„Wertschätzung lässt sich nicht gesetzlich verordnen“

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Die Verschwendung von Lebensmitteln in Haushalten stoppen – das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) in Deutschland hat mit der Initiative „Zu gut für die Tonne!“ einen Fokus auf diese Problematik gelegt. Die Website liefert Tipps zu Lebensmittellagerung und -haltbarkeit, Fakten zur aktuellen Verschwendung sowie überzeugende Rezepte zur Verwertung der Reste. Auch sein aktuelles Wissen kann man mit einem kurzen Test überprüfen. BIORAMA hat dazu mit der Sprecherin der Initiative, Mareike Enderle, gesprochen.

 

BIORAMA: Sie fokussieren die einzelnen Verbraucher zur Eindämmung der globalen Lebensmittelverschwendung. Wieso sehen Sie nicht in Großverbrauchern und Supermärkten mehr Potenzial, da es doch in diesen Bereichen um wesentlich größere Mengen geht?

Mareike Enderle: Lebensmittelabfälle entstehen überall, wo Lebensmittel verarbeitet werden. Eine Studie der Universität Stuttgart im Auftrag des Bundesernährungsministeriums hat gezeigt: Industrie und Großverbraucher wie Gaststätten und Kantinen tragen mit etwa 39 Prozent zur Menge der Lebensmittelabfälle bei. Auf die Privathaushalte entfallen 61 Prozent. Von einer einseitigen Fokussierung auf den Verbraucher kann keine Rede sein. Uns geht es hier auch nicht um Schuldzuweisungen. Wenn wir die Lebensmittelabfälle deutlich reduzieren wollen, sind alle gefragt, jeder Beitrag ist wichtig. Deswegen haben wir mit der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ auch ein breites gesellschaftliches Bündnis angestoßen. In den vergangenen Monaten haben sich zahlreiche Partner aus fast allen gesellschaftlichen Kreisen, darunter Städte und Kommunen, Schulen, Krankenhäuser, Tafeln, der Einzelhandel, die Gastronomie, die Kirchen und das Studentenwerk mit ihren Initiativen angeschlossen. So hat zum Beispiel der größte kommunale Klinikbetreiber in Deutschland – Vivantes – eigene Strategien für die Verpflegung entwickelt, um Lebensmittelabfälle besser zu vermeiden.  Insgesamt ist in Deutschland eine Menge in Bewegung gekommen!

Mareike

Mareike Enderle

Sie bieten Informationen für interessierte Verbraucher an. Wie wollen Sie die Menschen erreichen, die nicht aktiv werden und von sich aus zur Verbesserung der Situation beitragen wollen?

Information und Aufklärung spielen eine entscheidende Rolle, um Abfälle nachhaltig zu vermeiden. Wir nutzen dabei viele Kanäle, wie das Internet, Fernsehsendungen, Twitter, Flyer und aber auch viele Aktionen vor Ort. Mit dem Lebensmitteleinzelhandel haben wir zum Beispiel eine bundesweite Aufklärungsaktion über das Mindesthaltbarkeitsdatum   gestartet.  Mit Hilfe einer Reste-App für Smartphones geben wir Verbrauchern Einkaufstipps und Hilfestellung für die richtige Lagerung von Lebensmitteln. Insgesamt ist die Resonanz überwältigend – und das zeigt, dass wir bei ganz vielen Menschen einen Nerv getroffen haben. Besonders erfreulich sind die vielen positiven Rückmeldungen all jener Bürgerinnen und Bürger, die uns wertvolle Tipps oder auch tolle Reste-Rezepte zugeschickt haben.

Lebensmittel-Entsorgung verschwendet Geld und trägt zum Klimawandel bei. Wie sehen Sie die Zukunft des Phänomens Nahrungsverschwendung – was wird sich ändern und wann?

Wie gesagt, es hat sich schon einiges getan. Mittlerweile hat jeder zweite Deutsche von der Kampagne „Zu gut für die Tonne!“ gehört. Viele Menschen haben uns gesagt, dass sie ihr Verhalten beim Umgang mit Lebensmitteln geändert haben. Aber hier dürfen und werden wir nicht stehenbleiben. Wir werden diese Initiative mit voller Kraft weiterführen. Jedes Kilogramm Lebensmittelmüll, das wir dabei vermeiden, ist wichtig. Wir wollen das Ziel der Europäischen Union erreichen und die Menge der verwertbaren Lebensmittelabfälle bis 2020 halbieren. Das kann aber nur gelingen, wenn auch andere Mitgliedstaaten mitmachen. Deutschland, aber auch Österreich und England gehen hier bereits sehr entschlossen voran.

Checkkarte zum Mindesthaltbarkeitsdatum vor Lebensmitteln Bild: Bergmann, BPA/BMELV

Checkkarte zum Mindesthaltbarkeitsdatum vor Lebensmitteln
Bild: Bergmann, BPA/BMELV

Welche Änderungen sehen Sie auf gesetzlicher Ebene (national oder EU-weit) als notwendig um das Phänomen der Lebensmittelverschwendung in Grenzen zu halten?

Die Wertschätzung von Lebensmitteln lässt sich nicht gesetzlich verordnen. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel bei allen Beteiligten. Dafür ist aus unserer Sicht eine möglichst umfassende Aufklärung das beste Mittel. Und wo es erforderlich ist, handelt der Staat natürlich auch über neue Gesetze oder Verordnungen. Dazu gehört zum Beispiel die Abschaffung von EU-Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse, die wir fordern. Außerdem setzen wir uns für eine europaweite Bioabfallrichtlinie ein, um die Verwertung der Abfälle europaweit zu verbessern.

Was tun Sie privat um nicht zu viele Lebensmittel wegwerfen zu müssen? Was machen Sie, wenn etwas übrig bleibt, das Sie nicht verbrauchen können?

Das Wichtigste ist ein gut geplanter Einkauf. Außerdem achte ich zuhause darauf, dass die Lebensmittel richtig gelagert sind. Wenn doch mal Reste übrig bleiben, werden damit leckere Resterezepte ausprobiert. In unserer Reste-App für Smartphones und auf unserer Webseite www.zugutfuerdietonne.de gibt es viele gute Vorschläge.

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