Schützen statt schießen
Wie lassen sich Schaf, Ziege und Kuh vor dem Wolf schützen? Ein EU-Projekt bildet Bäuerinnen und Bauern aus und denkt das überkommene Berufsbild der HirtInnen weiter.
»Ich bin auch Jäger«, seufzt Otto Gasselich. »Mein erster Gedanke war ehrlich gesagt auch, mit welchem Kaliber man das Kapitel Wolf am besten aus der Welt schafft«, erinnert er sich daran, als er das erste Mal von gerissenen Schafen hörte. »Mittlerweile sehe ich das aber anders«, betont er, »bei allem Verständnis für Betroffene«.
Otto Gasselich ist selbst Biobauer. Als Ackerbauer betrifft ihn die Rückkehr des Wolfs zwar nicht persönlich. Doch Gasselich ist auch Agrarfunktionär, stolzer Bauernbündler und oberster Vertreter der Biobäuerinnen und Biobauern in Niederösterreich und Wien. Als solcher beschäftigt ihn das Raubtier seit Jahren. Denn Niederösterreich ist Wolfsland. Seit 2015 auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig wieder Wölfe nachgewiesen wurden – erstmals in Österreich seit ihrer Ausrottung 1882 – gab es dort jedes Jahr einen Wurf junger Wölfe. Weil die Jungtiere nach einem Jahr ihr Rudel verlassen und auch aus den Nachbarländern einzelne junge Wölfe zu- oder durchwandern, kann der Fleischfresser mittlerweile überall auftauchen. Vor allem Betriebe, die ihre Schafe, Rinder und Ziegen dauerhaft im Freien halten, bangen seither um ihre Tiere. Viele davon vertritt Gasselich als Obmann des Verbands Bio Austria.
Schon lange rät man TierhalterInnen zu aktivem Herdenschutz: hohen Elektrozäunen, Hirten oder speziell ausgebildeten Schutzhunden, die ihre Herde Tag und Nacht begleiten. Mancherorts hofft man, dass wehrhafte Esel oder Lamas die Raubtiere auf Distanz halten. Denn wer seine Tiere nicht schützt, hat keinen Anspruch auf Schadenersatz sollten Wolf oder Bär doch einmal zuschlagen. Einzelne Betroffene sind längst aktiv und schützen ihre Tiere mit Zäunen und Hunden. Durchdachte Strategie wie man sich der neuen Realität stellen könnte, gibt es bis heute keine.
»Aber irgendwann war klar, dass wir etwas tun müssen«, sagt Otto Gasselich – und dass es nur einen Lösungsansatz gibt: Weidemanagement mit integriertem Herdenschutz. »Rechtlich ist die Sache ohnehin eindeutig: Der Wolf ist in Europa streng geschützt und wird das auch bleiben, das hat die EU wiederholt klar gemacht.«
To be defined: Spielregeln im Umgang mit dem Wolf
Mancherorts gibt es noch Abschussfantasien. Doch, immerhin: Fünf Jahre nach dem ersten Wiederauftauchen der Wölfe im Land startet nun – ein unmittelbarer Verdienst des Biofunktionärs – das auf fünf Jahre anberaumte, drei Staaten übergreifende LIFE-Projekt der Europäischen Union »Life Stock Protect«. In allen neun österreichischen Bundesländern, in Bayern und in Südtirol werden NutztierhalterInnen darüber aufgeklärt und darin ausgebildet, wie sie ihre Schafe, Ziegen und Rinder, ihre Schweine, Pferde und ihr Geflügel bestmöglich vor den sogenannten »Großen Beutegreifern« schützen können. Anschaffungskosten für Hunde oder Zäune sind in den budgetieren 5 Millionen Euro keine vorgesehen. »Der klare Fokus liegt auf Bildung, Prävention und dem Definieren der Spielregeln im Umgang mit dem Wolf«, erklärt Max Rossberg von der European Wilderness Society, die das Projektmanagement über hat. Mit dem Tourismusverband Tiroler Oberland erarbeitet man praktikable Kriterien für den Umgang mit den scharfen Herdenschutzhunden – die auch Wandernde in Schach halten wenn sie ihren Schäfchen zu nahe kommen. »Es gehört geklärt, was passiert wenn ein Hund einen Wanderer beißt«, sagt er nüchtern. »Wir wollen den Tourismus unterstützen.«
