Was wächst im Wald der Zukunft?

Im Weinviertel, wo schon heute Bedingungen herrschen, die künftig weiten Teilen des Landes blühen, werden zur Beobachtung alteingesessene und weit hergeholte Arten ausgesetzt. Besuch im Klimaforschungswald.

Klimaforschungswald
Seit Juni 2021 führt auch ein Natur- und Waldlehrpfad durch den Matzner Klimaforschungswald. klimaforschungswald.at Bild: BFW.

Im Weinviertel, wo schon heute Bedingungen herrschen, die künftig weiten Teilen des Landes blühen, werden zur Beobachtung alteingesessene und weit hergeholte Arten ausgesetzt. Besuch im Klimaforschungswald.

Elf Jahre sind eine Ewigkeit. Erst recht im Wissenschaftsbetrieb, wo Forschungsgelder selten über einen Projektzeitraum von vier, fünf Jahren hinausreichen. Angewandte Forschungsfragen über die Entwicklung von Waldgebieten im Klimawandel lassen sich in diesem Rahmen kaum beantworten. Sie sind aber höchst brisant, um einzuschätzen, welche Baumarten sich im Klimawandel behaupten, Trockenheit und Dürre standhalten und in siebzig, achtzig, vielleicht hundert Jahren auch Holz abwerfen und bis dahin CO2 im Boden und im Baumbestand binden. 2019 wurde deshalb in Matzen bei Gänserndorf mit dem Aufforsten eines Klimaforschungswalds begonnen. Auf mehreren Geländestufen auf insgesamt 5,5 Hektar sollen hier in einem ersten Schritt bis ins Jahr 2030 bis zu 40 Baumarten dem harscher werdenden Klima ausgesetzt werden. Denn nicht nur die Weinviertler Sommer sind wasserarm. Auch im Frühling, Herbst und Winter können Niederschläge ausbleiben. Auf einem Teil der Forschungsflächen standen vor Kurzem noch Eschen, die ein Opfer von Pilzbefall (»Eschensterben«) wurden. »Nachdem das Weinviertel bereits heute Bedingungen aufweist, die wir in anderen Regionen erst in 50 oder 100 Jahren haben werden, dient uns die Fläche als Waldlabor für die Herausforderungen der Zukunft«, sagt Silvio Schüler, der das hinter dem Projekt stehende Institut für Waldwachstum, Waldbau und Genetik am Bundesforschungszentrum für Wald leitet. Sicherheiten gibt es in der Waldwirtschaft keine mehr. Es gleicht einem Glücksspiel, was WaldbesitzerInnen anpflanzen, die akut Windwürfe oder nach Borkenkäferbefall zwangsgerodete Flächen wiederaufforsten müssen. »Die einzige Empfehlung, die ich seriös abgeben kann, lautet, beim Aufforsten möglichst viele unterschiedliche Arten auszusetzen – in der Hoffnung, dass einige davon Zukunft haben«, sagt Schüler. Es wird wärmer und trockener und »eine genetische Anpassung der heute vorkommenden Arten geht sich zeitlich nicht aus. Das ist unmöglich.« Am Waldforschungszentrum rechnet man mittelfristig mit dem weitgehenden Ausfall ehemals wichtiger heimischer Baumarten: der Fichte sowieso, aber auch von Schwarzkiefer, Esche, Buche, möglicherweise sogar bestimmten Eichenarten.

»Wir pflanzen keine Wälder als Alibi für die Ölindustrie«, meinte Maria Patek, Sektionschefin für Forstwirtschaft und Nachhaltigkeit im Landwirtschaftsministerium (im Bild: 2. von rechts), beim Aufforsten des Ziegelwald-Abschnitts im Klimaforschungswald. Eine Anspielung auf die OMV, die das Projekt wissenschaftlich und finanziell unterstützt. Bild: BIORAMA/ Thomas Weber.

