Winterschnitt
Eine feste Eisdecke, Windstille, Sonnenschein und 5 Grad unter Null braucht es – dann wird auf dem Neusiedlersee Schilf geschnitten. Gereinigt und geschnitten deckt es Dächer in ganz Europa.
Wenn der See ganz zugefroren ist, der Wind steht und es die Sonne durch den Winterhimmel schafft, dann fährt Wilhelm Schiwampl mit seiner Pistenraupe aufs Eis. Schiwampl, im Brotberuf Berufsschullehrer, hat hier 340 Hektar des Schilfgürtels gepachtet und bis Mitte März Zeit. Dann beginnt die Brutzeit der Vögel und die Bewirtschaftung der Uferregion ist tabu. Schiwampls Vorfahren haben die Arbeit noch mit der Hand verrichtet. »Das Schilf wurde schippelweise zusammengebunden. Die Sicheln hatten einen verlängerten Griff, das kennen Sie vielleicht aus dem Museum. Oft wurde im Spätherbst im Wasser begonnen und im Frühjahr stand man beim Schneiden auch schon wieder im Wasser. Auch die Kinder mussten helfen. Eine schwere Arbeit!«
Dafür hat Schiwampl heute 145 PS. Seine Pistenraupe wurde so umgebaut, dass sie durch den erhöhten Motor auch im Wasser schneiden könnte. Theoretisch. Denn das Schilf muss ohnehin blattlos sein – also ordentlich durchgefroren – um geerntet werden zu können. Vor allem im hohen Norden Europas wird sein Schilf geschätzt und gekauft. In den Niederlanden, Südengland und Norddeutschland ist es seit langem Tradition, Dächer mit Schilf zu decken. Auch als Baumaterial für Niedrigenergie-Häuser erfreut sich Schilf heute wegen seiner hohen Wärmespeicherkapazität, guten Schalldämmung und Resistenz gegen Fäulnis und Schimmel zunehmender Beliebtheit.
Früher – das zeigen alte Kalenderfotos – war auch im Burgenland fast jedes Haus, jede Scheune mit Schilf gedeckt. Heute erntet man am Neusiedlersee vor allem für den Export. Acht Firmen sind auf der österreichischen Seite des Sees aktiv, einige auch am ungarischen Ufer. Die Konkurrenz ist groß, vor allem aus China. Die Qualität aus China sei schlechter, sagt Schiwampl, die Gräser aus Fernost feiner und sehr biegsam. Der Nachteil: Die Flickarbeiten wären mit dem biegsamen Schilf sehr schwierig. Dabei sei genau das ein Argument für den nachwachsenden Baustoff: Eine Deckung hält gute 25 Jahre und richtig ausgebessert deckt so ein Schilfdach schon einmal 100 Jahre. Die holländischen Dachdecker würden deshalb zögern, das chinesische Gras einzusetzen. »Es ist erst seit zehn Jahren am Markt, niemand weiß genau, wie beständig es ist«, sagt Schiwampl, und lenkt seinen Viertonner aufs Eis.