Wildkatze: Spürhunde zur Forschungsassistenz
Das Wissen über die europäische Wildkatze ist überschaubar. Ein grenzüberschreitendes Forschungsprojekt zwischen Österreich und Tschechien soll das nun ändern. Auch eigens ausgebildete Wildkatzen-Spürhunde kommen dabei zum Einsatz.
Der Bau beziehungsweise Erhalt einer „Waldviertel-Autobahn der Artenvielfalt“ schwebt Christian Übl, dem Direktor des Nationalpark Thayatal vor. In dem von seinem Nationalpark geleiteten grenzüberschreitenden Forschungsprojekt kommt die Wildkatze gewissermaßen als Wappentier und „sexy species“ zum Einsatz. Tatsächlich geht es auch um den Erhalt von wertvollen Moor-Lebensräumen, den Erhalt sowie den Bau von Wildtierkorridoren – und nicht zuletzt um sorgfältig geplante Auswilderungsprojekte, wie er im BIORAMA-Interview ausführt.
BIORAMA: Wie geht es denn der Wildkatze in Österreich?
Christian Übl: Das ist nach wie vor eine spannende Frage. In den letzten Jahren gab’s bei uns im Nationalpark nur wenig Forschungsaktivitäten. Seit dem Herbst letzten Jahres ist das anders. Unser grenzüberschreitendes INTERREG-Projekt „Connecting Nature“ wurde bewilligt. Ein wesentlicher Forschungsschwerpunkt im Nationalpark Thayatal wird dabei die Wildkatze sein. Wir haben im Februar mit der neuen Forschung begonnen, dabei kommen auch neue Erhebungsmethoden zum Einsatz (z. B. das Anfüttern von Wildkatzen). Derzeit prüfen wir eine aktuelle Sichtung im Umfeld des Nationalparks, die sehr vielversprechend ist. Außerdem gibt es immer wieder neue Hinweise aus der Wachau und dem Dunkelsteiner Wald.
Wildkatzen gibt es nicht nur bei Ihnen im Nationalpark Thayatal, sondern auch in Tschechien, im Bayerischen Wald und auch in Kärnten werden immer wieder einzelne Tiere nachgewiesen. Inwiefern stehen denn diese Populationen im Austausch?
Christian Übl: Diese Frage möchten wir im Rahmen unseren neuen Forschungsaktivitäten klären. Einerseits werden wir anhand von genetischen Untersuchungen die Verwandtschaft der Wildkatzenpopulationen erheben. Gibt es eine große Ähnlichkeit, so ist zumindest für die Vergangenheit ein Austausch belegt. Außerdem möchten wir mittels Geographischer Informationssysteme (GIS) darstellen, ob es mögliche Wanderrouten für die Wildkatzen gibt. Es ist zu befürchten, dass diese Wanderkorridore durch zahlreiche Hindernisse durchschnitten sind (z. B. Straßen, Siedlungen, Intensiv-Ackerland). Natürlich gibt es auch natürliche Barrieren. Ich denke, dass der Alpenhauptkamm und die Donau den Austausch von Wildkatzen-Populationen aus Kärnten und dem Waldviertel tatsächlich verhindern.
Sie haben bereits „Connecting Nature“ erwähnt, das EU-geförderte Projekt zur grenzüberschreitenden Vernetzung der Lebensräume der Wildkatzen in Österreich und Tschechien. Was konkret wird da passieren?
Christian Übl: Der Nationalpark Thayatal ist der Leadpartner in diesem Projekt, in dem insgesamt sechs niederösterreichische und fünf tschechische Organisationen zusammenarbeiten. „Connecting Nature“ wird mittels großräumiger Vernetzung über die Staatsgrenzen hinweg einen Beitrag zur Sicherung wichtiger ökologischer Funktionen der Landschaft leisten. Ziel ist die Erhaltung von Wildtier-Wanderkorridoren, welche Alpen, Böhmische Masse und die Karpaten verbinden. Etwas anschaulicher formuliert: wir wollen eine „Waldviertel-Autobahn der Artenvielfalt“ sichern und weiter ausbauen. In zwei Auswahlgebieten sind bereits konkrete Umsetzungen geplant. Flankierend dazu erfolgen länderübergreifende Maßnahmen und Abstimmungen zur Schutzgebietsbetreuung und zum Moorschutz. Weitere Ziele sind der Schutz und die Verbesserung von Natura 2000-Lebensräumen (vor allem Moore) und die Förderung der Biodiversität im grenzüberschreitenden Nationalpark Thayatal-Podyjí.
Wie sieht da die Rollenverteilung der beteiligten Projektpartner aus?
