Nur kosmetisch natürlich? Ein Wegweiser durch die Naturkosmetik
Vegan, bio, ökö, gentechnikfrei, fairtrade, ohne Tierversuche, naturnahe Kosmetik, Pflanzenkosmetik, Naturkosmetik … Kaum jemand weiß, was im Kosmetikbereich hinter diesen Labels im Detail steckt.
Hinzu kommt: Ist auf einem Kosmetikprodukt auch nur eine dieser Bezeichnungen zu finden, ist die Versuchung groß, sich vorzumachen, auch alle anderen Nachhaltigkeitserwartungen wären mitgemeint. Wer wissen will, was er seinem größten Körperorgan tatsächlich täglich zumutet, muss genauer hinschauen.
Die Basics
Als Antithese zu Kosmetik aus Silikonen, Polyethylenglycolen, synthetischen Farb- und Duftstoffen, Aluminiumsalzen, und Erdölprodukten wie Paraffinen hat sich über Jahrzehnte sukzessive die Naturkosmetik positioniert. In die einstige Öko-Nische sind mittlerweile auch die internationalen Kosmetikriesen eingedrungen. Was Naturkosmetik umfasst und was nicht, ist allerdings nicht einheitlich oder gar gesetzlich definiert. Im Gegensatz zum Lebensmittelsektor gibt es im Kosmetikbereich keine EU-weiten verpflichtenden Standards, die erfüllt werden müssen, um sich Naturkosmetik nennen zu dürfen.
Die wichtigsten Definitionsversuche (etwa die von Wikipedia, dem Europarat oder dem Österreichisches Lebensmittelbuch) haben folgendes gemeinsam: Naturkosmetik besteht aus natürlichen pflanzlichen, tierischen und mineralischen Rohstoffen, die Mensch und Umwelt schonen.
Natürlich ist das natürlich!
Was »natürlich« und »schonend« ist, ist streitbar. Vor allem, wenn es eine milliardenschwere Wachstumsbranche wie die rund um diffus »grüne« Kosmetik betrifft. Auch Naturkosmetik bedeutet nicht zwingend Biokosmetik und schon gar nicht vegan oder sozial verträglich produziert. Doch zumindest haben sich – durch hohe Ansprüche vieler Hersteller an sich selbst einerseits und durch eine Erwartungshaltung der Konsumentinnen andererseits – Mindestanforderungen herauskristallisiert.
So ist eine grundlegende Abgrenzung der Naturkosmetik von einer immer größer werdenden Produktpalette an naturnaher Kosmetik gelungen. Als //naturnahe Kosmetik// (teilweise auch als »Pflanzenkosmetik« ausgewiesen) gelten Produkte, in denen sich – zumindest auch – pflanzliche Wirkstoffe befinden. Ein Verzicht auf synthetische Inhaltsstoffe ist aber kein Charakteristikum. Als Greenwashing und Täuschung der Konsumentinnen fassen das die einen zusammen. Andere als Mix aus dem Anwendungskomfort synthetischer Träger- und Konservierungsmittel und der Wirkung pflanzlicher, mineralischer oder tierischer Inhaltsstoffe.
Level 1
Bis zu einem bestimmten Level scheint die Ethik der Naturkosmetikhersteller selbst erstaunlich gut zu funktionieren: Ein Großteil der Produkte, die sich Naturkosmetik nennen, ohne eines der weithin als seriös anerkannten Zertifikate aufzuweisen, erfüllen allem Anschein nach einen Katalog an Mindestkriterien. Das hat unter anderem ein heuer von Global 2000 anhand von in Drogeriemärkten, Reformhäusern und Bio-Supermärkten gefundenen Produkten durchgeführter Naturkosmetik-Check gezeigt:
Alle 317 als Naturkosmetik ausgewiesenen getesteten Produkte waren »frei von hormonell wirksamen Inhaltsstoffen und anderen synthetischen Konservierungsmitteln, Duft- oder Farbstoffen«. Daraus entstand auch eine Liste, die Global 2000 online zur Verfügung gestellt hat.
Warum dann so kompliziert?
Wieso gibt es überhaupt so viele Naturkosmetikprodukte, die nicht mit einem der weithin anerkannten Zertifikate ausgezeichnet ist? Und warum gibt es kein einheitliches Siegel, das europa- oder zumindest landesweit auf einen Blick klarstellt: Hier handelt es sich um Naturkosmetik und so lauten die Kriterien dafür?
Kurz: Erstens, weil viele verschiedene Kriterien als erstrebenswert angesehen werden und zweitens, weil nicht alle Standards eines Siegels von jedem Hersteller erfüllt werden wollen oder können – schon gar nicht mit seiner ganzen Produktpalette.
