Wenn die Mieze depri ist
Haustiere müssen gehorchen, Lebenspartner und Kindersatz sein. Manch ein Wellensittich kriegt da einen Vogel. Der Künstler Patrick Bonato hat den seelischen Nöten der Haustiere nun ein Buch gewidmet.
Morli ist ein Teenager mit einem Problem: Er will endlich das weibliche Geschlecht kennenlernen – und darf es nicht. Morli lebt in einer Familie, in der es den Eltern am liebsten wäre, wenn er stets brav im Kinderzimmer bliebe. Doch Morli sehnt sich nach Liebe, Sex und Zärtlichkeit. In seinem verzweifelten Verlangen vergreift er sich erst an der kratzbürstigen Hauskatze und dann an Mamas Wok. Die Familie ist entsetzt und Morli mit seinem Problem allein. Er kann nicht einmal, wie andere sexuell frustrierte Jugendliche, an das Dr. Sommer-Team schreiben, denn er ist eine griechische Landschildkröte. So wie Morli, der als pädagogisch wertvoller Spielgefährte für den kleinen Sohn der Familie angeschafft wurde und sich nun als degoutanter Lustmolch entpuppt, geht es vielen Haustieren. Sie werden in ihren natürlichen Bedürfnissen von den sie ach so lieb habenden Menschen behindert und missverstanden. Die psychischen Folgen für das Tier sind oft fatal. Inzwischen darf Morli sich auch mit Schildkrötenweibchen zum Stelldichein treffen. Doch die Zurückweisung und Einsamkeit hat aus Morlis ursprünglich gesundem sexuellen Appetit eine pervers anmutende, ausschließliche Vorliebe für Pfannen, Fahrradhelme und andere Gegenstände, die sich nicht wehren können, gemacht. Da kann nur noch einer helfen: der Tierpsychologe.
Die Erforschung der tierischen Psyche
Morli ist einer der vielen tierischen Patienten, die der österreichische Illustrator Patrick Bonato in »Das Bunte Buch verhaltensgestörter Tiere« versammelt hat. Sechs Tierpsychologen und eine »Eselsflüsterin« hat Bonato interviewt, um die psychischen Nöte von Tieren besser zu verstehen. Für mich steckt etwas wahnsinnig Spannendes in der Frage nach der Psyche eines Tieres, denn hier stößt Wissenschaft an ihre Grenzen«, so Patrick Bonato. »Die Tierpsychologen haben, auch weil es keine geschützte Berufsbezeichnung ist, sehr unterschiedliche Ansätze und Hintergründe. Manche verfahren eher wie Tierärzte, die das Verhalten des Tieres – und des Halters – genau beobachten und daraus ihre Schlüsse ziehen.« Denn oft sind die wirklich Gestörten nicht die Tiere, sondern deren Besitzer. Katze Tiddles beispielsweise konnte nur deshalb so fett und depressiv werden, da ihr übergewichtiges Frauchen sich selbst ständig mit Zwischensnacks belohnt und dies ebenso bei ihrem Schmusetiger handhabt. Welche tierpsychologische Richtung die passende für Tier und Halter ist, muss jeder selber herausfinden.
Eine staatlich anerkannte Ausbildung mit dem Abschluss Diplomtierpsychologe gibt es nicht. »So bieten Tierpsychologen unter Umständen auch an, mit Haustieren mittels telepathischer Verbindung kommunizieren zu können.« Bonato sieht in beiden Ausrichtungen, der eher medizinischen und der esoterisch anmutenden, einen »blinden Fleck« der Wissenschaft. »Dieser Gedanke hat auch den Stil der Arbeit geprägt, der angelehnt an wissenschaftlichen Illustrationen ist. Diesen, um möglichst anonyme, objektive Darstellung bemühten Stil, habe ich mit einem starken persönlichen Malduktus und einer gewissen Schlampigkeit in der Ausführung gebrochen.« Bonatos Illustrationen bringen, bei aller Sachlichkeit, die innere Verzweiflung der Tiere zum Ausdruck. Das Gesicht der hyperaktiven Jack-Russel-Hündin Bella ist nur grob gezeichnet und zur Hälfte durch die Gitterstäbe des trostlosen Balkons verborgen, von dem sie, mit in Habachtstellung gestreckten Beinen, auf die Straße hinabblickt. Und doch überträgt sich dem Leser beim Betrachten dieses nüchternen Bildes sofort das Gefühl, unter dem Bella leidet: die Beklemmung, eingesperrt zu sein.
Nur störend oder schon gestört?
Fast alle Tiere in Patrick Bonatos Buch sind Fallbeispiele, welche der Autor aus Interviews mit Tierpsychologen und durch Recherchen in Magazinen und im Internet konstruierte. Ein fast 100 Prozent deckungsgleiches, lebendes Vorbild besitzt dagegen ausgerechnet der liebestolle Morli: Die Schildkröte einer Freundin stand Pate für diesen Fall. Interessant bei den Gesprächen mit Tierpsychologen fand Patrick Bonato besonders die Tatsache, dass diese zwischen »gestörtem« und »störendem« Verhalten des Haustieres unterscheiden. »Was wir an unseren Tieren zu behandeln wünschen, hängt also stark mit unseren Bedürfnissen zusammen, nach denen wir das Tier auch aussuchen und formen.« Das Bekämpfen von natürlichem, aber aus Sicht des Menschen störendem Verhalten, führt also oft erst zum gestörten Verhalten.Viele Menschen scheinen zudem, wie das übergewichtige Frauchen von Tiddles oder der alkoholabhängige Besitzer des Pferdes Cooper, ihre eigenen Probleme und Komplexe auf das Tier als besten Freund zu übertragen.
Doch was sagen solche unseligen Mensch-Tier-Symbiosen über den Zustand unserer Gesellschaft aus? »Das ist eine sehr schwierige Frage, auch wenn es im Grunde genau das war, was mich an dieser Arbeit interessierte: Die Tiere teilen unfreiwilliger Weise unsere uns eigene Lebensweise. Wenn beide, sowohl Halter als auch Tier, psychisch erkranken, drängt sich die Frage auf, ob etwas mit unserer Lebensweise nicht in Ordnung ist. Wobei sich für mich die Frage noch nicht geklärt hat, ob Tiere in freier Wildbahn nicht auch unter psychischen Problemen leiden.« Bonatos Buch stellt zu den Störungen auch die passenden Behandlungsmöglichkeiten vor. Doch der Autor und Illustrator selbst hat momentan nicht den Wunsch, sein Wissen an einem eigenen Haustier zu testen. »Als Kind hatte ich zwei Wellensittiche. Der erste wurde leider in der Tür eingeklemmt und der zweite ist irgendwann ausgeflogen. Wir haben ihn, den zweiten, dann sogar noch auf einem Baum fröhlich zwitschernd wiedergefunden. Ich glaube er hatte es gut, seinen – wohl letzten – Tag in Freiheit, den hat er besonders genossen!«
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