Christian Übl: Eine Besonderheit des Projektes „Connecting Nature“ ist die intensive Zusammenarbeit der österreichischen und tschechischen Partnerorganisationen. Im Projekt sind mit der Naturschutzabteilung der NÖ Landesregierung und der Agentur für Naturschutz der Tschechischen Republik öffentliche Verwaltungsstellen beteiligt. Diesen streben vor allem den Austausch im Bereich Schutzgebietsmanagement und eine Abstimmung der Natura 2000-Ziele an. Die Österreichischen Bundesforste AG, der Österreichische Naturschutzbund, das Institut für Botanik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und der Kreis Südböhmen kümmern sich um die Erhaltung von Moor-Lebensräumen und setzen gemeinsam aktive Verbesserungsmaßnahmen um.
In den Nationalparks Thayatal und Podyjí steht die Biodiversitätsforschung an erster Stelle. Wir wollen für unser grenzüberschreitendes Schutzgebiet untersuchen, wie viele verschiedene Pflanzenarten es gibt, welche Waldvegetationstypen hier vorkommen und welche Pilzarten von der Einstellung der wirtschaftlichen Nutzung profitieren.
Ein Kernoutput des Projekt ist die Erhebung und Sicherung von Wildtierkorridoren. Die Universität für Bodenkultur, die Agentur für Naturschutz der Tschechischen Republik, die NÖ Regional, die Österreichischen Bundesforste und die Kreise Südböhmen und Vysočina arbeiten hier zusammen. Die Wildkatze wurde zur Botschafterin unseres Projektes gemacht. An ihrem Beispiel zeigt sich, wie wichtig es ist, dass große Waldgebiete miteinander verbunden sind.
Zurück zur Wildkatze: Wie sehr haben wir es denn heute überhaupt noch mit genetisch eindeutigen Wildkatzen zu tun?
Christian Übl: Prinzipiell muss man zwischen verwilderten Hauskatzen (Felis silvestris lybica) und echten Wildkatzen (Felis silvestris silvestris) unterscheiden. Verwilderte Hauskatzen können zwar ebenfalls extrem scheu und auch sehr wild sein, sind aber dennoch keine Wildkatzen. Wildkatzen tolerieren wilde Hauskatzen nur sehr selten in ihren Revieren. Beim Fehlen anderer Partner kann es während der Paarungszeit allerdings dazu kommen, dass sich Hauskatzen und Wildkatzen kreuzen. Hier fehlen in Österreich noch Daten. Aus anderen Ländern weiß man, dass der Grad der Hybridisierung sehr unterschiedlich sein kann. In Schottland sprechen Studien davon, dass es nur noch wenige „echte“ Wildkatzen gibt, in Deutschland hat eine neue Untersuchung einen Hybridisierungsgrad von 3 % festgestellt.
„Nach letzten Fängen 1902 bei Strasshof an der Nordbahn, in den Wintern 1902/3 am Bisamberg und 1909/10 bei Niederkreuzstetten sowie 1912 im Wassertal südlich von Lilienfeld wurde keines dieser Wildkatzen-Vorkommen mehr bestätigt.“ Würde man an genannten Orten Wildkatzen überhaupt erkennen, falls es dort noch welche geben sollte?
Christian Übl: Wildkatze sind sehr scheue Tiere, außerdem sind sie dämmerungs- und nachtaktiv. Es ist daher kaum möglich, Wildkatzen in freier Wildbahn zu beobachten. Allerdings werden sie häufig auch bei Wildtierfütterungen oder Kirrungen von Fotofallen festgehalten. Sie suchen diese Fütterungen gezielt auf, da bei dem Körnerfutter häufig auch Mäuse zu finden sind. Auf den Fotofallenbildern kann man Wild- und Hauskatze aufgrund ihrer Rückenstreifen und dem kräftigen Schwanz mit den nicht verbundenen schwarzen Ringen sehr gut unterscheiden. Im Rahmen der Plattform Wildkatze diskutieren wir oft sehr lange über die einzelnen Bilder, die uns von Jägern und Naturfotografen zugeschickt werden.
Was sind denn aus Sicht des Nationalpark Thayatal die drängendsten Forschungsfrage zur Wildkatze?
Christian Übl: Spannend ist für uns die Frage, wo es im Umfeld des Nationalparks überall Wildkatzen gibt, und ob es sich dabei um eine Population handelt, die sich selbst erhalten kann. Wir möchten bei unserem neuen Projekt auch eine Bestandesstützung prüfen.
„Bestandesstützung“ bedeutet eine Auswilderung von Wildkatzennachwuchs aus Zoos und Wildparks, richtig?
