Wolf, Hund, Mensch
Bücher zu Hunden und Wölfen sind immer mit Vorsicht zu behandeln. Die menschliche Neigung, alles zu vermenschlichen, kommt sowohl den Autoren als auch den Lesern oft genug in die Quere, besonders wenn es um „den besten Freund des Menschen“ geht – oder um Katzen, die im Internet locker der Pornografie den ersten Platz im Kampf um Aufmerksamkeit abgejagt haben.
Umso erfreulicher, dass der österreichische Verhaltensforscher Kurt Kotrschal mit seinem Buch „Wolf – Hund – Mensch“ den perfekten Spagat zwischen emotionaler Erzählung und faktenorientierter Distanz schafft. Besonders zu Beginn des Buches gelingt dem Autor eine ausgezeichnete Mischung aus persönlichen Anekdoten und wissenschaftlicher Information, aus emotionalen Geschichten und spannenden Fakten. Jeder Tierfreund wird Kotrschal um seine Erlebnisse beneiden. Und dennoch romantisiert der Autor den Wolf nicht. Wann immer die Fantasie der Leser zu sehr dem Bezug zum realen Tier davon zu laufen droht, holt Kotrschal ihn mit fachlicher Information zurück. So folgt seiner Geschichte, in der er die Nacht unter jungen Wölfen verbringt und eines der Tiere ein Beutestück in unmittelbarer Nähe genüsslich knackt, der Hinweis, dass er heute nie alleine das Gehege der erwachsenen Wölfe betritt.
Ähnlichkeiten in den sozialen Verhaltensweisen
Kotrschal behandelt das Thema aus sehr vielen Blickwinkeln, der Schwerpunkt liegt auf der Geschichte des Zusammenfindens von Wolf und Mensch. Um diese Geschichte zu verstehen, ist es notwendig, Verhalten und Biologie dieser beiden Arten zu kennen. Kotrschal beschreibt die Ähnlichkeiten in den sozialen Verhaltensweisen und in den Gesellschaftsstrukturen von Wolf und Mensch – die Fähigkeit zwischen Freund und Feind zu unterscheiden und die Art, wie mit Freunden und Feinden unterschiedlich umgegangen wird. Beide Arten führen Kriege gegen ihresgleichen, beide pflegen den engen Zusammenhalt innerhalb ihrer Gruppe, beide sind in der Lage die Stimmungen und Launen ihrer Artgenossen zu lesen – und das eigene Verhalten daran anzupassen. Diese biologische Basis hat es für Wolf und Mensch ermöglicht, miteinander zu kommunizieren. Wölfe – und erst recht Hunde – können lernen uns zu verstehen. Und umgekehrt. Dabei ist es nicht einmal notwendig, die Verhaltensmuster der anderen Art nachzuahmen; wir müssen nicht wie Wölfe knurren, damit sie uns verstehen. Ein Punkt, den Kotrschal betont, da manche „Wolfsfreunde/forscher“ diesen – aus seiner Sicht falschen – Weg gehen.
Menschliche und wölfische Persönlichkeiten
Im Wolfsforschungszentrum in Ernstbrunn widmet sich seit 2008 ein Team von Biologen und Trainern der Erforschung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wolf und Hund. Ihre Ergebnisse werden dabei helfen, die Beziehung zwischen Mensch, Hund und Wolf besser zu verstehen. Und vielleicht schaut dabei noch das eine oder andere ähnlich gute Buch heraus. Gegen Ende erzählt Kotrschal von den Rudeln, den menschlichen und wölfischen Persönlichkeiten, die dort eine Rolle spielen. Er macht mit seinem Buch Öffentlichkeitsarbeit im besten Sinne, auch wenn ein „Managerseminar mit Wölfen“ eher nach einem peinlichen Coachingsauswuchs klingt.
Spannend ist auch zu sehen, wie sich die Rolle der Versuchstiere in der Verhaltensbiologie geändert hat. Von der Ratte in der Box, die nur eine Nummer trägt und einen Hebel bedienen soll, zum Wolf, den Kotrschal als Partner auf Augenhöhe betrachtet. Was zwar sympathisch klingt und den Wölfen im Forschungszentrum geht es auch sicher recht gut, aber dennoch ist es eine naive Sicht, welche die realen Machtverhältnisse ebenso ignoriert wie die unterschiedliche Motivation zwischen Forschern und Versuchstieren.
Wolf – Hund – Mensch | Die Geschichte einer jahrtausendealten Beziehung
von Kurt Kotrschal
erschienen im Christian Brandstätter Verlag
Ad Personam
Kurt Kotrschal, Professor an der Universität Wien, Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle Grünau und Mitbegründer des Wolfsforschungszentrums (www.wolfscience.at) in Ernstbrunn, Wissenschaftler des Jahres (2010).