„Der Wolf ist weder Kuscheltier noch Bestie.“

In den Alpen wieder häufiger, aber nicht von allen gern gesehen. (Bild: Flickry, Cloudtail the Snow Leopard, CC BY 2.0)

In den Alpen wieder häufiger, aber nicht von allen gern gesehen. (Bild: Flickry, Cloudtail the Snow Leopard, CC BY 2.0)

Im Salzburger Pinzgau geht die Angst vor dem Wolf um. Bundesminister Rupprechter hat deshalb laut über die Bejagung von Wölfen nachgedacht. Dabei ist die streng verboten, wie uns Christina Reisenbichler vom WWF im Interview erklärt hat. 

Neulich hat der österreichische Bundesminister für Landwirtschaft und Umwelt an einer Podiumsdiskussion beim Pinzgauer Bauerntag in Salzburg teilgenommen. Im Pinzgau sorgen Wölfe für Ärger. Schließlich sind die Beutegreifer eine Bedrohung für Schafe. Minister Rupprechter hat als Lösung des Problems die Jagd nahegelegt und gesagt, er sei sogar selbst bereit eine Jagdkarte zu lösen. Dabei dürfen Wölfe in Österreich gar nicht gejagt werden. Das dürfte der Minister eigentlich wissen. Der WWF hat entsprechend empört auf die Aussagen des Ministers reagiert. Inzwischen ist das Büro des Ministers zurückgerudert. Über seine Sprecherin lässt er ausrichten, dass seine Aussage nur als bewusste Zuspitzung zu verstehen sei, und dass sein Ministerium Herdenschutz-Programme fördere, um Tierbestände vor Wölfen und Bären zu schützen. Trotzdem bleibt die Bejagung von Raubtieren in den Alpen ein Thema. Mit Christina Reisenbichler vom WWF haben wir uns darüber unterhalten, wie man Herden vor dem Wolf schützt, wie es um den Bestand in den Alpen steht, wie es um die Bären in der Region steht, und welchse Auswirkungen die Bejagung beider Arten haben könnte.

In den Medien ist der Wolf schon zur Bedrohung geschrieben worden. Droht die öffentliche Stimmung gegenüber dem Wolf ins Negative zu kippen?

Der Wolf hat den Menschen von jeher beeindruckt. Märchen, Redewendungen und Mythen ranken sich um dieses Tier und wecken starke Emotionen. Einerseits ist er der Vorfahre unseres „besten Freundes“, des Hundes, andererseits wurde er als Nahrungskonkurrent verfolgt und schließlich ausgerottet. Doch der Wolf ist weder Kuscheltier noch Bestie. Er ist ein heimisches Wildtier, dem man – wie allen Tieren – mit Respekt begegnen sollte. Wichtig ist, die Sorgen und Bedenken der Bevölkerung ernst zu nehmen und gleichzeitig offen und ehrlich zu informieren. Denn der Wolf hat seine alte Heimat wieder entdeckt und beansprucht damit wieder Platz – auch in unseren Köpfen.

Andrä Rupprechter würde am liebsten selbst Wölfe jagen, sagt er. Er müsste eigentlich wissen, dass die Tiere in Österreich geschützt sind. Steht hinter seiner Aussage mehr als seine persönliche Befindlichkeit gegenüber Wölfen?

Der Wolf ist im Rahmen internationaler und nationaler Gesetze und Verordnungen geschützt, so ist er u.a. in Anhang II der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG als prioritäre Art aufgelistet und in Anhang IV der FFH-Richtlinie als streng zu schützende Art angeführt. Somit sind „alle absichtlichen Formen des Fangs oder Tötung“ sowie „jede absichtliche Störung“ verboten.

Anfang Februar 2016 hat das Europäische Parlament mit überwältigender Mehrheit gegen eine im Raum stehende Revision und damit gegen eine Aufweichung dieser Richtlinie gestimmt. Das EU-Parlament folgt damit den Unterschriften von mehr als 500.000 EU-Bürgern, die im November 2015 an EU-Kommissar Karmenu Vella übergeben wurden. Gemessen an den Teilnehmern war dies die erfolgreichste öffentliche Befragung in der Geschichte der EU. Sie alle sprechen sich für die Beibehaltung der EU-Naturschutzrichtlinien aus und zeigen deutlich, dass den EU-Bürgern klare Regelungen im Naturschutz ein wesentliches Anliegen sind. Auch Umweltminister Rupprechter sollte sich endlich öffentlich für die Beibehaltung der Naturschutzrichtlinien bekennen

In den jeweiligen Landesjagdgesetzen wird der Wolf als entweder „nicht jagdbar“ oder als „ganzjährig geschont“ geführt, daher ist die Jagd auf Wölfe in Österreich nach nationalem und europäischem Recht schlicht und einfach verboten. Behördliche Ausnahmen können in Einzelfällen gemäß dem Schema „Umgang mit Wölfen in besonderen Situationen“ des Managementplan Wolf in Österreich (2012) vor allem zum Schutz der Menschen, genehmigt werden.