Schwarzkiefer aus Korsika

Paläobotanisch bekannt ist, dass durch die Eiszeiten in Mitteleuropa nahezu 70 Prozent aller Baumarten ausgestorben sind. Ihnen war eine über Millionen Jahre andauernde Abkühlungsphase zu rasant. Die allermeisten von ihnen sind bis heute nicht in ihr einstiges Verbreitungsgebiet zurückgekehrt. »Man kann sich also vorstellen, wie lange die Ausbreitung und Anpassung der Arten dauert«, sagt Schüler. Sicher ist er sich aber, dass es in unseren Breiten in Zukunft wieder mehr Arten geben wird. In manchen Weltgegenden setzt die Forstwirtschaft deshalb bereits auf das Prinzip der »Assisted Migration«: Kanada beispielsweise unterstützt die Ausbreitung von hitzebeständigen Pflanzen aus dem Süden in weiter nördlich gelegenen Gegenden. Auch ins Weinviertel holt man bewusst hitzebeständige Arten aus dem Süden. Und sogar der Schwarzkiefer gibt man eine Zukunft. Im Forschungsareal wächst seit Kurzem aber keine Weinviertler Schwarzkiefer. Bewusst wurde Genetik aus Korsika geholt, dem derzeit südlichsten Verbreitungsgebiet in Europa.

»Mussten mehrmals bewässern, damit die Pflanzen anwachsen.«

Silvio Schüler, Bundesforschungszentrum für Wald

Bewässerung im Wald

Damit sich die Bäumchen auf den Forstflächen durchsetzen, brauchen sie anfangs jedenfalls Unterstützung. Fünf, sechs Jahre lang müssen die ringsum hochwachsenden Gräser und Sträucher gemäht werden; großteils maschinell, teilweise aber auch mit der Sichel – »sonst übernehmen die Brombeeren alles«. 2020 zeigte sich auch, was lange undenkbar schien: Die Bäumchen mussten wiederholt bewässert werden. »In der forstwirtschaftlichen Praxis wird Bewässerung vermutlich zu teuer sein«, sagt Silvio Schüler, »aber wir mussten bewässern, damit die Pflanzen anwachsen. Und es zeigt sich auch ganz generell, dass Bewässerung für Wälder immer häufiger nachgefragt wird.« Dass wir Wälder künftig zumindest teilweise bewässern werden wie heute Felder und Gemüsekulturen, möchte der Forscher jedenfalls nicht ausschließen. Zum Vergleich wurden auch angrenzende Flächen eingezäunt, um sie vor Verbiss durch Wildtiere zu schützen und um zu beobachten – Stichwort »Naturverjüngung« –, welche Bäume sich ohne Unterstützung ganz von selbst ansiedeln und durchsetzen.

Was im Schatten der heranwachsenden Bäumchen passiert, wird da wie dort genauestens beobachtet. Eine eigene Klimastation misst nicht nur Niederschläge, sondern überwacht auch lokale Veränderungen des Mikroklimas. Und schon vor dem Setzen wurde genau überprüft, wie viel Kohlenstoff die Bäumchen einlagern. Ein Prozess, der laufend vom Projektpartner und Sponsor OMV begleitet wird.

Große forstwirtschaftliche Zukunft steht dem Matzner Klimaforschungswald keine bevor. Zwar ist der sandig-lehmige Boden durchaus passabel. »Der Wald ist hier aber wenig wirtschaftlich«, sagt Silvio Schüler. Vielmehr gehe es um Landschaftsschutz, einen Erholungswald; und um Aufklärung. Weshalb vor dem Sommer ein Natur- und Waldlehrpfad eröffnet wurde. Dass sich ausgerechnet die OMV für das Projekt als Sponsor und Forschungspartner einbringt, wird ambivalent bewertet. Einerseits ermöglicht nur das Konzernengagement eine volle Absicherung des Klimaforschungswalds über eine Projektdauer von mindestens elf Jahren. Und das Weinviertel ist traditionell ein Kernland des Konzerns. In naher Zukunft werde der Klimaforschungswald jährlich 30 Tonnen CO2-Äquivalente speichern, sagte Bernhard Heneis, Nachhaltigkeitssprecher der OMV, bei der Eröffnung des Waldlehrpfads: »Das entspricht einer Autofahrt von 300.000 Kilometern.« Andererseits entspreche das, wie die »Bauernzeitung« gegenüberstellte, in etwa dem CO2-Ausstoß von 25 MitarbeiterInnen, wenn diese täglich mit ihren Autos aus dem Raum Matzen die erforderlichen 40 Kilometer in die OMV-Zentrale nach Wien oder in die Raffinerie Schwechat pendeln. Aber vielleicht besuchen sie den Wald der Zukunft ja schon bald mineralölfrei.

BIORAMA Niederösterreich #7

Dieser Artikel ist im BIORAMA Niederösterreich #7 erschienen

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