Ist besser gut genug?
Eine aktuelle Studie aus Bayern zeigt, welch große Eingriffe in Ökosysteme auch der nachträgliche Einbau von Wasserkraftwerken in bestehende Wehre bedeutet.
Wasserkraft ist in Österreich entscheidend in der Stromversorgung: Laut Österreichs Energieregulierungsbehörde E-Control stammten 2022 79 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen, 57 Prozent aus Wasserkraft. Mit der heimischen Stromerzeugung deckt Österreich grob 90 Prozent des Strombedarfs. In Deutschland deckt Wasserkraft laut dem deutschen Umweltbundesamt je nach Wasserführung 2,9 bis 3,8 Prozent des jährlichen Bruttostromverbrauchs. Über 90 Prozent des Wasserkraftstromes stammt in Deutschland aus großen Wasserkraftanlagen, der Anteil der Wasserkraft an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist über die Jahre gesunken und liegt gegenwärtig in Deutschland bei rund 8 Prozent. Insgesamt sind in Deutschland rund 8300 Wasserkraftanlagen installiert, mehr als 95 Prozent davon Kleinwasserkraftwerke. In Österreich sind von rund 5000 Wasserkraftwerken, 4000 Kleinwasserkraftanlagen.
Alle Formen der Flussregulierung, wie auch Wehre, sind ein massiver Eingriff in die Natur, in den letzten Jahren gibt es deswegen nicht nur Kritik an Wasserkraft, sondern auch Auflagen in Richtung Renaturierung, für Fischaufstiegshilfen und Bemühungen, durch neue Bauweisen und Turbinen den Eingriff durch den Kraftwerksbau zu verringern. Eine heuer erschienene Studie des des Lehrstuhls für Aquatische Systembiologie der Technischen Universität München (TUM) zeigt, dass moderne und schonendere Wasserkraftwerke in den Ökosystemen von Flüssen im Vergleich zu herkömmlichen Wasserkraftwerken zwar deutlich weniger Veränderungen verursachen, die ökologische Situation, entgegen den Versprechungen der Entwickler, aber auch nicht verbessern.
Ökologische Durchgängigkeit wird gestört
Jürgen Geist vom Lehrstuhl für Aquatische Systembiologie an der TU München untersuchte mit seinem Team an fünf Standorten in Bayern die Veränderungen der komplexen Lebensgemeinschaften in Flüssen vor und nach dem Einbau von Wasserkraftwerken. An allen Standorten waren vor Beginn der Untersuchungen bereits verschiedene Typen von Querbauwerken ohne Wasserkraftnutzung vorhanden. Von 2014 bis 2020 wurden an den untersuchten Orten sogenannte innovative Wasserkraftanlagen eingebaut. Dazu gehören neuartige Turbinen, wie die Wasserkraftschnecken oder Schachtkraftwerke, deren Entwicklung das Ziel hat, vor allem Fische weniger zu schädigen oder zu töten. Betrachtet wurden in der Studie aber nicht nur Fische, sondern vor allem auch Kleinstlebewesen, Wasserpflanzen und Algenbewuchs – und damit die Auswirkungen auf die Biodiversität im Umfeld. An allen Standorten wurden signifikante Unterschiede der Lebensbedingungen festgestellt – und zwar sowohl oberhalb als auch unterhalb der Kraftwerke. »Anders als erhofft und von den Betreibern auch prognostiziert, haben die neuen Kraftwerkstypen die Habitatbedingungen für strömungsliebende Arten nicht verbessert«, fasst der Biologe Geist zusammen. Besonders die Nachrüstung bestehender Wehre in Verbindung mit weiteren Aufstauungen hätten negative Auswirkungen. Das entscheidende Kriterium für gesunde Flusssysteme sind für Geist die ökologische Durchgängigkeit und die Verbindung von verschiedenen Flussabschnitten. Dämme und Wehre hätten ohnehin negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt, was durch bestimmte Kraftwerkstypen noch einmal verstärkt werde. Für Jürgen Geist ist das entscheidende Ergebnis der Studie, dass es nicht eine Antwort gibt, die auf verschiedene Orte und Umgebungen anwendbar ist, sondern dass die spezifischen Gegebenheiten beachtet werden müssen und etwa darüber entscheiden, welche Technologie zum Einsatz kommen soll. Zum anderen kann durch die Art des Betriebs viel verbessert werden: Fische wandern zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr und auch zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten. Und so sind die Veränderungen mit dem größten Verbesserungspotenzial großteils standordabhängig, dazu kann auch gehören, die Turbinen zeitweise abzuschalten. Oder statt einer Turbine zwei einzubauen und beide auf halber Kraft laufen zu lassen. Derlei muss im Einzelfall untersucht werden.
Nutzen-Nutzen-Rechnung
Laut deutschem Umweltbundesamt ist in Deutschland das Potenzial von Wasserkraft annähernd ausgeschöpft und neue Anlagen werden – auch aus Umweltschutzgründen – nur mehr sehr selten bewilligt. Für Österreich wird vor allem durch eine Modernisierung vorhandener Anlagen noch Ausbaupotenzial gesehen. Auch der Klimawandel, konkret werden mehr Hitze und weniger Wasser prognostiziert, hat darauf Einfluss.
Die aktuelle Studie der TU München legt nahe, den ökologischen Eingriff noch stärker zu gewichten. Und zwar sowohl gegenüber dem ökonomischen Nutzen als auch gegenüber dem Beitrag zu Klimaschutz und Energiewende, den ein neues Kraftwerk leisten kann. Jedenfalls aber dabei immer standortgerechte Einzellösungen zu entwickeln.