Level 2
Da ist sie wieder, die Frage: Muss Naturkosmetik bio sein, sozial verantwortlich produziert sein und muss das für alle oder nur für einen Prozentsatz der Inhaltsstoffe zutreffen? Muss sie umweltschonend verpackt werden oder reicht der Verzicht auf »Chemie« und manche Verarbeitungsverfahren? Was passiert, wenn manche Rohstoffe weltweit schlicht nicht in Bioqualität verfügbar sind oder wenn ein Produkt ohne synthetische Konservierungsmittel zu schnell zu stark verunreinigt? Im Dschungel der Siegel spiegelt sich die Vielfalt der Konsumentenwünsche, der Hersteller und deren Schwerpunkte wieder.
Außerdem: Je weitergehend ein Gütesiegel, desto aufwendiger der Zertifizierungsprozess. Aufwendig heißt in diesem Fall auch teuer.
Kleinen Herstellern bleibt oft nichts anderes übrig, als auf Zertifizierung zu verzichten oder sich selbst zu zertifizieren – nach unterschiedlichsten Kriterien und in oft kaum nachvollziehbaren Verfahren. Gerade die Selbstzertifzierung kann aber auch zur KonsumentInnentäuschung missbraucht werden.
Zurück an den Start!
Beides aber, keine Zertifizierung oder eine, deren Aussagen schwer nachvollziehbar sind, wirft alle, die es genau wissen wollen, an den Anfang zurück:
Entweder man informiert sich mühevoll über die Inhaltsstoffe jedes einzelnen Produkts, studiert Beipackzettel und schlägt beispielsweise online in der Internationalen Nomenklatur für kosmetische Inhaltsstoffe (INCI) nach. Oder man informiert sich umfassend über einen Produzenten/eine Marke, der man dann vertraut.
Wem das zu aufwendig ist, der wird eher sich auf die großen Gütesiegel – teilweise von Herstellerverbänden, teilweise von unabhängigen Stellen – für zertifizierte Naturkosmetik beschränken. Eine Auswahl der größten bzw. strengsten:
Level 3
Austria Bio Garantie
In Österreich gibt es eine unabhängige Zertifzierungsstelle, die nach dem im Österreichischen Lebensmittelbuch festgelegten Standards für Biokosmetik dieses Zertifikat ausgibt.
BDIH (COSMOS-Standard
Das BDIH ist das deutsche Siegel eines Zertifizierungszusammenschlusses, der sich international unter dem Namen COSMOS auf gemeinsame Mindestkriterien geeinigt hat. Den bekannten nationalen Logos BDIH oder ECOCERT (Frankreich) wird der Zusatz »COSMOS natural« oder »COSMOS organic« (wenn mindestens 95% der pflanzlichen Rohstoffe aus biologischem Anbau stammen) hinzugefügt.
NaTrue
Der in Belgien angesiedelte Verband wurde mit dem Ziel gegründet, eine gesetzliche Definition von Naturkosmetik zu erreichen. Natrue zertifiziert auf drei Ebenen von Naturkosmetik bis Biokosmetik:
»Natural Cosmetics« – »Natural Cosmetics with Organic Portion« (min. 70% Bio-Anteil der pflanzlichen Inhaltsstoffe) – Organic Cosmetics (min. 95% der pflanzlichen Inhaltsstoffe)
Demeter
Das Demeter-Logo garantiert, dass 100% der pflanzlichen Inhaltsstoffe aus Bio-Anbau stammen und davon mindestens 90% aus Demeter-zertifiziertem Bio-Anbau.
IHTK u. Vegan Society
Logos wie das des internationale Herstellerverband gegen Tierversuche in der Kosmetik (IHTK) oder das Siegel der Vegan Society sagen nichts darüber aus, ob es sich bei einem Produkt um Natur oder um Biokosmetik handelt.
Fast am Ziel!
Unser Fazit: Trotz der Nachhaltigkeitssuggestionen, mit denen versucht wird, konventioneller Kosmetik (durch Farben, Wortwahl, Verpackungsgestaltung) einen Hauch von Natur umzuhängen, ist es nicht so schwer wie vermutet, diese von Naturkosmetik zu unterscheiden. Insgesamt hat der Begriff Naturkosmetik gute Chancen, zunehmend glaubwürdig ein ganzes Bündel an Nachhaltigkeitskriterien zu vertreten. Er ist somit Orientierungshilfe für die mächtigen mündigen KonsumentInnen und gleichzeitig eine Basis, auf der künftige gesetzliche Standards aufbauen könnten.
Solche Standards sind notwendig, damit mehr Klarheit in die grüne Kosmetik einzieht. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir sie europaweit haben, so auch der Tenor in der Branche.
Naturkosmetik-Check 2016 der NGO Global 2000 inklusive Liste der getesteten Produkte und einer Liste schwarzer Schafe:
Zum Nachschlagen von Inhaltsstoffen online: Internationalen Nomenklatur für kosmetische Inhaltsstoffe (INCI)
Österreichischen Lebensmittelbuch – Naturkosmetik