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Handwerklich gebrautes Bier sorgt in den USA, dem Ausgangsort der Craft-Bier-Revolution, seit Jahren für Rekorde. Ein Blick über den großen Teich, ins Craft Beer Wonderland.
Mitte April, Portland, Oregon: Mehr als 11.500 professionell Bierbegeisterte versammeln sich bei der 32. Ausgabe der Craft Brewers Conference. Für die Veranstalter, die Brewers Association – ein Branchenverband der kleinen unabhängigen Brauer – Zeit für Jubelmeldungen: Die Absatzmengen für Craft Bier sind in den USA 2014 um weitere 18 % gestiegen. Ihr Anteil am gesamten amerikanischen Biermarkt, der selbst um 0,5 % gewachsen ist, liegt bei 11 %, in Umsatzzahlen gerechnet mit 19,6 Milliarden US-Dollar sogar bei über 19 %, berichtet Bart Watson, Chefökonom der Brewers Association. Dass Craft Bier in den USA einen großen Stellenwert hat, erkennen vor Ort selbst Biertrinker, die üblicherweise nur zwischen Seidl oder Krügerl unterscheiden: im Supermarkt Kühlschrankreihen voller Bierspezialitäten, gefühlt in jedem zweiten Ort eine Micro Brewery, dazu Brew Pubs und Biergärten als angesagte Ausgehorte und sogar die einfache Bar nebenan hat eine Handvoll regionaler, handwerklich gebrauter Biere im Angebot.
Dabei war der amerikanische Biermarkt lange Zeit von einigen wenigen Konzernen geprägt. Nach der Aufhebung des landesweiten Alkoholverbots im Jahr 1933 begannen zwar auch viele kleine Betriebe zu brauen, doch die großen nutzten ihren Kostenvorteil, der auf Grund der damaligen schlechten Wirtschaftslage noch stärker wog, und verdrängten viele andere rasch wieder aus dem Markt. Von mehr als 750 direkt nach der Prohibition ging die Anzahl der Brauereien stetig zurück, um Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre schließlich bei einem Tief von unter 90 (manche Quellen sprechen sogar von noch weniger) Braubetrieben in den gesamten USA anzugelangen. Mittlerweile steuert die Anzahl der Brauereien wieder Richtung jener Werte, die die Brewers Association für das 19. Jahrhundert dokumentiert hat: 4000 und mehr.
Gegenpol zur Geschmacksnivellierung
Doch wie kam es zu dieser Trendwende? Was war Ausgangspunkt der „Craft Beer Revolution“, die Steve Hindy, als Mitbegründer der Brooklyn Brewery (gegründet 1987 in New York) selbst ein Urgestein der Szene, im gleichnamigen Buch beschreibt? Zieht man das seit 1980 aktive kalifornische Unternehmen Sierra Nevada und dessen Pale Ale als einen der ersten Craft-Bier-Meilensteine heran, so standen am Anfang ein paar Homebrewing-Experimente und das Interesse an Bieren, die sich wieder mehr Ausdruck, Intensität und Vielfalt erlaubten. Als Gegenpol zur mit der Konzentration des Marktes einhergehenden Geschmacksnivellierung bei industriell gefertigten Bieren, wenn man so will. Wesentliches Element war (und ist) dabei der selbstbewusste Einsatz von Hopfen, den Sierra-Nevada-Gründer Ken Grossman mit seinem Pale Ale und dessen tragendem Gleichgewicht aus Bittere, Zitrus- und Pinienaromen auf ein neues Niveau gehievt hat. Für zahlreiche nachfolgende Brauer wohl das Erweckungserlebnis in Sachen Craft Bier.
Sierra Nevadas aus altem Molkerei-Equipment und rostfreiem Stahl vom Schrottplatz zusammengebastelte erste Brauanlage aus den frühen 80er-Jahren ist längst ausrangiert und Gross-mans Unternehmen hat sich seitdem – zu einem nicht unwesentlichen Teil dank Mundpropaganda – in die Top Ten des amerikanischen Biermarkts hochgebraut – bei einem Vorjahres-Output von einer Million Fass. Mit landesweitem Vertrieb und Export in viele Teile der Welt steht die immer noch in Familienbesitz befindliche Brauerei für die etablierte erste Generation amerikanischer Craft Brauer, die den aktuellen Boom vorbereitet hat.
