Wie kreuze ich zwei Tomatensorten?

Bild: Flickr, Dwight Sipler, CC BY 2.0

Bild: Flickr, Dwight Sipler, CC BY 2.0

Eine Paradeiserkreuzung durchzuführen ist keine Hexerei und lässt sich auch im eigenen Garten problemlos bewerkstelligen. Mit etwas Geduld erhält man damit einen Einblick in die faszinierende Welt der Pflanzenzüchtung und mit noch etwas mehr Ausdauer entsteht nach einigen Jahren gar eine eigene Haussorte. 

Wieso denn überhaupt Kreuzungen durchführen?

Eigentlich ist der domestizierte Paradeiser ein recht entschlossener Selbstbefruchter. Das bedeutet jede Pflanze bestäubt die Samen ihrer Früchte selbst. Kurz gesagt ist dies auch der Grund, weshalb Tomaten sehr einfach ohne aufwändige Isolationsmaßnahmen sortenrein über Saatgut vermehrt werden können. Nur selten kommt es zu einem Pollenaustausch mit anderen Pflanzen, sei es durch Wind oder eine kleine Wildbiene. Aber nicht nur Insekten sondern auch der Mensch greift seit langem in die Fortpflanzung der Tomate ein. Und genau dadurch haben wir über Jahrhunderte der Kulturpflanze zu ihrer heutigen faszinierenden Vielfalt verholfen.

Diese Interaktion zwischen uns und der Tomate ist keinesfalls abgeschlossen und auch in Hausgärten kann man Paradeisern durchaus etwas Raum zur Weiterentwicklung gönnen. Mit einer einfach durchzuführenden Kreuzung zwischen zwei Tomatensorten legt man den dafür nötigen Grundstein, bringt eine gehörige Portion Schwung in die ganze Sache und eine spannende Vielfalt ins eigene Tomatenbeet. Der Fantasie und Kreativität sind dabei keinerlei Grenzen gesetzt. Letztendlich sind es gerade verschiedenartige Umwelten und die unterschiedlichen Vorlieben von GärtnerInnen, die unsere Kulturpflanzendiversität entstehen ließen und lassen. Die meiste Zeit war die Begegnung zwischen Mensch und Paradeiser ausgesprochen vielschichtig, spontan und dezentral. Es ist letztendlich diese Vielfältigkeit an Situationen, die in ihrer Konsequenz zur Vielfalt an Sorten führt.

Es lohnt sich also die Experimentierfreudigkeit im Dienste der Kulturpflanzendiversität wieder auszupacken. Aber ganz abgesehen von der gesamtgesellschaftlichen Dimension zeichnet sich züchterische Betätigung vor allem dadurch aus, dass sie fasziniert und Spaß macht! Und ob wir dabei die Züchtungsziele die wir uns selbst stecken auch tatsächlich erreichen, ist vorerst auch mal nebensächlich. Ob Überraschung, Erfolgserlebnis oder Enttäuschung – was stets bleibt, ist die Möglichkeit unseren Blick auf Biodiversität spielerisch zu erweitern. Und darüber hinaus können wir all unsere Experimente dann auch noch verspeisen.

Was muss ich dabei beachten?

Möchte man sich als TomatenzüchterIn versuchen, ist es zielführend, sich erst mal mit der Paradeiserblüte ein wenig vertraut zu machen. Wie die meisten Nachtschattengewächse besitzt auch die Tomate sogenannte Zwitterblüten. Dies bedeutet, dass weibliche und männliche Geschlechtsorgane in jeder Blüte gemeinsam vorhanden sind. Jede Pflanze, ja jede Blüte, ist somit von Natur aus weiblich und männlich zugleich. Der weibliche Teil der Blüte wird als Stempel bezeichnet. Er umfasst den Fruchtknoten an der Basis der Blüte und den langen schmalen Griffel, an deren Ende die Narbe sitzt (in der Abbildung die besonders hell gefärbten Blütenorgane). Rund um den Griffel sind die männlichen Staubgefäße zu einer sogenannten Antherenröhre verwachsen. Je nach Sorte ragt die Narbe mehr oder weniger aus dieser Röhre hervor. Die „klassischen“ gelben Blütenblätter bezeichnen BotanikerInnen gerne als Kronblätter. Die weiter außen liegenden Kelchblätter sind hingegen grün gefärbt und verbleiben bis zur Ernte am Stielansatz der Frucht.

