Wo Familien und Firmen feiern
Wo der Wurstelprater langsam in den Grünen Prater übergeht, strahlt Kolariks Luftburg als ein Leuchtturm der Biobewegung weit über Wien hinaus.
Irgendwer feiert immer. Zumindest wer wochentags in Kolariks Luftburg essen geht, wird in irgendeinem Winkel oder Separee des weitläufigen Lokals fast immer auch eine Gruppe von beruflich verbundenen Menschen antreffen, die hier gemeinsam essen, trinken, feierlich den Abend ausklingen lassen. Dementsprechend bierselig geht es mitunter zu. Aber für ein romantisches Date verirrt man sich wohl ohnehin nur mit besonderen Vorlieben in den Prater. Bei 1200 Sitzplätzen (teilweise indoor, teilweise im Biergarten) schluckt der Lärmpegel einiges. Bei meinem bislang letzten Besuch an einem Samstagabend im April war es eine Hundertschaft internationaler ÄrztInnen, die sich nach einem Kongresstag Stelzen (Haxe/ Eisbein, Anm.), Schnitzel und das eine oder andere Bier servieren ließ. Ich selbst, Stammgast, hatte spontan einen – wie man früher sagte – Geschäftsfreund hergelotst: Manuel Pick, der von Sachsen aus die deutsche Biobranche berät und privat in der Stadt war. Spätestens seit das Lokal 2023 von der EU mit dem »Organic Award« als »bestes Biorestaurant« ausgezeichnet wurde, muss man hier als Wien-BesucherIn einfach gewesen sein; zumindest wenn man sich für traditionelle Wiener Küche interessiert und auf hochwertige Biolebensmittel Wert legt. Für einen Bioberater ist es also ein Muss, hier gegessen zu haben. Reservierung hatten wir keine (wäre aber empfohlen), ein Platz im Wintergarten fand sich trotzdem.
In neun Bieren durch Österreich
Kaum beginnt man die Karte zu studieren, wird bereits das Bier serviert (Manuel Pick: »Man merkt gleich, die haben den Laden im Griff!«). Es ist die erste Saison, in der hier u. a. Biostoff, das neue Biobier von Gösser (Heineken-Konzern) ausgeschenkt wird, ein süffiges Lagerbier. Unser zweites Bier wird trotzdem ein Ottakringer Bio-Zwickl (Kellerbier). Man könnte sich hier durchs ganze Land kosten, denn auf der Karte werden Biobiere aus allen neun Bundesländern ausgelobt. Nach dem Ausflug ins steirische Göss bleiben wir aber in Wien-Ottakring. Ich kenne einen beträchtlichen Teil der Karte – vom Schnitzel über den Altwiener Backhendlsalat bis zum Tofu auf Ofengemüse, habe hier auch schon Cevapcici vom Nachbarteller gekostet und von Kindertellern stibitzt: vom »Knödelfuchs« (Geröstete Knödel mit Ei; veggie) oder »Drachenfleckerln« (Farfalle mit karamellisiertem Weißkraut; vegan). Und ich habe in der Luftburg noch nichts serviert bekommen, das ich nicht wiederbestellen würde. Klar ist auch: Die Luftburg ist nichts für alle Tage: Die Kategorie »leichte Küche« ist eher schwach vertreten. Allzu viele Experimente lässt der Massengeschmack, an dem sich die Betreiberfamilie Kolarik hier offensichtlich orientiert, nicht zu. Auch wenn die Portionen wohltuend bewältigbar sind: Für überzeugte FlexitarierInnen ist das Angebot immer noch unverschämt fleischlastig. Die Karte bietet zwar auch ganz anderes, doch wer auf die Tische rundum blickt, wird mit den harten Fakten konfrontiert: In Kolariks Luftburg kommt man mehrheitlich, um Fleisch zu essen – und das gilt auch für mich (weil ich es hier guten Gewissens tun kann). Vieles ist gebacken und paniert. Auch die »Ikapiri Stelze«, die man zu mehrt isst, hat mich bereits überzeugt: eine knusprig gegrillte Surstelze mit asiatischer Ikapiri-Sauce glasiert, Gurkensalat Tsukemono, Teriyaki Sauce und milden, eingelegten roten Zwiebeln. Heute Abend aber bleiben wir klassisch.
Testesser Manuel Pick, Bioberater, mit Stelze. Bild: Biorama/Thomas Weber.
Bio in einer neuen Dimension
Zwei Portionen Stelze mit Dukatenerdäpfeln und der Flammkuchen mit Feta, Walnüssen und Vogerlsalat werden rasch gebracht. Die Stelze ist gewohnt knusprig, schmeckt intensiv (aber nicht schweinelnd) nach Fleisch. Das Fleisch ist dunkelrot, zart, wunderbar. Auch die Gäste aus Deutschland sind angetan: »Bio in dieser Güte und auch mal in der Dimension zu erleben macht Spaß, weil es zeigt, dass eine leistungsfähige Versorgung mit hochwertigen Bioprodukten möglich und Bio eben kein Rand-Phänomen ist«, schreibt mir Manuel Pick ein paar Tage nach seinem Wienbesuch. Dass hinter dem Lokal die alteingesessene Prater-Familie Kolarik steckt, die das Vergnügungsviertel bereits seit mehr als 100 Jahren prägt und deren Mitglieder neben dem Restaurant »Luftburg« auch noch einen Luftburgenverleih beziehungsweise ein anderer Zweig der Familie auch das nahegelegene, nicht bio- zertifizierte, »Schweizerhaus« betreiben, habe ich ihm noch mit vollem Mund erzählt. Auch, dass es mit ein Verdienst eines Förderprogrammes der Stadt Wien für ein nachhaltiges Speise- und Getränkeangebot ist, dass die Luftburg seit 2021 100 Prozent biozertifiziert ist. Manuel hat sich weiter schlau gemacht, nachgedacht und schreibt: »Es braucht den Mut und Willen einer ambitionierten und professionellen GastgeberInnen-Familie und die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen, um zukunftsfähigere Versorgungskonzepte aus der Randständigkeit zu holen und vorwärts zu bringen. Soll heißen: neben den wunderbaren kleineren GastronomInnen, die – vor allem in Österreich – schon den Schritt zur Umstellung oder Teil-Umstellung gegangen sind, zeigt die Familie Kolarik, dass auch größere Versorgungsstrukturen umstellen können, ohne die Kernqualitäten und Werte von Bio zu korrumpieren.« Oder, wie Betreiber Paul Kolarik in der Zeitschrift »Landwirt« meinte: »Bio ist für mich das größte Versprechen, das derzeit zertifiziert werden kann, der Goldstandard der Lebensmittelerzeugung.
Die Stadt Wien hat, was Biogastronomie betrifft, einiges zu bieten.
BIORAMA WIEN-BERLIN #4