Die Wollindustrie – ein Wolf im Schafspelz
Wolle wärmt Babys im Buggy, Kids im Pulli und Erwachsene auf der Couch. Doch anders als der Pelz hat die Wollindustrie noch wenig negative Kritik erfahren.
Die Grausamkeiten der Pelzindustrie kennt jeder; nicht nur PETA setzt sich intensivst für Tiere mit Pelz ein, auch immer mehr kleine Organisationen wollen dem gewalttätigen und widerwärtigen Häuten der Mader, Füchse und Nerze ein Ende bereiten. Doch wie sieht es mit Wolle aus, die ja auch von Lebewesen stammt und in Australien, Neuseeland und China nicht weniger grausam hergestellt wird?
Mulesing – über 90% der Schafe sind Opfer davon
Bis zu 70 Prozent der Schafe auf australischen Woll-Farmen verenden schon vor ihrer Schlachtung oder ihrem natürlichen Ableben; ein Sechstel der Lämmer überleben in Australien nicht einmal die ersten 48 Stunden ihres Lebens, da sie verhungern oder nach der Geburt nicht ausreichend ärztlich versorgt werden. Der großen Mehrheit der Schafe wird ohne jegliche Betäubung ein großes Stück Fleisch am Hinterteil herausgeschnitten, um das Einnisten von Fliegen in den Hautfalten dort zu unterbinden. Hautfalten übrigens, die angezüchtet wurden, um möglichst viel Wolle produzieren zu können. Das Herausschneiden der Falten nennt man Mulesing. Australien – der zweitgrößte Wollproduzent der Welt – versprach, ab 2011 sollte dies nicht mehr praktiziert werden. Doch das Land hat seine Aussage zurückgezogen und die australischen Farmer verstümmeln weiterhin jedes Jahr Millionen Tiere.
Druck entschuldigt nicht die Tierquälerei
Dass viele Nutztiere auf ein bestimmtes positives Merkmal hin gezüchtet werden, ist bekannt. Bei Schafen lautet das Zuchtziel: möglichst viel Wolle. Doch das Überzüchten der Schafe hat schwerwiegende Folgen für die liebenswürdigen Tiere. Das Fell wird während der Wintermonate so dicht und dick wuchern gelassen, dass bei Frühlingsanbruch nur wenige Tage für das Scheren übrig bleiben. Ansonsten erfrieren die Schafe während den letzten kalten Wintertage oder sie sterben an Überhitzung bei zu spätem Scheren. In diesen Tagen – in denen praktisch alle Tiere auf einmal geschert werden müssen – entsteht so ein immens hoher Druck auf die Scherer. Sie werden nach der Anzahl der gescherten Schafe bezahlt. Um diesem Stress standzuhalten, nehmen nicht wenige Drogen und trinken Alkohol während der Arbeit. Den Tieren wird bei vollem Bewusstsein die Wolle von den Körpern geschoren. Dabei entstehen meist offene Wunden, die mit Nadel und Faden wieder zusammengenäht werden. Wehrt sich ein Schaf gegen das Scheren, wird es geschlagen, die Beine oder der Kiefer gebrochen; zur Not einfach erschossen. All das passiert vor den Augen seiner Artgenossen. Wen wundert es da, wenn Tausende Schafe während der Schur an Herzversagen sterben?
Europäische Richtlinien für Europas Wolle?
Wolle wird allerdings nicht nur in Australien und China so tierquälerisch hergestellt. Auch in Europa, etwa Großbritannien, gibt es sehr große Schaffarmen und dementsprechend auch große Probleme im tierfreundlichen Umgang mit den Schafen einerseits und den wirtschaftlichen Seiten andererseits. Das deutsche Unternehmen Lanagrossa hat als eines der Wenigen auf die Fragen der Redaktion geantwortet und gesagt, dass seine Wolle aus Italien stammt. Dort müssen zwar EU-Richtlinien eingehalten werden, aber man könne sich freilich nie zu 100 Prozent sicher sein, dass nicht doch Wolle von anderswo bezogen wird. Außerdem gibt es in der Wollindustrie noch keinerlei Zertifikate, so eine Mitarbeiterin des Unternehmens. Bei unternehmensinternen Stichproben ist bisher nichts Negatives wie Massentierhaltung und Tierquälerei aufgefallen. Anders der Münchner Garnimporteur Rosy Green Wool. Dieser Betrieb hat sich die Wolle, die er verkauft, GOTS-zertifizieren lassen. Das heißt, dass sowohl die Wolle ohne Mulesing hergestellt wird, als auch alle sonstigen Herstellungsschritte ökologisch und sozial ablaufen. Das Luxus-Label Hugo Boss gab dagegen an, es bevorzuge beim Bezug von Merinowolle Lieferanten, die auf das Mulesing-Verfahren verzichten und man wolle den Anteil dieser Wolle bis 2020 auf 90 Prozent erhöhen. Was jedoch „bevorzugt“ heißt und wie viel Wolle wirklich aus Mulesing-freier Herstellung stammt, darüber gibt der Konzern keine Auskunft.
Viele Leute wissen von dieser zum Teil sehr ausbeutenden Produktionsweise wenig, da fast niemand darüber informiert. Deshalb ist es umso wichtiger, als Verbraucher selbst nachforschen. Wenn uns etwas am Schicksal der liebenswürdigen, mähenden Tiere liegt, sollten wir in Zukunft auf Wollpullis und Wintermäntel aus Wolle verzichten und auf tierfreundlichere Stoffe wie Baumwolle umsteigen. Denn auch diese halten im Herbst und Winter warm und bewahren Millionen von Schafen vor dem Leidensweg.
Schon an anderen Stellen haben wir uns bei BIORAMA mit Wolle beschäftigt:
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