Lebensraum für Wölfe? Hochgebirge bei Kaprun (Bild: Flickr, Harry Prammer, CC BY 2.0)

Lebensraum für Wölfe? Hochgebirge bei Kaprun (Bild: Flickr, Harry Prammer, CC BY 2.0)

Was kann man tun, um Viehbestände gegen Wölfe zu verteigen, ohne sie zu schießen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Weidetiere zu schützen. Je nach Art, Haltungsbedingungen, Gelände und anderen Faktoren genügt es vielleicht, mit Elektrozäunen zu arbeiten, mit „Aufpassern“ wie Esel oder Lamas oder mit Herdenschutzhunden. Deren Zahl wiederum richtet sich nach der Größe der zu schützenden Herde und dem Gelände. Und manchmal ist es notwendig, dass Hirten und ihre Hütehunde – meist von Herdenschutzhunden begleitet – die Herde betreuen. Der Einsatz von fachkundigen Hirten hat eine Reihe von Vorteilen: Die Herdewird bestens versorgt, weil der Hirte sie zu jeweils passenden Weiden führen kann. Die Weideflächen werden optimal abgegrast, Über- und Unterbeweidung vermieden. Und der Hirte kann sich um setzende Schafe, junge Lämmer, kranke und verletzte Tiere kümmern.

In unserem Nachbarland Schweiz, sowie in Frankreich und Italien hat man mit solchen Herdenschutzprojekten bereits gute Erfahrungen gemacht. Wichtig ist jetzt, die gewonnen Erkenntnisse auch hierzulande umzusetzen und Herdenschutz  in ganz Österreich zu etablieren. Ein erster Schritt dazu ist das „Modellprojekt Herdenschutz“ das von der Nationalen Beratungsstelle Herdenschutz auf der Ochsenalm in Kals am Großglockner betreut wird. Dort werden unterschiedliche Konzepte zum Schutz von Nutztierherden vor großen Beutegreifern auf ihre Anwendbarkeit in den österreichischen Alpen hin in der Praxis erprobt. Langfristig brauchen wir ein sicheres Finanzierungsmodell für Herdenschutzmaßnahmen, eine unbürokratische Schadensabgeltung und intensive Aufklärungs- und Informationsarbeit. Diese Maßnahmen bilden die wichtigste Grundlage für die Akzeptanz des Wolfes in unserer Gesellschaft und sind eine Bringschuld der zuständigen Behörden, denn vor allem bei den Landwirten ist die Sorge verständlicherweise groß.

Laut Alpenkonvention stehen Wolf und Braunbär Lebensräume in den Alpen zu. Heisst das, das eine oder andere gerissen Schaf muss in Kauf genommen werden? 

Hauptbeute des Wolfes ist die jeweils häufigste Schalenwildart eines Gebietes, in Mitteleuropa ist das in der Regel Rotwild, Rehe, Wildschweine oder Gamswild. Aber auch kleinere Wildtierarten wie Biber, Dachs, Hase, Waschbär bis hin zur Maus sowie kleinerer Beutegreifer wie Füchse oder Marderhunde zählen zu den Beutetieren. Ebenso Nutztiere (insbesondere Schafe und Ziegen), wenn diese nicht ausreichend geschützt sind.

Grundsätzlich fressen Wölfe aber das, was sie leicht erbeuten können. Wenn Weidevieh unzureichend geschützt ist, kann dieses vor allem im Sommer bei niedrigen Wilddichten vermehrt gerissen werden. Bei geringem Beuteangebot verschmähen Wölfe selbst Müll und Lebensmittelreste nicht, wenn diese zugänglich sind. Wenn Weidevieh aber für Wölfe nicht zugänglich und wirksam geschützt ist, in etwa durch gezielte Herdenschutz-Maßnahmen wie Zäunung, Behirtung oder den Einsatz von Herdenschutz-Hunden, werden sie ihr Territorium vergrößern bis die Nahrungsbasis – d.h. die Verfügbarkeit von Wildtieren – ausreicht. Sie müssen sich also wieder mehr an ihre natürliche Beute, halten. Und davon gibt es genug in Österreichs Wäldern.

