Wasserkräftemessen: Wie lassen sich Klima- und Naturschutz in Fragen um Wasserkraftprojekte vereinbaren?
Beim Thema Wasserkraft stehen die Fragen zu Klima- und Naturschutz oft im Gegensatz. Besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbaute man den Alpenraum mit Wasserkraftanlagen und zapfte so gut wie jeden Flusslauf für die Stromgewinnung an. Anlässlich des kürzlich begonnenen Baus des Kraftwerks Tumpen-Habichen an der Ötztaler Ache in Tirol wurden in Österreich wieder Vor- und Nachteile der Wasserkraft öffentlich diskutiert – wenn auch abgelenkt durch eine frauenfeindliche Entgleisung des Tiroler Landeshauptmannstellvertreters bei der Übergabe einer WWF-Petition. Nicht alle Wasserkraftprojekte sind so umstritten, umstritten ist aber die grundsätzlichere Frage, ob die Potenziale der Wasserkraft im Alpenraum nicht längst erschöpft sind.
Strom aus dem Stau
Wasserkraftanlagen sind Querbauwerke in Fließgewässern, die das aufgestaute Wasser durch Turbinen laufen lassen und so Strom aus erneuerbarer Quelle generieren. Aber sie sind ein gravierender Eingriff in die Natur. Schon im 19. Jahrhundert war man sich bewusst, dass beim Bau von Kraftwerken auch die Ökologie und die Flussdurchgängigkeit für die Wasserlebewesen bedacht werden müssen. Mitte des 20. Jahrhunderts vergaß man zugunsten wirtschaftlicher Interessen ein wenig darauf. Es entstanden unpassierbare Querbauwerke, die man nun nachträglich ökologisieren muss. Erst seit 20 Jahren sorgen EU-weite Steuerungsmechanismen wie die EU-Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) für eine Ökologisierung der Wasserkraft.
Neubauten müssen inzwischen Kriterien erfüllen, alte Bauwerke müssen nach und nach ökologisch saniert werden.
Keine Frage der Größe
Die Kleinwasserkraft macht den größten Teil der Querverbauungen im Alpenraum aus, bringt aber gleichzeitig einen verhältnismäßig geringen Energie-Output. NaturschützerInnen kritisieren deshalb genau diese Bauwerke, denn egal ob groß oder klein, solange eine Querverbauung nicht zumindest mithilfe von Wanderhilfen durchgängig gemacht wird, ist sie ein unüberwindbares Hindernis für Wasserlebewesen. »Will man heute ein Kraftwerk bauen, fließt ungefähr ein Drittel der Kosten in die ökologischen Maßnahmen wie Fischauf- und -abstiegshilfen sowie Biotope«, sagt Patrick Kohlhofer vom Stromanbieter Mein Alpenstrom. Mein Alpenstrom bietet ausschließlich Strom aus regionaler Kleinwasserkraft an. Ein Fluss ohne Querbauwerk wäre natürlicher, meint auch Kohlhofer, allerdings betont er: »Das Kleinwasserkraftwerk ist, wenn unsere strengen Kriterien erfüllt wurden, ein Stromproduzent mit geringeren Auswirkungen auf die Natur als viele andere Stromquellen.«
Ob insgesamt nicht eher auf andere Erneuerbare gesetzt und bei der Wasserkraft mehr über Rückbauten gesprochen werden sollte? Kohlhofer rät zu reiflicher Überlegung, »ob man ein bisschen Energie in die Revitalisierung von alten Kraftwerken steckt, um diese ökologisch noch verträglicher zu machen, oder um einiges mehr Energie in den Neubau von Kraftwerken investiert«. Die Herausforderung liege in der Reduktion des Verbrauchs: »Die Debatte sollte über den Verbrauch von Energie geführt werden und darüber, worin wie viel Energie steckt.«
Modernisierung nötig
Je nach Studie und Szenario könne man in Österreich noch eine Leistung von 2 TWh – sagt etwa Greenpeace auf der Naturschutzseite – bis 11 TWh – sagt mit Pöyry die Industrieseite – aus dem Wasser holen. Johannes Kostenzer von der Umweltanwaltschaft Tirol spricht dem Ausbau der Wasserkraft zwar noch ein gewisses, auch ökologisch vertretbares Potenzial zu, aber: »Flussabschnitte, die für die Wasserkraft noch lukrativ wären, sind durchgehend sehr seltene und schützenswerte bedrohte Gewässerabschnitte.« Technische Erneuerungen könnten hier aber die Kombination von Ökologie und Stromgewinnung schaffen.
An einem geschützten Flussabschnitt der Loisach, einem Isar-Zufluss in Bayern, ging im Juli 2020 das erste Schachtkraftwerk ans Netz, das mit seiner Bauart Fische und andere Gewässerlebewesen sicher auf- und absteigen lässt. Im Gegensatz zu Auslaufkraftwerken, bei denen der Fluss durch die Turbine geleitet wird, ist beim Schachtkraftwerk die Turbine im Flussbett versenkt, diese erzeugt einen geringen Sog nach unten, den die Fische passieren können. »Es gibt kaum eine Kraftwerksart, die so intensiv untersucht wurde wie das Schachtkraftwerk«, meint der Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der TU München, Peter Rutschmann, der das Projekt entwickelte. Derzeit könne man mit der Technologie 10-MW-Anlagen realisieren, bei »relativ geringen Auswirkungen« auf die Tierwelt.
Großes Potenzial für ökologische Modernisierung
Vor allem in der Sanierung gibt es großes Potenzial der Effizienzsteigerung – bei gleichzeitiger Ökologisierung. Auch in der Schweiz sieht man dringend nötige Investitionen: »Bei der Wasserkraft haben wir vor allem noch einen sehr, sehr großen Bedarf hinsichtlich der Ökologisierung der Anlagen«, sagt Ursula Stocker von der Geschäftsstelle des Schweizer Gütesiegels naturemade, das Wasserkraftanlagen zertifiziert. Die zahlreichen »künstlichen« oder »erheblich veränderten« Gewässerabschnitte führten insgesamt zu einem »mäßigen bis schlechten Zustand« der Fließgewässer im Alpenraum und zeigten, dass bei der Wasserkraft in der Vergangenheit auf die Einhaltung ökologischer Kriterien in den allermeisten Fällen vergessen wurde. In »gutem Zustand« sind heute nur mehr wenige Flussabschnitte und die liegen meist in geschützten Gebieten. »Die Wasserkraft ist gut, wenn man sie mit ökologischen Kriterien verheiratet«, meint Ursula Stocker. Mit technologischen Innovationen könnte dieser Spagat geschafft werden, allerdings mehren sich damit aufseiten des Naturschutzes auch die Befürchtungen, dass in geschützten Gewässern noch weitere – wenngleich umweltverträglichere – Kraftwerke gebaut werden.
BIORAMA #68