Warum Wild nie bio ist und wir es trotzdem essen sollten
Im Rahmen der #FairFair15 traf sich eine illustre Runde, um unter dem Vorsitz von Thomas Weber über die Jagd zu philosophieren. Ein mutiges Thema für eine urbane Messe für urbanes Publikum in urbanem Umfeld. Aber das Experiment gelang.
Die Diskussion ähnelte einem dynamisch gesteckten Slalom. Flüssige Fahrt, die wesentlichen Punkte gestreift, hie und da ein paar Ecken und Kanten aber insgesamt erstaunlich erfreulich zu beobachten. Die Diskutanten scheinen sich vorab geeinigt zu haben, dass die Grundsatzfrage, ob wir Tiere töten dürfen nicht gestellt wird. Die entsprechende Legitimation gilt bei diesem Dialog als beantwortet.
Beginnen wir mir Florian Holzer, dem Gastro-Kritiker der Runde. Standesgemäß begann er sein Eingangsstatement mit der Kritik über die einfalls- und belanglose Wildküche der heimischen Gastronomie und meinte damit zweierlei: zum Einen könne er weder Hirschgulasch noch Rehfilet mehr sehen und sehnt sich nach mehr Kreativität und Rückbesinnung auf Wildgerichte mit Tradition und Geschmack. Alleine bei der Aussprache von ‚Hase im Pfeffer’ änderte sich seine Physiognomie und die Augen des Kritikers begannen zu strahlen. In diesem Punkt sind sich die Teilnehmer übrigens rasch und alle einig. Zum Anderen weist er auf den für ihn fast wesentlichsten Punkt bei der Qualität von Wildfleisch hin: die Herkunft.
„Ich habe zu viel in meinem Berufsleben gesehen, um noch seelenruhig Fleisch essen zu können.“
Damit trifft er auch eines der Kern-Argumente von Rudolf Winkelmayer, dem pensionierten Amtstierarzt und Ex-Jäger. Ex-Großwildjäger, der in seiner Jugend auch den einen oder anderen Elefanten vor der Flinte hatte. Dann allerdings 180 Grad-Wende und jetzt jagt der Jäger nicht mehr und tut sich auch mit dem Carnivoren in sich schwer. „Ich habe zu viel in meinem Berufsleben gesehen, um noch seelenruhig Fleisch essen zu können.“
Also achtet auch er auf Herkunft. Und mehr noch, als auf Herkunft darauf, dass das Wild aus freier Wildbahn kommt. Also wirklich wild. Anmerkung: im Gegensatz zu Gehege. Der Unterschied ist relevant, weil dieser Punkt in der Diskussion eine Spur zu schnell und zu einig abgehandelt wurde. „Kann Wild bio sein?“ war der Aufhänger der Diskussion. Die Hüftschuss-Antwort (die auch durchaus vernünftig ist) lautet: nein, denn ich kann bei Wild ja nicht kontrollieren und steuern, was es frisst, und damit ist die Bio-Zertifizierung hinfällig. Dagegen spricht, dass ich das in einem Wildgehege sehr wohl kann. In der Steiermark gibt es zwei davon. Die Betreiber haben gemeinsam mit der Bio-Kontrollstelle die Richtlinien dafür erarbeitet. Die Frage der Sinnhaftigkeit ist eine andere. Jene nach der Fleischqualität ebenso und davon, dass wir in diesem Fall nicht von Jagd, sondern von Nutztierhaltung sprechen, reden wir gar nicht.