In einigen europäischen Ländern wird darüber diskutiert, ob Wölfe ohne Bejagung wild bleiben. Gibt es dazu eine offizielle Haltung des WWF?

Wie kaum ein anderes Tier sind Wölfe lernfähig und in der Lage, sich auf veränderte Situationen einzustellen. Daher haben – legale und illegale – Abschüsse einen Einfluss auf die Wolfsvorkommen. Nachweise, dass eine Bejagung direkt und ausschließlich dazu führt, dass Wölfe wild bleiben, gibt es derzeit nicht. Abschüsse als Management-Maßnahme, etwa um Viehherden zu schützen haben sich im Gegenteil als kontraproduktiv herausgestellt. Eine US-Studie der Washington State University 2014 zeigt: Je mehr einzelne Wölfe erlegt werden, desto mehr Herdentiere fallen im Folgejahr den Beutegreifern zum Opfer. Die der Studie zugrunde liegenden Langzeituntersuchungen in drei US-Bundesstaaten beweisen, dass mindestens vier Prozent mehr Schafe gerissen werden, wenn im Jahr davor einzelne Wölfe erlegt wurden. Solche Eingriffe zerstörten die ansonsten gut funktionierende Struktur in Wolfsrudeln. Werden einzelne Rudeltiere entnommen, gerät das Sozialgefüge aus den Fugen, so die Studienautoren – besonders, wenn es sich um ein erfahrenes Tier handelt. Der Abschuss eines Elterntieres kann dazu führen, dass Wölfe ihr Jagdverhalten ändern und wegen der fehlenden Erfahrung auf leichter zu erbeutende Tiere wie ungeschützte Schafe ausweichen müssen. Vorkehrungen wie Elektrozäune oder Hütehunde könnten dagegen effektiv Abhilfe schaffen. Einmal mehr zeigt sich also, dass am Herdenschutz kein Weg vorbei führt. Die Zahlen der US-Langzeitstudie stammen aus den Jahren 1987 bis 2012 und beinhalten Angaben zu getöteten Wölfen sowie zu Verlusten bei Nutztierherden, die auf Wölfe zurückzuführen sind. Demnach verdoppelte sich die Verlustrate unter Haustieren wie Schafen in Relation zur Anzahl der getöteten Wölfe bis zu einem bestimmten Niveau. Erst wenn die Wölfe um 25 Prozent dezimiert wurden, was in vielen Ländern Europas aufgrund des hohen Schutzstatus nicht mit der Gesetzgebung konform ist stellt sich ein Schutzeffekt auf das Nutzvieh ein. In unserem Nachbarland Slowenien mit einem geschätzten Bestand an 50 Wölfen, hat man ähnliche Erfahrungen wie in den USA gemacht. Statt auf mehr Abschüsse zu drängen, setzt man jetzt auf den besseren Schutz jener Weiden, auf denen besonders viele Schäden entstanden sind.

Dem Wolf eilt grundsätzlich ein schlechter Ruf voraus, wenn es um die Frage geht, ob er für den Menschen gefährlich ist. Viele Geschichten stammen aus Gebieten, in denen Kriege uns Seuchen tobten. Unter solchen Umständen konnte der Wolf auch in Siedlungsnähe oder ans Kriegsschauplätzen Beute unter Menschen machen. Hinweise, dass die öffentliche Sicherheit durch Wölfe gefährdet ist, gibt es nicht. Grundsätzlich meiden Wölfe den Kontakt mit Menschen. Gefährlich kann es aber dann werden, wenn man Wölfe füttert und man sie auf diese Weise lehrt, um Futter zu betteln. Auf keinen Fall sollte man also die Tiere mit Futter anlocken oder ihnen nachlaufen. Darüber hinaus sollte man vermeiden, Wölfe gezielt zu verfolgen, um sie zu beobachten, Welpen zu suchen oder zu fotografieren. Mit diesen einfachen Verhaltensmaßnahmen kann jeder und jede Einzelne dazu beitragen, dass Wölfe wild bleiben und nicht den Kontakt mit Menschen suchen – ganz ohne Jagdschein.

Die Ötscherbären in Österreich sind alle unter unerklärlichen Umständen verschwunden. Umweltschützer haben Jäger in Verdacht. Kann von einer Ausbreitung des Bären in Österreich überhaupt die Rede sein?