Die Narbe, der weibliche Teil der Zwitterblüte, wird bereits 15 bis 20 Stunden vor dem Aufblühen geschlechtsreif und bleibt dies mehrere Tage lang, bis kurz vor dem Welken der Blüte. Der Paradeiserpollen wird hingegen erst bei vollständig geöffneter Blüte ausgestreut und bleibt bei gewöhnlichen Temperaturen 2 bis 5 Tage lebensfähig, gekühlt bei 5 °C ist er sogar mehrere Monate lagerbar. Der Höhepunkt der Pollenausschüttung findet etwa zwischen 8 und 10 Uhr vormittags statt, weshalb dies auch die beste Zeit zur Durchführung der Kreuzungen ist. Landet Pollen auf der Narbe, kommt es, sofern die Bedingungen passen, 1 bis 2 Tage nach der Bestäubung der Blüte zu einer Befruchtung. Dadurch vergrößert sich der Fruchtknoten in weiterer Folge zu einer Paradeiserfrucht, in der die Samen heranwachsen. Jedes Samenkorn hat jeweils eine Hälfte ihrer Erbanlagen von der Eizelle und die andere vom Pollen mitbekommen.

Über Jahrhunderte hat der Mensch bevorzugt jene Tomatenpflanzen angebaut, die auch unter ungünstigen Bedingungen mit Sicherheit Früchte ansetzen. Dadurch wurde eine Blütenmorphologie gefördert, die Selbstbefruchtung erleichtert. Die heute verfügbaren Kultursorten des Paradeisers können daher als selbstbefruchtend betrachtet werden. Der oben beschriebene Bestäubungsprozess findet somit in den allermeisten Fällen innerhalb einer Blüte statt. Ein Pollenaustausch zwischen zwei unterschiedlichen Blüten stellt die Ausnahme dar. Möchten wir aber züchterisch tätig werden, ist genau dieser Austausch unser Ziel. In weiterer Folge wird nun im Detail beschrieben, wie wir wieder Abwechslung in das einsame Leben einer Paradeiserblüte bringen.

Was benötige ich dafür?

Um Tomatenkreuzungen erfolgreich durchführen zu können, reichen einige einfache Utensilien vollkommen aus:

  • Pinzette
  • Stimmgabel
  • Papierstreifen (oder auch Spatel, Glasbehältnisse, etc…)
  • 70% Ethanol (in Apotheke erhältlich)
  • Taschentücher
  • Etiketten
  • Bleistift

Die hier beschriebene Methode ist natürlich nur eine von vielen möglichen Varianten Tomatenkreuzungen durchzuführen. Bei unseren eigenen Versuchen haben sich die dargestellten Techniken besonders bewährt. Dies soll aber nicht davon abhalten eigene Methoden auszuprobieren und mit vorhandenen Materialien zu arbeiten. Mit geschickten Fingern und einem guten Gedächtnis ist es grundsätzlich sogar möglich vollkommen ohne Hilfsmittel Paradeiserkreuzungen durchzuführen.

Und wie funktioniert das jetzt mit der Kreuzung?

1- Auswahl der Eltern

Am Beginn jedes Kreuzungsvorhaben steht die Entscheidung welche Tomatensorten man kombinieren möchte. Klassischerweise kreuzt man in der Züchtung eine Sorte mit einer gewünschten Eigenschaft (z. B. Geschmack) mit einer zweiten Sorte, die eine andere vorteilhafte Eigenschaft mitbringt (z. B. Fruchtfarbe). Im Idealfall findet man unter den Nachkommen dann eine Pflanze, die beide Eigenschaften vereint (guter Geschmack und schöne Farbe).

02 Auswahl der Blüten

2 – Auswahl der Blüten

Nun suchen wir an der Pflanze, die als „Mutter“ verwendet werden soll (also später die Früchte mit den gekreuzten Samen trägt), eine geeignete Rispe und Blüten im passenden Stadium. Wichtig dabei ist, dass es sich um Blüten handelt, die noch keinen Pollen schütten, da sonst vermutlich bereits eine Selbstbefruchtung stattgefunden hat. Wir wählen daher Blüten, die sich noch nicht, oder gerade erst ein wenig geöffnet haben (noch blassgelb, Blütenblätter weniger als 45 °C offen).

03 Freistellen der Blüte

3 – Freistellen der Blüten

Bevor wir nun mit den ausgewählten Blüten zu arbeiten beginnen, entfernen wir alle übrigen Blüten der Rispe. Denn aus nahe gelegenen älteren Blüten könnte unkontrolliert Pollen auf unsere Kreuzungen rieseln. Außerdem wird nun die gesamte Energie der Rispe in die Kreuzungsfrüchte gelenkt und nicht zuletzt sind diese später leichter wiederzufinden und Verwechslungen werden ausgeschlossen.

04 Entfernen der Kelchblätter

4 – Entfernen der Kelchblätter

In einem ersten Schritt werden nun die Spitzen der grünen Kelchblätter entfernt, damit wir besser an die inneren Teile der Blüte gelangen.

