, Honig, Schaf- und Ziegenkäse, Fruchtsäfte, Liköre und vieles mehr. In einem umgebauten Stadel plus Sitzgarten, auf Privatgrund kostenlos zur Verfügung gestellt, holen sich Neugierige über Produkte und deren handwerkliche Herstellungsweisen gleich vom Erzeuger selbst die Informationen.

Während interessierte Konsumenten an der Weinbar oder beim Genuss einer Köstlichkeit aus der Schauküche ihr Wissen bereichern können, kann im Kontakt mit den Herstellern das in jüngster Vergangenheit hart auf die Probe gestellte Vertrauen in Lebensmittel wieder zurückkehren. Alles, was auf diesem Markt angeboten wird, muss aus der Region stammen. Eine Ausnahme macht man für Gastproduzenten, die alte, fast vergessene Spezialitäten wieder in Erinnerung rufen, wie z.B. das oststeirische Kraut aus der Grube. Für alle Produkte gilt, dass sie handwerklich, traditionell und ökologisch verträglich hergestellt werden. Überprüft wird dies durch italienische Slow Food-Repräsentanten, die vor dem Marktauftritt eines Produzenten seinen Hof besuchen. Später wachen dann Produzenten, Organisatoren, Slow Food Burgenland und die Gemeinde im Marktkomitee darüber, dass schwarze Schafe keine Chance haben. Zudem achtet man auf den nachhaltigen Umgang mit Müll, Energie und Verpackung. Wiederverwendbare Glasflaschen für Joghurt und die generelle Vermeidung von Plastikverpackung sind daher Alltag in Parndorf.

Innerhalb des internationalen Earth Markets-Netzwerk stellt die Organisationsform des burgenländischen Markt der Erde allerdings eher die Ausnahme dar. Der Marktstandort befindet sich zumeist auf öffentlichem Boden, die langwierige Suche nach einem passenden Standort, Genehmigungen und Finanzierung machen eine private Lösung meist ungleich schwieriger. Deswegen ist im eigentlich so begünstigten, weil kleinstrukturierten landwirtschaftlichen Österreich gerade erst der zweite Markt der Erde im Weinviertel im Entstehen. Aber, mit den Worten Carlo Petrinis ausgedrückt, es braucht nicht unbedingt mehr Märkte der Erde, sondern mehr Menschen, die sich für eine bewusste Art des Konsums von natürlichen Lebensmitteln einsetzen – sie sollen gut schmecken, möglichst umweltverträglich hergestellt sein und zu einem fairen Preis verkauft werden.

TEXT Christa Grünberg

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