Westafrika bunt und hautnah
Tief in den Alltag einer afrikanischen Metropole gegen Ende der 70er Jahre führen Marguerite Abouet und Clément Obrerie in ihrem kraftvollen Comicroman »Aya«.
Siehe da, ein positives Buch über das Leben in Afrika aus afrikanischer Perspektive, fernab von Elends- und Chaosszenarien, Kriegen und Hungersnöten! Vielmehr sprüht es zwischen den Buchdeckeln vor purer Daseinsfreude. Und weil der illustrierte Roman mit der von Marguerite Abouet erdachten Story und den liebevoll gestalteten Bilderfolgen von Clément Oubrerie an der Elfenbeinküste spielt, ist er zudem prall mit dem nötigen Beiwerk an Farben, Stoffmustern und Lautmalereien gefüllt, die auch jenen Lesern auf die Sprünge helfen, die ansonsten aus Mangel an eigenen Westafrika-Erfahrungen ratlos auf der Strecke bleiben könnten. Schon das Cover umreißt, worum es eigentlich geht: Eine junge Afrikanerin, die im Kreise ihrer Freunde im Hier und Jetzt einer afrikanischen Stadt ihre Frau steht. Präsent, mit großen Augen und ernstem Blick, modernem Minikleid im traditionellen Stoffdruck und hochhackigen Schuhen, beide Hände in die Hüften gestemmt, trotzt sie einem aus der Bildmitte entgegen. Auch ohne Sprechblase heißt das wohl »Du nun wieder!« – ein geflügelter Ausdruck, der sich auf allen paar Seiten wiederholt und schon ab dem dritten Mal zu einem Wiedererkennungs-Grinsen verführt.
Willkommen in Yop City
Die 19-jährige Aya und ihre Freundinnen Bintou und Adjoua leben in der schnelllebigen Vier-Millionen-Metropole Abidjan am Atlantischen Ozean, genauer gesagt im beliebten Viertel Yopougon, das sie lieber Yop City nennen. Alle drei schlagen sich mit den Widrigkeiten des täglichen Lebens herum, die da wären: lästige Geschwister, strikte Familienregeln, promiskuitive Onkeln, ungerechte Misswahlen oder der Bigamie zugeneigte Väter, ganz zu schweigen von den täglichen Straßen-Scharmützeln mit liebestollen Jung-Machos. Aya ist die weise Freundin, die allen gut zuhören kann und die viel ernsthaftere Ziele hat als ihre Altersgenossinnen, die allabendlich die Straßenlokale unsicher machen oder sich gar im Tausend-Sterne-Hotel ihren chaotischen Liebschaften hingeben, und deren Gedanken nur um ihre künftige Rolle als Ehefrau eines möglichst betuchten Mannes oder die neuesten französischen Hits kreisen. Aya hingegen ist entschlossen, einmal Ärztin zu werden und zeigt nicht die geringste Lust, sich durch kulturelle Schranken auf ihrem Weg behindern zu lassen. Anders als ihren Freundinnen sind ihr heiratsfähige Junggesellen, schicke Kleider und die neuesten Frisurentrends aus Paris egal, ebenso wie die Versuche ihres Vaters, sie möglichst rasch mit dem einfältigen Sohn seines reichen Chefs zu verheiraten. In ihrer Rolle als Fels in der Brandung ist Aya ständig gefordert: eine Freundin wird schwanger und sieht sich flugs an den Falschen verheiratet, die andere erliegt dem Charme eines Hochstaplers, und dank ihres Vaters wächst Ayas Familie spontan um zwei außereheliche Kinder an. Überhaupt muss gesagt werden: die Männer kommen nicht allzu gut davon, obschon sie es doch so schwer haben. Wenn sie nicht an chronischer Geldknappheit oder einem überschäumenden Geltungsdrang leiden, unterliegen sie den Verführungen von Bier und Koutoukou (Palmschnaps) und leben – egal ob alt oder jung – ständig unter dem hormonellen Druck, neue Eroberungen machen zu müssen. Dabei werden die jungen Mädchen – genannt Freshnies – immer anspruchsvoller, und die Ehefrauen benehmen sich in keiner Weise unterwürfig. Was tut Mann dann erst, wenn er lieber gleichgeschlechtlich flirtet?
Ivorischer Bonustrack
Das witzige, durch und durch sympathische Alltags-Dramolett macht süchtig. Egal ob man 14 oder 40 ist, Langeweile kann auf den 360 Seiten nicht aufkommen, auf denen man immer wieder über dahingeschmetterte französische Liedzeilen oder ivorische Kraftausdrücke stolpert. Bei all den Menschen, die durch die bunten Bilder wuseln, erweisen sich das Personenregister auf den letzten Seiten ebenso als große Hilfe wie das Glossar, das dem in den Sprechblasen auftauchenden Slang gewidmet ist. Dank diesem »ivorischen Bonustrack« lernt man, dass es mehr als einen Ausdruck für Hinterteil gibt und erhält auch gleich eine praktische Anleitung zum effektvollen Wackeln mit demselben. Bewundernswert ist, dass bei der hohen Erzähldichte immer noch genug Platz für Zwischentöne wie Korruption, die Benachteiligung von Frauen, Abwanderung, Prostitution oder etwa Intoleranz gegenüber Homosexualität bleibt.
AD PERSONAM
Die Autorin Marguerite Abouet wurde 1971 geboren und verbrachte ihre Kindheit an der Elfenbeinküste, ehe sie nach Frankreich zog. Gemeinsam mit dem aus Paris stammenden Zeichner Clément Oubrerie wurde sie 2006 für »Aya« mit dem Preis für das beste Debüt beim Comicfestival im französischen Angouleme gekürt. Die deutsche Ausgabe enthält die ersten drei des insgesamt sechs Teile umfassenden Erfolgscomics, das auch verfilmt wurde. Der zweite Band ist für Herbst 2014 geplant.