Zu viel zu fairteilen

Dumpstern: Wie funktioniert Lebensmittelrettung, wo kann man mitmachen? Ein Update zu Wien.

Lebensmittelrettung mit dem Fahrrad
Ein ganz normaler Samsag für David und die Robin Foods: Aussortierte Lebensmittel werden mit dem Fahrrad vor ihrer letzten Ruhestätte, dem Müll, gerettet und fairteilt. Bild: Robin Foods.

»Ich habe nicht den Eindruck, dass sich in den Supermärkten viel am Umgang mit oder Zugang zu Lebensmittelresten geändert hat«, sagt David Sonnenbaum auf die Frage, ob das mit dem Dumpstern überhaupt noch notwendig wäre, wenn der Lebensmittelhandel doch die aussortierte Ware mittlerweile auf Nachfrage oft einfach ausgibt oder an Tafeln und Sozialmärkte verteilt.

Seit acht Jahren ist er Lebensmittelretter, Dumpster Diver hat man dazu auch einmal gesagt. Begonnen hat alles beim TüWi (ein Wiener Kulturverein, der in den Räumlichkeiten des ehemaligen Gasthaus Türkenwirt beheimatet war). Dort wurde ein Mal monatlich und mit geretteten Lebensmitteln gekocht, mitessen konnte, wer wollte. Das Gebäude, in dem der Türkenwirt beheimatet war, wurde abgerissen, von der nahe gelegenen Universität für Bodenkultur neu errichtet und der Verein TüWi und seine Küche durften bleiben.

Dieses System, bei dem die gesammelten, aus Mülltonnen ertauchten oder geschenkten Lebensmittel verarbeitet oder unverarbeitet gratis weitergegeben werden, wird heute noch »Volxküche« genannt. Damit bleibt ein ideeller größerer Kontext klar, wer hier Zeit und Energie investiert, dem geht es nicht um die Gratismahlzeit. David hat inzwischen »Robin Foods« gegründet, eine Initiative, die sich der Vernetzung aller, die etwas zur Rettung von Foodwaste beitragen wollen, verschrieben hat.

» Bei einer Tour holen wir derzeit zwischen 700 Kilogramm und einer Tonne Lebensmittel. Wir könnten das jeden Tag machen. «

David von Robin Foods

Die funktioniert vor allem durch Chatgruppen, für die man sich über die Website anmeldet. Diese Vernetzung hat zu Dumpstertouren mit wachsendem Radius und wachsender Beute geführt und erleichtert es nun jemandem, die oder der in Wien von einem Lebensmittel viel zu viel hat, es mit Unbekannten zu teilen – Robin Foods holen es ab und kümmern sich.

Lebensmittelrettung mit dem Rad
Stark beladene Anhänger voll mit noch genießbaren Lebensmitteln werden von Robin Foods mit dem Rad quer durch Wien transportiert. Bild: Robin Foods.

Für Lebensmittelrettungstouren kann man sich auf der Plattform foodsharing.at registrieren, man bekommt einen Ausweis und Information in Form eines Ratgebers zur Weitergabe von Lebensmitteln (u. A. Hygiene). So hat das auch David gemacht. »Man bekommt eine Art Ausweis und Zugang zu einer Übersicht der teilnehmenden Betriebe. Über einen Kalender kann ich mich dann für einen Abholslot eintragen.« Abhängig davon, was grade in der Nähe ist und wo einem ein Haufen genießbarer Lebensmittel entgegenlächelt, probieren es die Leute von Robin Foods aber auch immer wieder auf gut Glück bei Geschäften, die hier (noch) nicht teilnehmen.

Dumpstern bedeutet auch reden

Auf seinen Touren ist David mitunter mit Leuten unterwegs, die das schon zehn Jahre länger machen. Die relevanteste Veränderung, die er wahrgenommen hat, sei, dass der Handel seine Müllräume besser sichere. »Dass die jetzt vorzugsweise mit Magnetschlüsseln versperrt sind, zeigt schon, wo der Fokus liegt.« Die Bedenken in Haftungsfragen, die der Handel gern als Grund dafür angibt, hält David »ein bisschen für eine Ausrede«. Manche Filialleitungen würden zeigen, dass es mit ein bisschen gutem Willen auch ganz anders geht: »Vor Ort ist es spannend. Es gibt aggressive Filialleitungen, die die Wege versperren und uns mit der Polizei drohen. Es wird dann aber selten wirklich versucht, denn die Polizei ist einfach nicht dafür zuständig, uns davon abzuhalten, aus zugänglichen weggeworfenen Lebensmitteln noch was Sinnvolles zu machen, und das ist inzwischen auch in manche Köpfe gesickert.« Im Übrigen ergebe das direkte Gespräch oft schnell angenehme Lösungen für alle Beteiligten: »Es gibt Filialen, die lassen die Gemüselager offen, damit wir Sachen abholen können. Bei Hofer war zuletzt zufällig die Regionalleitung da, als wir zum Dumpstern vorbeigekommen sind. Nach einem schwierigen Start hat man uns nach kurzem Gespräch einfach aussortierte Ware mitnehmen lassen.«

