Was isst eigentlich … ein »Feretarier«?

Wer Veterinärmediziner, Lebenmittelwissenschafter und Tierschützer in einer Person ist, isst nicht zwangsläufig vegetarisch. Rudolf Winkelmayer hat für seine –»wilde« – Ernährungsform den Begriff Feretarismus geprägt. Wir haben ihn getroffen und dazu befragt.

BIORAMA: Sie haben den Begriff »Feretarier« geprägt. Wozu braucht es eine Bezeichnung für Menschen, die, wenn sie Fleisch essen, nur solches von Wild verzehren?

RUDOLF WINKELMAYER: Fleisch essen ist nicht gleich Fleisch essen – seit 1930 hat sich die Nutztierhaltung aufgrund der geänderten Infrastruktur intensiver zu Lasten der Tiere geändert. Eine radikale Instrumentalisierung der Tiere hat stattgefunden, sie werden nicht mehr als Individuen wahrgenommen, sondern nur noch als Produkt. Auf der anderen Seite gibt es Wildtiere, die in ihrer natürlichen Umgebung mit Nahrungs- und Bewegungsfreiheit leben. Diese Tiere kommen um ihrer selbst willen auf die Welt, leben ein freies Leben und es ist nicht gesagt, ob sie vom Jäger erlegt werden oder eines natürlichen Todes sterben. Daher ist es vom ethischen Standpunkt ein riesiger Unterschied, ob ich Wildtierfleisch esse oder das eines landwirtschaftlichen Nutztieres aus Intensivtierhaltung.

Steckt hinter der Einführung solch eines Begriffs ein Sendungsbewusstsein?

Ja, schon. Ich bin ein neugieriger Mensch und versuche, verschiedenen Dingen seit Jahrzehnten auf die Spur zu kommen. Wo kommen wir her und welche Stellung haben wir in diesem System? Mit meiner naturwissenschaftlichen Grundausbildung liegt mir die Biologie sehr nahe und ich weiß, dass wir eine Säugetierart mit vielen verschiedenen Alleinstellungsmerkmalen sind, die aber auch ethische Verantwortung hat und ich finde es einen grandiosen Irrtum der Menschheit, Tiere so zu instrumentalisieren, wie wir das im Augenblick tun.

Sehen Sie im Feretarismus eine Bewegung?

Das zu sagen wäre übertrieben. Wildfleisch wird sehr wertgeschätzt und ist ernährungsphysiologisch ein sehr gesundes und für den Menschen sehr gut verdauliches Fleisch. Von der Gesamtmenge der uns zur Verfügung stehenden Menge an Wildfleisch wird es aber immer ein exklusives Segment bleiben.

Wie halten Sie es selbst? Sind Sie Feretarier?

Ich persönlich bin aus tierethischer Überzeugung, und es gibt viele andere Gründe auch, überzeugter Vegetarier – mit der Ausnahme, dass ich ab und an Wildfleisch esse. Man kann in unserer Welt schwer perfekt leben, daher versuche ich nicht dogmatisch zu sein und lebe wann immer es geht vegetarisch.

Was sind die Lehren, die man in einer globalisierten Welt vom Feratarismus ziehen kann?

Man könnte die Welt ganz leicht ernähren, würden wir nicht den Umweg über die Tiere nehmen. Wir müssen an die Zukunft denken und diesen intensiven Fleischkonsum überwinden, dies wird durch die Begrenztheit der Ressourcen eines Tages ohnehin erzwungen werden. Fleisch wird massiv durch Ausgleichszulagen gestützt, da ist eine enorme Industrie dahinter. Hätten wir einen realen, ungestützten Preis, wäre das Fleisch wahrscheinlich doppelt bis dreifach so teuer und dies würde den Konsum sofort reduzieren.

In welcher Form kann sich der Feretarismus auf die Umwelt und unsere Gesellschaft auswirken?

Er wäre eine extrem vernünftige, Ressourcen und Umwelt schonende Möglichkeit. Wildtiere können Lebensräume nutzen, die sonst für die Fleischproduktion nicht genutzt werden können, dazu benötigt es auch eine Übergangszone zwischen Ackerland und Bereichen, in denen Wildtiere optimal leben können. Die Ethik und Philosophie hat diese Frage bereits gelöst, aber sie wird das Umdenken nicht vorantreiben können. Dieses wird erst durch die immer steigende Bevölkerungszahl und die Begrenztheit der Ressourcen beginnen.

Heutzutage werden sehr viele Medikamente in der Massentierhaltung verwendet, die durch übertriebenen Fleischkonsum wieder in den menschlichen Kreislauf gelangen. Glauben Sie, man kann durch verstärkten Konsum von Wildbret eine gesündere und bewusstere Lebenseinstellung erlangen?

In der landwirtschaftlichen Intensivtierhaltung gibt es einen extrem hohen Bedarf an Medikamenten. Ein Beispiel: 96 Prozent der deutschen Masthühner werden während ihrer kurzen Lebensdauer von maximal 33 Tagen mit antibiotischen Medikamenten behandelt. Da haben wir natürlich ein Problem, das es bei Wildfleisch nicht gibt.

Gibt es nicht in Wahrheit zwei Arten von Feretarismus? Zum einen den natürlich gewachsenen Feretarismus der indigenen Völker, die jagen, um zu überleben, und zum anderen den Feretarismus in den »entwickelten« Ländern, der nur einer Minderheit vorbehalten bleibt?

Das ist vollkommen richtig! Aber es geht darum, Problembewusstsein zu schaffen. Für mich als Tierschützer und Tierethiker wäre das Endziel, sowenig Tieren wie nur irgend möglich für unser Überleben Schaden zuzufügen. Ganz zerstörungsfrei können wir uns in dieser Welt ohnehin nicht bewegen. Die Menschen müssen ja nicht unbedingt Feretarier werden, sie können auch sogenannte Flexitarier werden. Also überwiegend vegetarisch leben und mit wenigen Ausnahmen Fleisch essen. Mit dem Begriff Feretarier wollte ich eine Diskussion anfachen, mir ist selbstverständlich bewusst, dass das nur eine Lösung für eine Minderheit sein kann, aber es ist jeder eingeladen, sich Gedanken zu machen.

In vielen Ländern gilt die Jagd als nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und ist laut internationalen Konventionen eine anerkannte Form des Naturschutzes. Wie sehen Sie dies in Verbindung mit dem Trend, sich ausschließlich vom Wildbret zu ernähren?

Das geht, wenn wir wissen, was wir produzieren. Österreich ist ein sehr wildreiches Land, wir produzieren 1–1,2 Kilo Wildfleisch pro Person jährlich. Wir haben aber einen Gesamtkonsum an Fleisch und Fleischprodukten von ca. 103 Kilo. Netto bezogen auf das Fleisch isst jeder Österreicher 60 Kilo Fleisch pro Jahr. Bei einer überwiegend vegetarischen Kost, mit gelegentlichem Konsum von Wild oder wildähnlich gehaltenen landwirtschaftlichen Nutztieren, also sehr frei gehaltenen, wäre es möglich. Wenn wir nach Indien blicken – wo fast eine Milliarde Menschen sich ohne Probleme vegetarisch ernährt – könnte diese Illusion auch bei uns wahr werden.

AD PERSONAM

Tierarzt und eingefleischter Vegetarier: Hin und wieder isst Rudolf Winkelmayer aber doch Wildfleisch. In einem Artikel für die Jagdzeitschrift Österreichs Weidwerk hat er für diese Ernährungsweise einen Begriff geprägt. Er nennt sich Feretarier.

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