Wie weit darf Bio gehen?

AloisPosch01CMYK_FotoGessl

Foto: Reinhard Geßl/Fibl

Sind Kompromisse bei Weidehaltung für Konsumenten akzeptierbar? Eine Frage und ein Plädoyer von Alois Posch.

Die Regeln für die biologische Landwirtschaft sind europaweit einheitlich festgelegt. Das heißt, dass verschiedene Bioprodukte zwar einen einheitlichen Grundstandard erfüllen, es aber durchaus verschiedene zusätzliche Auflagen verschiedener Gruppierungen gibt. Für mich wesentlich ist der Unterschied zwischen flächenbezogenem und gesamtbetrieblichem Denken. Die EU-Bio-Verordnung verlangt natürlich die genaue Einhaltung der Regeln – allerdings nur auf jenen Flächen, auf denen deklariert biologisch erzeugt wird. Es ist also durchaus möglich, dass ein Teil der Betriebsflächen konventionell und ein Teil biologisch bewirtschaftet wird. Manche Konsumenten meinen nicht zu Unrecht, dass bei derart agierenden Bauern die Einstellung nicht wirklich der biologischen Wirtschaftsweise entspricht. Man könne schließlich nicht gegen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sein – und trotzdem welche anwenden. Die Mehrheit der Biobauern in Österreich tritt daher dafür ein, dass jeweils der gesamte Betrieb biologisch bewirtschaftet wird. (Beim größten Biobauernverband Bio Austria ist dieses Prinzip auch Grundvoraussetzung für eine Mitgliedschaft.)

Gesamtbetriebsumstellung ist etwas Besonderes

Auch in der einzelbetrieblichen Förderung der Biobauern wurden die Bauern gedrängt, den gesamten Betrieb umzustellen. In der Bewirtschaftung der einzelnen Flächen gibt es weniger Probleme, da jede hinzugekommene (z.B. gepachtete) Fläche einfach so bewirtschaftet wird wie die anderen auch schon (die Produkte dieser Flächen dürfen in der Umstellungszeit aber nicht als „biologisch erzeugt“ gekennzeichnet werden). Voraussetzung ist natürlich, dass diese den Grundanforderungen entsprechen.  (Flächen mit überhöhten Gehalten an schädlichen Stoffen dürfen nicht als biologisch bewirtschaftet ausgewiesen werden, beispielsweise Flächen, die unmittelbar an Autobahnen angrenzen und nicht durch spezielle Maßnahmen wie durch eine Busch-Baumreihe geschützt sind).

Die Tierhaltung ist allerdings wesentlich stärker von den lokalen Bedingungen abhängig, sodass die neuen strengeren Bestimmungen hinsichtlich der Weidepflicht (Art. 14 (1) b) iii)) manche Betriebe vor große Probleme stellen. Der Anteil dieser betroffenen Betriebe mag relativ klein sein, für den einzelnen Betrieb können manche der neuen Bestimmungen allerdings gravierende Schwierigkeiten bedeuten.

Weidehaltung kann auch Gefahr für Tier und Mensch bedeuten

Vor allem jene Betriebe, die in den reich gegliederten Übergangslagen vom Ackerbau zum Grünland Tiere halten, haben das konkrete Problem, dass die Ställe in den Dörfern liegen, die Wiesen allerdings ziemlich weit entfernt außerhalb des Dorfbereichs, und dass die Tiere nur über stark befahrene Straßen zu den Weiden gebracht werden können. Eine Bäuerin mit kleinen Kindern, deren Mann einem Nebenerwerb nachgeht, kann unmöglich ohne fremde Hilfe die Tiere unter Einhaltung der verkehrsrechtlichen Vorschriften täglich zweimal über die Straße geleiten.

Kompromiss zum Wohl des Menschen

Wenn man einzelflächenbezogen denkt, wäre die Konsequenz, dass die Grünlandflächen nun konventionell bewirtschaftet werden müssen und die Tierhaltung nach konventionellen Kriterien passieren muss, und dass nur mehr die Ackerflächen nach Bio-Kriterien bestellt werden können. Ganzbetrieblich gedacht könnte der Betrieb folglich nicht einmal mehr seinen Weizen als Bio-Weizen vermarkten.

Da es auf Betrieben aber neben Pflanzen und Tieren immer auch Menschen gibt, deren Wohl bei Bio eine Rolle zu spielen hat, bin ich der Meinung, dass der Konsument auch Kompromisse akzeptieren sollte – soweit das Tierwohl dadurch gewährleistet bleibt. Natürlich muss gewährleistet sein, dass die Tiere eines Bio-Betriebs regelmäßig in den Auslauf kommen und auch garantiert Biofutter erhalten, welches nicht durch Rückstände und gentechnisch veränderte Organismen belastet ist. Der Kompromiss wäre, dass es in kleinem Umfang möglich ist, das Biofutter im Stall zu verabreichen und dass es die Tiere nicht selbst auf der Wiese fressen. Es wird aber nicht akzeptiert, dass der Betrieb keine Weidehaltung anbietet; zumindest ein Teil der Tiere muss auf der Weide sein.

Die Frage ist nun: Können Bio-Konsumenten so einen Kompromiss mittragen? Oder erwarten sie jedenfalls, dass Grünfutter von allen grasfressenden Tieren selbst auf der Weide aufgenommen werden müssen?

 

Alois Posch

AD PERSONAM:

Alois Posch, aufgewachsen auf einem Bauernhof in der Südoststeiermark, studierte an der Universität für Bodenkultur in Wien und und übernahm 1988 im österreichischen Lebensministerium ein zartes Pflänzchen in Form einer Bio-Abteilung. Mit seiner unvergleichlich bescheidenen Art hat er sich unermüdlich und oft gegen harte Widerstände für „seine“ Biologische Landwirtschaft als Speerspitze einer umweltgerechten, artgemäßen, biodiversen und nachhaltigen Landwirtschaft eingesetzt. Inzwischen die wohlverdiente Pension genießend, schreibt er in unregelmäßigen Abständen als Biolois für biorama.eu

 

Zusatz:

Alter Verordnungstext betreffend Tierhaltung:

1. Allgemeine Grundregeln

1.4. Die ökologische Tierhaltung wird flächengebunden betrieben. Sofern keine Ausnahmeregelung gemäß diesem Anhang vorliegt, müssen die Tiere Auslauf haben; die Tierbelegung je Flächeneinheit ist so zu begrenzen, daß Pflanzenbau und Tierhaltung in der Produktionseinheit miteinander kombiniert werden können und jede Belastung der Umwelt, insbesondere des Bodens, der Oberflächengewässer und des Grundwassers, auf ein Minimum reduziert wird. Der Tierbesatz ist unmittelbar an die verfügbaren Flächen gebunden, um Probleme infolge einer Überweidung und Erosion zu verhindern und die Ausbringung tierischer Ausscheidungen zu ermöglichen, so daß nachteilige Effekte auf die Umwelt vermieden werden. Ausführliche Vorschriften über die Verwendung von Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft sind in Abschnitt 7 enthalten.

–>> Verordnungstext zum Download

 

VERWANDTE ARTIKEL