Außerdem gebe es ganze Supermarktketten, die Verantwortung übernommen hätten, indem sie in ihren Filialen »Food-Sharing-Regale« aufstellen. »Dort schreiben sie dann hin: ›Ware über dem MHD. Verzehr auf eigene Gefahr.‹ Anscheinend ist das einfach machbar und gar nicht besonders gefährlich«, bemerkt David in Richtung jener, die kaum Möglichkeiten für eine Weitergabe abgelaufener Lebensmittel ohne komplexe rechtliche Absicherungsverträge sehen. Die Lösung sei das alles aber nicht, sondern nur ein Weg, das Beste aus einem üblen System zu machen. Und durch jeden Kontakt entlang dieser Waste-Wertschöpfungskette Bewusstsein dafür zu fördern, wie viel Müll anfällt, wo er reduziert und wo er sinnvoll weiterverwendet werden könne. »Es gibt inzwischen viele Kooperationen mit ProduzentInnen und mit dem Handel. Es gibt die Tafeln, es gibt die Vereinbarungen mit den Sozialmärkten, an die der Handel Retourware und Überschüsse abgibt.« Und da das funktioniere, gibt es Überschüsse bei den Sozialmärkten, »weil die so viel mitunter gar nicht anbringen können. Sie haben keine Schuld, sie sind das letzte Glied in einer dysfunktionalen Kette«.

Lebensmitteltransport mit dem Lastenrad
Lastenfahrräder sind das perfekte Beförderungsmittel für oftmals bis zu einer Tonne an gedumpsterte Lebensmitteln, die Robin Foods Woche für Woche durch die Stadt radelt. Bild: Robin Foods.

Sein erster Vorschlag wäre, das Mindesthaltbarkeitsdatum komplett zu überdenken. »Bei einer breiten Palette an Lebensmitteln ist es vollkommen sinnlos« und sei daher ersatzlos aufzugeben. Bisher lassen die richtig großen Würfe in Richtung Reduktion von Foodwaste auf sich warten, daher radeln jeden Samstag Leute von Robin Foods aus verschiedenen Bezirken zur Lebensmittelrettung nach Floridsdorf zum Verein Lebensmittelrettung Österreich, denn dort komme viel Ware an. »Hier landet Retourware und aussortierte Ware (d. h. Müll) aus dem Handel; die Mitarbeiter von Foodpoint fahren von Supermarkt zu Supermarkt und holen die Ware ab.« Es ist das Drehkreuz, an dem die Sozialmarkt-Filialen auch die Ware beziehen. Was die Sozialmärkte nicht brauchen, rettet zum Teil Robin Foods.

»Das holen dann wir mit Lastenrädern und Radanhängern ab und fahren damit Fairteilungstouren. Etwa zum Floridsdorfer Bahnhof, um es dort zu verteilen. Dort treffen wir immer auf viele bedürftige Menschen. Dann sind wir schon einiges Gewicht los. Klassischerweise bringen wir den Rest in unsere Küche oder zu einer Demonstration, deren Sache wir unterstützen wollen«, erklärt David, wie es läuft. Denn inzwischen gibt es ein eigenes Vereinslokal in der Hasnerstraße im 16. Bezirk und geht es nach Robin Foods, wird es bald viele Open Kitchens in der Stadt geben. »Bei einer Tour holen wir derzeit zwischen 700 Kilogramm und einer Tonne Lebensmittel. Wir könnten das jeden Tag machen. Wenn noch mehr Leute mitmachen, könnten wir es mehrmals täglich machen.« Es gibt mehr als genug Foodwaste zu fairteilen. Aber an wen richtet sich das Angebot, das nicht auf der Straße verteilt wird – und wer nimmt es in Anspruch? David sagt, ihm sei es wichtiger, zu zeigen, was man mit den Resten noch machen kann, als soziale Umverteilung zu betreiben, doch als essende Gäste kämen »dann doch eher Leute, die drauf angewiesen sind. Leute, die wenig Geld haben, oft sind es kinderreiche Familien. Es gibt aber auch wohlhabende Menschen, die zum Kochen und Essen vorbeikommen, die sich einfach gerne nützlich machen«.

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