05a Entfernen der Kron- und Staubblätter I 05b Entfernen der Kron- und Staubblätter II

5- Entfernen der Kron- und Staubblätter

Nun kommt es zur eigentlichen Kastration, wodurch wir die Zwitterblüte zu einer rein weiblichen Blüte machen. Sämtliche gelb gefärbten Blütenteile werden mit der Pinzette vorsichtig entfernt, damit nur der Griffel samt Narbe zurückbleibt. Manchmal gelingt es, die zu einer Röhre verwachsenen Antheren samt den Blütenblättern auf einmal herunterzuziehen (linkes Bild). Dies ist jedoch nicht bei allen Sorten gleichermaßen möglich. Teilweise kommt man um ein schrittweises Entfernen der männlichen Staubgefäße nicht herum (rechtes Bild).

06 Sammeln des Pollens

6 – Sammeln des Pollens

Nun kann von der gewünschten Vaterpflanze der Pollen gesammelt werden. Dazu eignen sich vibrierende Gegenstände, mit denen auf einfache Weise der Pollen aus den Blüten (sofern sich diese im richtigen Stadium befinden) herausgeschüttelt werden kann. Bewährt hat sich die Verwendung einer Stimmgabel. Der Pollen kann, wie am Foto, mit einer entsprechenden Spatel aufgefangen werden, oder noch einfacher mit einem gefalteten Papierstück. Dunkles Papier erleichtert dabei das Erkennen des Pollens. Auch Glasbehältnisse, bevorzugt dunkel gefärbt, können für diesen Zweck verwendet werden.

07 Bestäubung der Narbe

7 – Bestäubung der Narbe

Im nächsten Schritt wird nun der gesammelte Pollen auf die kastrierten Blüten übertragen. Vorsichtig taucht man den vorderen Teil des Griffels in den Blütenstaub. Dabei ist gut erkennbar, wie der Pollen an der klebrigen Narbe haften bleibt.

08 Etikettierung

8 – Etikettierung

Damit man später die gekreuzten Früchte auch wiederfindet, ist eine gute Beschriftung an der Pflanze sehr wichtig. Die gängige Schreibweise sieht vor, dass zuerst die Muttersorte geschrieben wird („Mutter x Vater“).

9 – Isolation

Möchte man eine spätere, unbeabsichtigte Verkreuzung oder Selbstbefruchtung mit Sicherheit ausschließen, können die bearbeiteten Blüten mit Säckchen isoliert werden. Auf alle Fälle sollten höher stehende Blüten in unmittelbarer Nähe entfernt werden, um zu verhindern, dass der eigene Pollen der Pflanze nachträglich doch noch auf die frisch angelegten Kreuzungen rieselt. Führt man weitere Kreuzungen mit anderen Sorten durch, sollte dazwischen unbedingt darauf geachtet werden, eine versehentliche Übertragung von Pollen auszuschließen. Daher gründlich Hände waschen, sowie die Werkzeuge in Alkohol tauchen und vor dem nächsten Gebrauch mit einem Taschentuch trocken wischen.

Und was mach ich dann?

Erst mal heißt es abwarten und beobachten ob die künstliche Befruchtung tatsächlich erfolgreich war. Wenn alles geklappt hat, entwickeln sich wie üblich Früchte aus den bearbeiteten Blüten. Die Erfolgsquote hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Feinmotorisches Geschick ist das eine, aber auch Witterung und Zustand der Pflanzen beeinflussen das Ergebnis. Generell sollten stets mehrere Wiederholungen einer Kreuzung angelegt werden, weil erfahrungsgemäß meist nicht alle erfolgreich sind. Wichtig ist auch zeitig am Vormittag zu starten und einen Zeitpunkt früh im Jahr auszuwählen, damit die Früchte auch ausreifen können. Nach Möglichkeit sollte man eine nicht zu heiße Wetterperiode abwarten, da Hitze den Fruchtansatz entscheidend reduzieren kann.

Selbst wenn nicht gleich alle Versuche von Erfolg gekrönt sind, gelingt mit ein bisschen Übung und Geduld sicher bald die erste Paradeiserkreuzung im eigenen Garten. Die gekennzeichneten Früchte werden dann separat geerntet und die Samen wie üblich mittels Vergärung und Nassreinigung aufbereitet. Damit ist der erste Schritt abgeschlossen und wir freuen uns auf die nächste Saison, in der wir das Ergebnis unserer Kreuzung als Pflanze zu Gesicht bekommen. Was in der nachfolgenden Jahren zu erwarten ist und wie man dann weiter verfahren kann, haben wir im Dokument „Linienzüchtung Tomate“ dargestellt, dass ebenfalls von der ARCHE NOAH Homepage heruntergeladen werden kann.

Wer sich das Kreuzen von Tomaten genauer erklären und beibringen lassen will, kann am 8. Juli den Arche Noah Kurs zum Thema besuchen. 

8. Juli 2016
ARCHE NOAH Schaugarten, Obere Straße 40, 3553 Schiltern und Schloss Schilern (vis-á-vis von Schaugarten)
9:30 – 17:30 Uhr

 

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