Nein, der Braunbär in den Nördlichen Kalkalpen ist de facto ein zweites Mal ausgestorben. Im Süden Österreichs, der Grenzregion Kärnten-Slowenien-Italien, gibt es allerdings immer wieder Hinweise auf  rund 5-8 Bären. Sie halten sich zwar zeitweise in Österreich auf, zählen aber zur Dinarischen Population. Meist sind das junge Männchen auf Wanderschaft, Hinweise auf ein Bären-Weibchen oder gar Reproduktion in Österreich gab es schon seit Jahren nicht mehr. Da Bären weniger weit wandern als Wölfe und auch seltener und weniger Jungtiere bekommen, dauert die Besiedelung neuer Lebensräume durch Bären weitaus länger als beispielsweise durch Wölfe. Wanderungen über 300-500 Kilometer sind bei Wölfen keine Seltenheit, auch die Weibchen laufen weite Strecken.  Bärenweibchen hingegen lassen sich normalerweise nahe ihres Geburtsorts nieder. Die Zahl der Nachkommen ist bei Wölfen ebenso höher. Wölfe bekommen durchschnittlich jedes Jahr drei bis neun Welpen. Bei Bären sind es nur alle zwei bis drei Jahre ein bis vier Jungtiere.

Für wieviele Bären und Wölfe wäre in Österreichs Wildnis und Kulturlandschaft Platz?

Wölfe sind sehr anpassungsfähig und können in den unterschiedlichsten Habitaten leben. Sie können überall dort vorkommen, wo es ausreichend Nahrung gibt und die Verfolgung bzw. Störung durch den Menschen gering ist. Das sind in Europa heute vor allem große Waldgebiete und Gebirgszüge. Wölfe können aber durchaus auch in der Kulturlandschaft Mitteleuropas leben, sie sind den Umgang mit Menschen gewohnt. Wölfe kommen in Mitteleuropa praktisch in all ihren Revieren mit Menschen in Kontakt. In Mitteleuropa führt an Menschen kein Weg vorbei. Denn in hier üblichen Reviergrößen von 200 bis 300 km² wird der Wolf fast immer auf Straßen, Wege, Hütten, Häuser und Siedlungen treffen. Wie andere Wildtiere auch werden Wölfe jede Art von menschlicher Infrastruktur in ihr Revier integrieren. Von daher ist es nicht ungewöhnlich, wenn Wölfe in der Nähe von Siedlungen gesehen werden. Sie versuchen sich energiesparend fortzubewegen und bevorzugen die kurzen, hindernisfreien Strecken wie Waldwege, Kuhsteige oder Forststraßen.

Die Wildbiologin Nicola Georgy hat 2011 zur Habitateignung für Wölfe in Österreich festgestellt, dass die tragbare Zahl an Wölfen in Österreich bei max. 660 Tieren liegt. Das entspricht einer Dichte von 7,9 Wölfen/1000 km². Diese Zahl berücksichtig verfügbaren Lebensraum, Nahrungsangebot und das Konfliktpotential.

Und wie sieht es mit Bären aus?

Auch Bären hätten – aus ökologischer Sicht –  in Österreich genug Platz. Wenn man die Ostalpen in 10 verschiedene Teillebensräume*) gliedert, die sowohl als Bärenhabitate geeignet sind, als auch für ein Miteinander von Mensch und Bär (geringe Siedlungsdichte etc.) in Frage kommen, zusammennimmt, könnten nach Berechnungen des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie („Statusbericht Braunbär in Europas und den Alpen“, 2007) 700-1100 Bären in den Ostalpen leben. Dies setzt allerdings ein reibungslos funktionierendes, länderübergreifend abgestimmtes Bärenmanagement voraus, denn die soziale „Tragfähigkeit“ liegt ansonsten deutlich unter diesem Wert. Dazu gehört neben geregelter Abläufe z.B. bei etwaigen Schadensfällen, auch eine regelmäßige Öffentlichkeits- und Informationsarbeit über Bären sowie Präventionsmaßnahmen.

Die Teillebensräume sind die folgenden: Slowenien ohne Alpen, Wiener Wald, westliche italienische Alpen, bayrisch-tiroler Grenzgebiet westlich des Inns sowie Vorarlberg und östlichster Teil der Schweiz, Salzachtal in Salzburg, Gebiet zwischen Ötscher und Hochschwab in den Nördlichen Kalkalpen,  Grenzregion Slowenien/Italien/Österreich, südöstliche Alpen, Kärnten, Weststeiermark und östliche italienische Alpen.

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