Beruf mit Zukunft: HirtIn
Seit Herbst wird bereits das Berufsbild der HirtInnen weiterentwickelt. »HirtInnen der Zukunft sind keine HilfsarbeiterInnen mehr, sondern Fachkräfte, die sich den komplexen Herausforderungen an Klimaschutz, Biodiversität und Raubtiere stellen müssen«, sagt Rossberg. »In der Stadt glaubt man ja, das ist der Peter auf der Alm. Doch die Nachfrage nach solchen ExpertInnen steigt.«
StädterInnen sind als HirtInnen übrigens explizit erwünscht. Aus der Schweiz weiß man: vor allem Frauen fühlen sich zur Saisonarbeit als Hirtin hingezogen: »Das sind Anwältinnen mit Border Collies, Zahnärztinnen, Lehrerinnen, die sich im Sommer 120 Tage ausklinken, um diesem Beruf nachzugehen. Sie sind gut ausgebildet, nur deshalb vertrauen ihnen die TierhalterInnen ihre Tiere an – oft während diese selbst im Nebenerwerb einem anderen Beruf nachgehen.«
So ergibt sich, hofft Rossberg, vielleicht auch eine Annäherung von Stadt- und Landbevölkerung.
Wer Schafe schützt, schützt Wölfe
Gleichzeitig haben die Projektverantwortlichen ihre Kooperationspartner gleichsam konsequent wie diplomatisch ausgewählt. »Wir haben niemanden dazu genommen, der in der Öffentlichkeit pro Wolf ist«, sagt Biofunktionär Gasselich. Dazu polarisiert das Thema in der Bauernschaft zu sehr. »Es werden keine direkten Maßnahmen zum Schutz der Wölfe ergriffen oder propagiert« heißt es in der Projektbeschreibung.
Sein eigener Standpunkt jedenfalls habe sich mit dem Grad der Beschäftigung gewandelt, sagt Gasselich. »Der Wolf ist einfach Teil der Natur. Und ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass ich das gerade als Biobauer auch so sehen muss.«
Warum es 2020 in Niederösterreich vergleichsweise ruhig um den Wolf geworden ist? »3S«, sagt Gasselich, wie aus der Pistole geschossen – und spielt auf die berüchtigte »3-S-Regel« an, die auf bäuerlichen Stammtischen kursiert. Schießen. Schaufeln. Schweigen.
Illegal, keine Frage. Das Projekt »Life Stock Protect« ist eine klare Absage an diese Form der Selbstjustiz. Es weist den gegenteiligen Weg. Denn: Wer Schafe schützt, schützt Wölfe.
Wolf vs. Nutztier
250 Fälle von gerissenen, verletzten oder abhängigen Nutztieren mit Bezug zum Wolf sind laut »Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs« mit Stichtag 30. November für 2020 bekannt. Mit Abstand die meisten Fälle gab es in Tirol, gefolgt von der Steiermark und Oberösterreich. »In Niederösterreich gab es wenig bis fast nix«, berichtet Albin Blaschka.
Schutzstatus und illegale Abschüsse
Wölfe sind besonders gut geschützte Tiere. Grundlage dafür ist in Europa die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (kurz: FFH-Richtlinie). Abschüsse sind dennoch möglich – in Österreich z. B. von »Problemwölfen«, in Skandinavien gibt es Abschussquoten.
In Niederösterreich wird der Wolf im Landesjagdgesetz als »nicht jagdbares Wild« geführt. Auf illegale Abschüsse drohen empfindliche Strafen. In Oberösterreich wurde einem Jäger nach dem Abschuss eines ebenso streng geschützten Luchses lebenslänglich die Jagderlaubnis entzogen. Außerdem gab es eine »hohe Geldstrafe im vierstelligen Bereich«, sagt Albin Blaschka, Geschäftsführer des Österreichzentrums Bär, Wolf, Luchs.
Mit dem Wolf leben lernen
Einst haben wir ihn ausgerottet, dann streng geschützt, jetzt kommt er zurück in unsere Lebensräume. Weil Zusammenleben gelernt sein will, widmet BIORAMA dem Thema Wolf eine Informationsseite – in Kooperation mit dem WWF.