Wildkräuter sammeln
Spazieren plus: Unterwegs einfach Tee, Gewürz oder Hauptzutat eines Gerichts mitgehen lassen, so geht’s.
Zu spazieren und sich daran zu erfreuen, was Wald, Wiesen und Wegränder an Grünzeug atmosphärisch bieten, ist das eine. Bei mancher Pflanze auch eine Ahnung von den Einsatzmöglichkeiten in der eigenen Küche zu haben etwas anderes. Die gute Nachricht für alle, die sich hier derzeit noch damit ausgelastet fühlen, im Topf-Biokräutergarten aus dem Supermarkt Koriander und Petersilie zu unterscheiden: So vielfältig die Pflanzenwelt, fast so erwartbar, was am mitteleuropäischen Wegrand in Suburbia mit hoher Wahrscheinlichkeit – zumindest auch – zu finden ist.
Wofür ist das gut?
Die nächste gute Nachricht: Es ist nicht nur alles davon »für etwas gut«, das meiste davon sogar für den menschlichen Verzehr. Wild Wachsendes und Wucherndes wird von den meisten von uns grundsätzlich nicht auf den ersten Blick als Nahrung wahrgenommen. Und auch beim zweiten Blick dominiert noch die Vorsicht. Die ist grundsätzlich begründet, doch wer einen dritten Blick wagt und diesen ein wenig schult, wird belohnt. Holzmann erklärt das anhand eines Beispiels aus dem Garten: Das Beikraut (wer Unkraut sagt, outet sich als FeindIn des Wildwuchses) wächst dort, wo es die besten Bedingungen vorfindet – ganz im Gegensatz zu dem, was von uns gepflanzt wird und dann mit seinem Standort irgendwie klarkommen und gedüngt und gepflegt werden muss. »Die Beikräuter sind das, was wir statt des Salats wachsen lassen und essen sollten«, fasst es Wildkräuterguide Gerda Holzmann zusammen. Und sie verweist auf Vergleichsstudien, die den robusten Wildpflanzen eine höhere Nährstoffdichte als Kulturgemüse attestieren.
Heimelig neu
Wonach suchen wir also? Ein Wildkraut ist eine Pflanze, die in einer Region auch wild wächst – dem steht die Kulturpflanze gegenüber, die man anbauen muss. Gerda Holzmann betont: »Wildkräuter können auch eingeschleppte Pflanzen sein – zum Beispiel die Kanadische Goldrute und das Indische Springkraut.« Und nimmt vorweg: »Die Blüten und Samen des Springkrauts sind essbar. Die Blüten der Goldrute auch, sie sind frisch sehr dekorativ im Salat oder getrocknet einsetzbar als Teepflanze bei Nieren- und Blasenbeschwerden.« Was wir im Garten heute als »Klassiker« kultivieren, ist oft übrigens auch eingeschleppt. So ein Archäophyt ist etwa auch die aus der hiesigen Pflanzenapotheke bekannte Ringelblume, die im Mittelmeer auf sandigen Böden wild wächst. Es handelt sich hierbei um Pflanzen, die nicht wild heimisch sind und vom Menschen vor der sogenannten Entdeckung Amerikas (1492) eingebürgert wurden, erklärt Holzmann. So etwa auch der Klatschmohn oder die Kamille. Die Lebensräume von Pflanzen ändern sich entlang unserer Handels- und Reiserouten.
Gerda Holzmann ist Wildkräuterguide im nordostösterreichischen Waldviertel, unter ande-rem auch Leiterin des Qualitätsentwicklungsteams bei dem dort beheimateten Biokräuterhandelsunternehmen Sonnentor. Bild: Sonnentor.
Kräutersammeln ist ein pandemiekompatibles Hobby. Was die Menschen rund um die Kräuter am meisten beschäftigt, hat sich der Kräuterexpertin zufolge aber in letzter Zeit nicht verändert »Das Selbermachen und die Gesundheit sind die zentralen Motive. Kulinarisches erst in zweiter Linie.« Keineswegs nur etwas für Stadtmenschen ohne Naturbezug seien kräuterpädagogische Wanderungen: Zu ihren Touren kämen zur Hälfte StädterInnen, zur Hälfte Leute, die auf dem Land leben. »Die meisten Menschen wollen einfach wissen, was vor ihrer Nase wächst. Der Zugang kann schnell gelegt werden und das Universum der Anwendungsmöglichkeiten ist riesengroß«, betont Gerda Holzmann. Doch sie hat einen klaren Favoriten: Tee aus frischen Brennnesseln. »Da kann getrocknete Brennnessel nicht mithalten.« Doch auch hier ist Maßhalten angesagt: Bei frischen Pflanzen muss man sich auch ein neues Gefühl für Mengen aneignen. Die Faustregel laut Expertin: die doppelte bis dreifache Menge der Empfehlung für die jeweilige Pflanze im getrockneten Zustand. Ganz grundsätzlich betont sie, dass man bei Kräutertee nie mehr als drei Tassen täglich von einem Kraut trinken sollte. Bei einer zu hohen Dosierung sind Nebenwirkungen bei empfindlichen Menschen nicht auszuschließen. Und es ist davon auszugehen, dass wir einen Großteil des Wirkungsspektrums der Pflanzen vor unserer Haustür noch nicht kennen oder zumindest noch nicht ausreichend beforscht haben.