1,5 neue Brauereien pro Tag
Getragen wird dieser Boom in seiner Breite jedoch von den vielen Start-ups der vergangenen Jahre. Aktuell eröffnen pro Tag 1,5 Brauereien, sagt die Statistik – und zwar vor allem so genannte Micro Breweries und Brew Pubs. Portland, der Austragungsort der Craft Brewers Conference, liegt mit 58 Brauereien (es sind sogar 83, wenn man die gesamte Metropolregion berücksichtigt) ganz vorne unter den US-amerikanischen Städten und wird auch gerne als „Beervana“ touristisch vermarktet. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Stadt im pazifischen Nordwesten über guten Zugang zu hochwertigen Rohstoffen verfügt. So liegt der Bundesstaat Oregon etwa, was den Hopfenanbau betrifft, auf Patz zwei in den USA – nicht unbedeutend in Zeiten, in denen die große Nachfrage bereits zu Engpässen und Preissteigerungen geführt hat. Zum anderen bringen die jungen, urbanen Bevölkerungsschichten, die Portland den Titel „Hauptstadt der Hipster“ beschert haben, die passenden Interessen mit: Schlagworte wie lokal, hochwertig und handgemacht definieren ihre Vorlieben in Sachen Lebensmittel und Ernährung und sind Anknüpfungspunkte zwischen Foodie-Hype und Craft-Bier-Bewegung.
Aber nicht nur in urbanen Räumen ist Craft Bier bestens vertreten: Fast drei Viertel der Amerikaner lebt nicht weiter als zehn Meilen (16 km) von einer Brauerei entfernt, so Bart Watson. Der Trend zum unabhängigen, lokal gebrauten Bier gehe dabei nicht nur auf Kosten der Braukonzerne, sondern auch auf jene von Wein- und Spirituosen-Herstellern, also einem höherpreisigen Segment. Stimmig in diesem Zusammenhang: Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Nielsen verfügt ein Großteil der Craft-Bier-Trinker über ein überdurchschnittlich hohes Jahreseinkommen von 75.000 US-Dollar oder mehr.
Nicht bloß eine Modeerscheinung
Auch Braukonzerne wie Anheuser-Busch InBev oder SAB Miller sind, nachdem sie den Trend anfangs verschlafen haben, mittlerweile aktiv, kaufen sich bei etablierten Craft Brauereien ein oder brauen selbst Biere mit mehr Charakter. Steve Hindy: „Sie hielten das Ganze lange einfach für eine Modeerscheinung.“ Dass sie die Entwicklung nicht mehr ganz so entspannt sehen – vor allem bei der jungen Zielgruppe schwinden ihre Umsätze –, beweist ein TV-Spot von Budweiser (siehe unten), der Anfang des Jahres ausgestrahlt wurde und sich mit chauvinistischem Unterton über Craft Bier und dessen Konsumenten lustig machte. Kein Zeichen von Größe. Die Bemühungen der Marktgiganten, ins Craft-Bier-Segment vorzudringen, ließ das viele noch ablehnender sehen. Nicht ein Interesse an Qualität und Vielfalt, stünde hinter diesen Versuchen, so Stephen Laborde, Geschäftsführer des Bierspezialitäten-Lokals The Trappist in Oakland bei San Francisco, sondern reine Gier: „Jeder Dollar, der für Craft Bier ausgegeben wird, ist ein Dollar, der nicht für Industriebier ausgegeben wird – das lässt die Großen nachts nicht ruhig schlafen.“
https://www.youtube.com/watch?v=siHU_9ec94c
Und wie kann es in Sachen Craft Bier in den USA weitergehen? Branchenökonom Watson hält mit Verweis auf hochwertige Produkte in Segmenten wie Kaffee oder Wein einen Markanteil von 30 bis 40% für möglich. Auch Josef Sigl von der österreichischen Trumer Privatbrauerei, die seit mehr als zehn Jahren in Lizenz-Partnerschaft mit einem amerikanischen Unternehmen in Kalifornien brauen lässt, sieht den Höhepunkt noch nicht erreicht: „Aber es werden voraussichtlich mehr und mehr Übernahmen stattfinden. Dann wird die Unterscheidung zwischen ‚real‘ und ‚fake‘ Craft zusehends schwieriger. Das könnte der Bewegung natürlich etwas an Romantik nehmen.“
Aktuelle Infos und umfangreiche Statistiken über den amerikanischen Craft-Bier-Markt sind unter www.brewersassociation.org zu finden.
Was ist eine Craft Brauerei?
Die Brewers Association definiert den Begriff für den US-amerikanischen Markt anhand dreier Kriterien.
Klein: Die jährliche Produktion einer Craft Brauerei liegt unter sechs Millionen Fass. Das entspricht ca. 3 % des US-Biermarkts.
Unabhängig: Nicht mehr als 25 % der Brauerei sind im Besitz eines Industriegiganten oder werden von einem solchen kontrolliert.
Traditionell: Das Brauprodukt entsteht zu großen Teilen unter Einsatz traditioneller oder innovativer Zutaten und Fermentationsmethoden.