Weniger ist mehr
Der Biokulturhof zum grünen Baum in Niederösterreich ist heute eine Schaltzentrale für regionale Produkte aus biologischem Anbau. Damit das Möglich wurde, musste das Kerngeschäft „ausgelagert“ werden.
Wer die Eingangstür des Biokulturhofs am grünen Baum betritt, lässt den kalten, nebeligen und grauen Dezember Niederösterreichs hinter sich. Der Spruch „Jeder ist willkommen!“ erweist sich nicht als die bloße Floskel, die er sonst häufig ist. Zwischen den Körben und Tischen voller Birnen, Karotten und Backwaren rennen Kinder in einer Geschwindigkeit herum, dass ihre Zahl schwer einzuschätzen ist. Um einen großen Holztisch herum sitzen Menschen zwischen 20 und 60 Jahren mit Kaffeehäferln, die Mitarbeiter, Kunden oder Familienmitglieder sein könnten.
Marion Filz ist eine fröhliche Mittdreißigerin. Die gelockte Hausherrin strahlt in ihrer Schürze eine Resolutheit aus, die sicher nicht unschuldig daran ist, dass der Biohofs in dem 100 Seelen-Dorf Porrau funktioniert. Das Schwierige ist nicht einen Termin bei ihr zu bekommen: „Ja, dann komm doch einfach vorbei wann’s dir passt. Ist eh offen.“ Das Schwierige ist dann das Gespräch auch zu führen. Ständig schwirren Kinder, Freunde und Kunden um sie herum. Irgendwann kann sie die leichte Verzweiflung in den Augen des Redakteurs nicht mehr ignorieren, wirft hinter den Kulissen einige Jacken und Kinderbücher vom Stuhl und beginnt zu erzählen.
Filz wuchs in Porrau auf dem elterlichen Hof auf. Eine ganz normale Landkindheit im gefühlten Nirgendwo zwischen Traktoren, Schulbesuchen und Schweinefütterungen. Am Wochenende verkaufte sie in Wien auf dem Kutschkermarkt im 18. Bezirk die fertig verarbeiteten Produkte, vor allem Wurst. Mit 18 Jahren übernahm sie dann die 17 Hektar Land von ihren Eltern.
Das klingt in der Rückschau alles linearer als es war. Der pubertäre Freiheitsdrang macht auch um Porrau keinen Bogen. „Als ich 14 war, wollte ich Chefsekretärin werden und in hohen Stöckelschuhen herumlaufen“, lacht Marion Filz. „Dann hab ich irgendwann eingesehen, dass ich einfach ein Landmädel bin und auf einen Hof gehöre.“
Was macht eine 18Jährige mit 17 Hektar Land? In diesem Fall: sie zu erst mal auf biologische Landwirtschaft umstellen. Eine Gewissensentscheidung. „Ich hätte mir nie vorstellen können, konventionelle Landwirtschaft zu betreiben.“ Diese Entscheidung kostete Marion Filz eine Menge. Geld, Zeit – und auch Überzeugungskraft: Biohöfe waren im Niederösterreich der frühen 90er Jahr alles andere als selbstverständlich. Von da an rotierte Marion Filz bis zu 120 Stunden in der Woche und steckte jeden Schilling ins Saatgut für Gemüse und Getreide. Vor 7 Jahren folgte dann der eigene Hof mit angrenzendem Bioladen. „Den hat mir im Prinzip der Architekt eingeredet. Heute bin ich froh darum.“
Der Laden ist das Herz des Biohofs am grünen Baum. Auf knapp 70 m² wird hier alles verkauft, was der ökologisch bewusste Kunde begehrt: Viel Gemüse und Getreideprodukte aus dem eigenen Anbau, aber auch viele bereits verarbeitete Waren. Biobauern aus der Umgebung wird gegen einen geringen Betrag Regalfläche zur Verfügung gestellt. Mit einem Hersteller von Bio-Apfelsaft und einem Bioweinbauern gibt es eine längerfristige Kooperation. Der Kunde soll möglichst viel an einem Fleck finden – ein Bio-Supermarkt mit Produkten aus der Region.
Geöffnet hat der Bioladen immer Donnerstag und Freitag. An diesen Tagen finden 50 bis 70 Kunden den Weg zu dem Hof am Rand von Porrau. Es sind fast nur Stammkunden, jeden Monat kommt ungefähr einer dazu. Das ganze funktioniert mehr wie eine Familie. Niemand springt nur hektisch rein um eine Handvoll Karrotten mitzunehmen. Es gibt Kaffee, Tee und freitags immer ein Mittagessen, das von wechselnden Freiwilligen gekocht wird und gegen eine freie Spende zu haben ist. Auch für Verkostungen und andere Veranstaltungen steht die Tür weit offen.
Der Laden gibt mit seinen laufenden Einnahmen eine gewisse Planungssicherheit. „Ohne diese würde es uns wohl deutlich schlechter gehen“, sagt Marion Filz. Samstags verkauft sie ihre Produkte noch immer auf dem Kutschkermarkt. Ihr Mann Lukas ist Psychotherapeut, Informatiker und Yoga-Lehrer.
Trotz der vielen Freunde und Unterstützer wuchs die landwirtschaftliche Arbeit der Familie irgendwann über den Kopf. Im Mai vor drei Jahren wurde Filz’ Tochter geboren, für eine Pause oder gar Karenz war keine Zeit. Es musste etwas passieren.
Die rettende Idee war Zusammenarbeit. Die Familie überführte zwölf Hektar in eine Kommanditgesellschaft mit einem befreundeten Bauern, der diese seitdem mit schweren Maschinen bestellt. Ein Modell mit Zukunft. „Die verbliebenen 5 Hektar bewirtschafte ich selbst“, erzählt Mario Filz. „Ich hab so noch Zeit für den Laden und andere Projekte. Jeder kann sich auf das konzentrieren, was er am besten kann.“
Wenn man längere Zeit auf dem Hof verbringt, merkt man ohnehin, dass es bei dem Projekt nicht nur um Biolandbau geht. Die dahinter stehende Idee ist deutlich größer. Das Wort ganzheitlich mag abgedroschen sein, trifft aber hier voll zu. Es geht um ein Umdenken und einen bewussten Lebensstil. Im Gespräch fallen häufiger Worte wie Nachhaltigkeit oder Gerechtigkeit, ohne dass man das Gefühl hat, leeren Phrasen zuhören zu müssen. Besonders positiv: Auch wenn die selbstgestrickten Hauben und das Müsliregal einige Klischees erfüllen, ist das Ganze nirgendwo rückwärtsgewandt. Ökoromantik ja, Ablehnung der Zukunft nein.
Apropos Zukunft: Wohin geht die Reise? Marion Filz muss eher lachen. „Oh Gott, mein Kopf ist voll mit Plänen: Von der Biosiedlung bis zu vielem Anderen. Ich muss mich schon eher zurückhalten.“ Einstweilen macht sie erstmal eine Zusatzausbildung zur Gartentherapeutin. Wer einen grünen Fußabdruck haben will, muss manchmal kleine Schritte machen.
TEXT Jonas Vogt