Erich Hofer sieht die Jagd pragmatisch, spricht aber mit Enthusiasmus und Leidenschaft darüber. Er ist Jäger (und das seit frühester Jugend) im Waldviertel und einer der bedeutenden Direktvermarkter in diesem Bereich und schätzt Wildbret als hochwertiger ein als Bio-Fleisch. Als problematisch erachtet Hofer die fehlende Kennzeichnung. Hirsch auf der Speisekarte bedeute auch in guten Restaurants nicht automatisch, dass das Fleisch regionalen Ursprungs ist. Nicht selten stammt es aus Gatterhaltung – und vom anderen Ende der Welt. Wie immer empfiehlt es sich, vor dem Bestellen nach der Herkunft zu fragen. Darüber hinaus verteidigt Hofer mit Kraft und Leidenschaft die jagdlichen Rituale und sieht den kulturellen Kontext dahinter. Jäger als „schwer bewaffnete Alkoholiker, die durch den Wald ins Wirtshaus gehen?“. Auf Florian Holzers (recht zarte) Andeutung nach der Bedeutung von Alkohol bei der Jagd geht der Jäger elegant nicht ein. Soll heißen: nicht nennenswert. Und belegt es durch eine überraschend kleine Zahl an Jagdunfällen. Schließlich outet sich Hofer als Ressourcenverwerter, der stolz darauf ist, das ganze Tier zu verwerten, nicht nur die sogenannten „Edelteile“. Ein mutiger Vorschlag kommt von Teresa Valencak von der Veterinärmedizinischen Uni. Die Wissenschafterin und Jagdscheinaspirantin schlägt vor, Roadkill zu essen. Also Wild, das von Autos angefahren wurde und an Ort und Stelle verendet ist. (Anmerkung des Autors: ich habe auf einer meiner Reisen einen Kanadier kennengelernt, der sich fleischmäßig seit mehreren Jahren ausschließlich ‚roadkillvore’ ernährt.) Der ehemalige Amtstierarzt scheint im ersten Moment gar nicht zu glauben, dass das Anliegen ernst gemeint sei, schüttelt zuerst sich, dann heftig den Kopf und argumentiert entlang der Hygiene-Verordnung. Lebendkontrollen, Kontinuität in der Überwachung, virulogische Unsicherheit und so weiter. Ausdiskutiert wurde das Thema nicht. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass immer dann thematisch was weitergeht, wenn am Schluss mehr Fragen als am Beginn übrig bleiben.
Zu wenig köstliche Wildschwein-Salami in Österreich
So übrigens auch bei einem aktuellen Spezialthema im Kontext der Jagd in Österreich. Den Wildschweinen. Es gibt Stimmen, die bereits von einer Wildschweinplage sprechen. Die Jagd-Experten stimmen der Populationsausweitung grundsätzlich zu, relativieren aber die drastische Darstellung und nennen Zahlen, die das belegen. Der Gastro-Kritiker bedauert dagegen, dass es in Österreich scheinbar nicht möglich ist, aus dem – und da sind sich wieder alle einig – köstlichen Wildschweinfleisch ähnlich gute Rohschinken oder Salamis zu machen. Andere (Länder) könnten es schließlich auch.
Abschuss zum Abschluss. Florian Holzers letzte Frage ist gut vorbereitet und zielt mit der Genauigkeit des Präzisionsgewehrs eines Scharfschützen ins Herz der österreichischen Fleischindustrie. Gestellt wurde sie an den pensionierten Amtstierarzt, aber natürlich auch an Teresa Valencak und Erich Hofer. Die Annahme: Wenn der Waidschuss so ein stressfreies Töten ist, wie Jäger immer wieder argumentieren, warum ist der dann nicht bei der Schlachtung von Nutztieren (konkret bei Schweinen und Rindern) zugelassen? Es ist eine Frage, die natürlich in diesem Kontext nicht (befriedigend) beantwortet werden kann. Wir haben Leute und Projekte, die sich bei diesem Thema weit hinauslehnen, und die Reaktionen und Wortmeldungen auf Facebook zeigen, wie emotional aufgeladen das Thema ist. Die Bürokratie bringt postwendend Hygiene und entsprechende EU-Verordnungen ins Spiel, Befürworter die Lebens- und Fleischqualität ihrer Tiere.
In diesem Sinne: Es ist nicht notwendig, Feretarier zu werden. Aber wenn man Fleisch isst, sollte es durchaus auch einmal etwas wilder zugehen. Die Zeit ist günstig. Haltet Ausschau nach Steinbock, Gams und Murmeltier!