Schönwetterprogramm
Zu Mittag bei Schönwetter sollten Kräuter idealerweise gesammelt werden, aber was tun, wenn Uhrzeit und Wetter anderes sagen und man doch vor dem Kraut steht, das man gerne mitnehmen möchte? Holzmann besteht darauf: Wer Kräuter sammelt, um diese zu trocknen, muss auf einen Tag ohne Regen und Nebel warten und sollte auch nicht bei Tau sammeln. Auch bei Blüten braucht es mindestens einen trockenen Tag vor dem Sammeln. Aber zur direkten Verarbeitung kann man zumindest grüne Blätter auch auf der Regenwanderung mitnehmen.
Noch ausschlaggebender für Geschmack, Wirkung und Haltbarkeit als das Wetter sei die Jahreszeit: »Bei den Brennnesseln sind die Triebe, die ich im April ernte, die intensivsten und enthalten noch keine Bitterstoffe. Im Mai und Juni wird ihr Geschmack herber, im Oktober haben sie den besonders frischen Geschmack verloren und sind für die Zubereitung eines Brennnesselspinats schon fast zu fasrig.« Generell gilt: Bevorzugt werden die jungen Pflanzen, sie schmecken am besten und weisen die höchste Nährstoffdichte auf.
Wildes Pflücken
Dabei will alles, was wild wächst, mit Bedacht gepflückt werden: Der Fuchsbandwurm ist eine der prominentesten und gefährlichsten Gesundheitsbedrohungen, die man sich mit verunreinigten Wildkräutern (oder Beeren oder Pilzen …) einhandeln kann. Häufiger sind weniger gefährliche Verunreinigungen, durch Abgase in Straßennähe oder durch Ausscheidungen von Tier und Mensch. Holzmann betont: »Wo viele Tiere und Menschen unterwegs sind, sind Verunreinigungen stärker. Wege in Ballungsräumen, auf denen am Tag viele Hundert Leute mit Hund unterwegs sind, aber auch Kuh- oder Schafweiden sind kein guter Sammelort.« Um das Risiko zu minimieren, rät sie dazu, ein paar Meter abseits der Wege, ab Kniehöhe und immer mit sauberen Händen zu pflücken, das heißt auch: nicht zwischendurch auf den Boden zu greifen, wenn man zum Kräutersammeln unterwegs ist. »Wer ängstlich ist, kann auf rohen Verzehr der Kräuter verzichten«, rät Holzmann. Selbst hat sie wenig Bedenken, denn ihr sei bewusst, dass auch auf einem Salat im Supermarkt Verunreinigungen vorhanden sein können. Natur bedeutet eben: keine Laborbedingungen.
Nicht vor allen Haustüren des deutschsprachigen Raums wächst dasselbe. Manche Pflanzen wachsen nur in bestimmten Regionen, noch ausschlaggebender ist aber der Landschaftstyp, also etwa die Seehöhe und der Bodentyp.
Legal, illegal? Handstraußregel!
Was und wo darf überhaupt wild gepflückt werden? Es gibt kein allgemeines Recht aufs Kräutersammeln, doch eine Tradition dafür. Die Expertin betont, dass hierbei die Menge ausschlaggebend sein kann: »Den Eigenbedarf definiert die Handstraußregel: Sie misst einen Kräuterstrauß, den ich mit zwei Händen umfassen kann. Das wird auch in offenen Flächen wie Wiesen und Wald allgemein geduldet. Wenn der/die GrundbesitzerIn kommt und sagt ›Ich möchte das nicht‹, dann ist dem Folge zu leisten.« Generell empfiehlt Holzmann, immer nur zu sammeln, was auch üppig wächst. Man müsse auch immer etwa stehen lassen, damit man sowohl den Fortbestand der Pflanze als auch die Ernährung der Tiere nicht beeinträchtigt.
Buchtipp:
»Gesunde Wildkräuter aus meinem Garten erkennen, vermehren, nutzen« von Gerda Holzmann ist 2018 bei Löwenzahn erschienen. Mehr zur Kräuterpädagogin und Buschcrafterin unter gruen-kraft.at. Bild: Löwenzahn Verlag.