Christian Übl: Wir erforschen bereits seit mehr als zehn Jahren die Wildkatze im Nationalpark. Erfreulich ist, dass die Wiederentdeckung der Wildkatze im Thayatal österreichweit großes Interesse gefunden hat. Zahlreiche Hinweise und Bilder werden seither der österreichischen Meldestelle Wildkatze beim Naturschutzbund in Salzburg übermittelt. Gleichzeitig bleibt die Wildkatze aber ein Phantom. Manchmal häufen sich in einer bestimmten Region die Hinweise, dann hört man wieder über längere Zeit nichts von ihr. Wir denken daher, dass es aktuell nur kleine, verborgene Populationen gibt. Unser Ziel ist es aber, dass die Wildkatze in Österreich wieder in einer großen, stabilen Population heimisch wird. Um diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen, prüfen wir im aktuellen Forschungsprojekt auch die Durchführung eines Bestandesstützungskonzeptes. Wichtig ist uns dabei, die vorhandenen Lebensräume zu beurteilen. Ohne die passende Habitate können die Wildkatzen nicht überleben. Ebenso spannend ist die Frage, ob die scheuen Waldkatzen aus benachbarten Populationen aus Deutschland oder der Slowakei zuwandern werden. Zu klären ist auch die Frage der genetischen Herkunft der Elterntiere bzw. die erforderliche Anzahl, die für den Populationsaufbau erforderlich ist.
In anderen Ländern gab es bereits mehrere Auswilderungen von Wildkatzen, ein Projekt in Bayern konnte ich persönlich kennenlernen. Bei vielen Projekten ging oft der Wille für das Werk. Häufig wurde der Nachwuchs aus Zoos in eine mehr oder weniger geeignete Umgebung gebracht, die Transportbehälter wurden geöffnet und die Tiere verschwanden in den Wald. Hier hat sich viel geändert. Heute werden die Lebensräume sorgfältig ausgewählt, oftmals gibt es eine Auswilderungsstation, um die Tiere auf das Leben in Freiheit vorzubereiten bzw. um eine Rückkehr zur Futterstelle zu ermöglichen. Mittels GPS-Sender kann das Bewegungsverhalten ausgewilderter Tiere beobachtet werden, das funktioniert sogar über das GSM-Mobilfunknetz! Auswilderungsprojekte müssen gut vorbereitet werden. Bei der Kostenplanung muss man berücksichtigen, dass ein Populationsaufbau über längere Zeit finanziert werden muss. Mitunter sind gute Projekte auch zum Scheitern verurteilt, wenn es an Akzeptanz fehlt. Bei der Wildkatze, deren Nahrung zu fas 90 Prozent aus Mäusen besteht, bin ich aber optimistisch!
Im Zuge des Projekts sollen erstmals auch sogenannte „Wildkatzenspürhunde“ zum Einsatz kommen. Wie kann man sich das vorstellen?
Christian Übl: Seit mehreren Jahren werden in Österreich Hunde zu Wildkatzen-Spürhunden ausgebildet. Leo Slotta-Bachmayer von der Plattform Wildkatze hat diese Methode in Österreich als Erster umgesetzt. Dabei werden Hunde trainiert, den Duft von Wildkatzen-Kot aufzuspüren. Diese Probe kann man genetisch analysieren und erhält so den Nachweis über die Anwesenheit der Wildkatze. Unser Nationalparkförster Wolfgang Riener hat seinen Border-Collie zum Wildkatzen-Spürhund ausgebildet. Er war erst vor wenigen Wochen erfolgreich bei uns im Einsatz, aktuell warten wir auf das Ergebnis der genetischen Analyse.
Ende Mai eröffnet auch das „Wildkatzen Camp“, eine Unterkunft für Schüler und Jugendliche direkt im Nationalparkwald. Können sich Schulen im Zuge von Exkursionen oder Schullandwochen auch aktiv an der Wildkatzenforschung beteiligen?
Christian Übl: Das Wildkatzen Camp liegt direkt neben dem Nationalparkwald. Es handelt sich dabei aber nicht um ein neues Wildkatzengehege, sondern um eine Unterkunft für Schüler und Jugendliche, die ihre Projekttage im Nationalpark verbringen. Die Schüler werden bei ihrem Aufenthalt viel Zeit in dem angrenzenden Wildkatzen-Lebensraum verbringen. Je nach Programmwahl ist es möglich, einen Ranger beim Besuch eines Lockstockes zu begleiten und nach Wildkatzen-Spuren zu suchen. Auch Nachtexkursionen in den Wildkatzen-Wald sind möglich. Unser Ziel ist es, dass die Kinder im Wildkatzen Camp wilde Abenteuer und intensive Naturerfahrungen erleben – getreu unserem Motto „Frei und wild wie eine Wildkatze!“
Weiterlesen zum Thema Wildtiere? BIORAMA beschäftigt sich laufend mit dem Thema Wildkatze, Luchs und Wolf, aber auch unscheinbareren Tieren wie etwa der Haselmaus. Unter dem Titel #Massentigerhaltung haben wir uns schwerpunktmäßig dem ökologischen Dilemma der Hauskatzen-Überpopulation gewidmet – und dabei u. a. angesehen, wie Neuseeland bis 2050 „predator free“ werden soll.