Läuft bei dir: Fußgänger-Konferenz Walk 21 – Jim Walker im Interview
Jim Walker hat definitiv den richtigen Namen – er ist das Mastermind hinter Walk 21, einer internationalen Veranstaltungsserie, die das Ziel hat, das Gehen verstärkt im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern. 2015 findet Walk 21 in Wien statt. Wir haben Jim zum Interview getroffen.
BIORAMA: Jim Walker, glaubst du, dass dein Name so etwas wie dein Schicksal ist?
Jim Walker: Ja, Gott sei Dank heiße ich nicht Jim Crawler. Aber im Ernst: Mein Name hat auf jeden Fall einen Vorteil, weil sich die Leute mich und das Thema merken. Viel zu oft ist Gehen etwas Alltägliches, über das wir nicht viel nachdenken. Dabei ist es es eines der ersten Dinge, die wir als Kind tun wollen und eines der letzten Dinge, das wir im Alter aufgeben wollen. Meiner Erfahrung nach sind die schönsten Orte auf der Welt jene, an denen sich die Menschen dazu entscheiden, jeden Tag zu Fuß zu gehen. Wenn du Leute auf den Straßen gehen siehst, weißt du, dass dieser Platz funktioniert.
Warum sind zu Fuß gehende Menschen ein Indikator für funktionierende Städte?
Weil es eine Sache ist, die jeder Mensch tun kann. Aber das heißt nicht, dass es auch immer die Möglichkeit gibt, es zu tun. Zu viele Autos, Luftverschmutzung, Abwanderung von Geschäften, kein Platz für Kinder zum Spielen oder keine Sitzmöglichkeiten für alte Menschen zum Ausruhen – das sind Indikatoren dafür, dass etwas falsch läuft. Die Menschen, die in Pension gehen, ziehen dann weg und die Menschen mit Kindern suchen sich auch einen anderen Wohnort. Ich war mal Förster und wenn man das mit einem Wald vergleicht: Ein Wald ist dann gesund, wenn es alte und junge Bäume gibt und nicht, wenn alle Bäume gleich alt sind.
Wie schaut deine persönliche Beziehung zum Thema Gehen aus? Es gibt ja leidenschaftliche Autofahrer, leidenschaftliche Fahrradfahrer, aber was macht dich zu einem leidenschaftlichen Fußgänger?
Naja, ich fahre auch gern Auto und Fahrrad, vielleicht bin ich einfach ein leidenschaftlicher Mensch. Aber ich mag die besondere Beziehung, die ich zu meiner Umgebung aufbauen kann, wenn ich mit nur 5 km/h unterwegs bin. Da kann man Dinge entdecken, die es wert sind, entdeckt zu werden. Die Möglichkeit mit Leuten zu kommunizieren, etwas zu riechen, einfach schnell irgendwo reinzuspringen und etwas zu kaufen – im Gehen wird die Stadt zu einer Stadt der Möglichkeiten. Leider wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Effizient einer Stadt in Geschwindigkeit gemessen. Solange die Leute schnell, ohne Stau und ohne Wartezeiten irgendwo hingelangen können, wird das als Erfolg verbucht. Aber ich glaube nicht, dass das richtig ist. Eine richtige Reise sollte richtig lange dauern. Es könnte dich einen ganzen Tag lang kosten, um in die Arbeit zu kommen. (lacht)
Ist das also vielleicht der Grund, warum Stadtplaner irgendwann auf die Fußgänger vergessen haben – weil Geschwindigkeit zählt?
Na klar, wir glauben ja auch immer irgendetwas zu verpassen, wenn wir nicht schnell genug sind. Jedes Mal, wenn etwas „Piep“ macht, haben wir schon das Gefühl, irgendwo ganz dringend gebraucht zu werden und sofort antworten zu müssen. Man kann nicht dauernd auf diesem Kommunikationslevel sein und gleichzeit alles wahrnehmen, was um einen herum passiert. Man denkt dann an die Person, die einem gerade ein Mail geschrieben hat, aber vergisst die Person, die einem gerade gegenübersitzt.
Also geht es bei der Walk 21-Konferenz um weit mehr als nur Zufußgehen?
Ja, das zeigt sich auch in den Verantwortungsbereichen. Ob eine Stadt oder ein bestimmter Platz gut für Fußgänger ist, liegt in der Verantwortung von vielen verschiedenen Abteilungen. Da müssen Fragen beantwortet werden wie: Ist genug Platz da? Gibt es genug Mistkübel? Gibt es genug Sitzmöglichkeiten? Ist die Straßenbeleuchtung ausreichend und wie lange muss ich an einer Ampel warten? Ganz viele verschiedene Experten, Unternehmen, etc. tragen dafür Verantwortung. Was wir aktuell beobachten ist, dass immer mehr Ärzte zu unserer Konferenzen kommen und erklären: „Die Tatsache, dass die Leute nicht zu Fuß gehen, kostet uns Geld. Könnt ihr das ändern?“ Und die Ingenieure kommen und sagen: „Wir verstehen nicht, warum für für Fußgänger planen sollen, es gibt doch gar keine Nachfrage. Keiner sagt uns, dass wir es tun sollen und deswegen bauen wir für die mit der lauteren Stimme.“ Und die mit der lauteren Stimme sind die Menschen in ihren Autos, die wirklich frustriert sind, weil sie nicht wissen, wo sie parken sollen oder dauernd im Stau stehen. Das alles entbehrt natürlich jeder Logik, aber es ist der Status Quo … Zeit, dass sich etwas ändert.
Autofahrer haben also eine große, laute Lobby. Auch die Radfahrer-Lobby wird immer größer. Aber wo ist eigentlich die Lobby für die Fußgängerinnen und Fußgänger?
Es gibt international etwa 40–50 Gruppen, die sich für die Rechte von Fußgängern einsetzen und das Zufußgehen promoten. Das ist wichtig, um eine Stimme zu haben und das Thema auf der Agenda sichtbar zu machen. Aber: Ich glaube nicht, dass es unbedingt eine Lobby braucht. Denn 90% der Leute da draußen gehen jeden Tag zu Fuß, auch die Autofahrer, und wir alle sind auf ein funktionierendes System für Fußgänger angewiesen, um unsere Weeg zur U-Bahn, zum Auto oder von A nach B zurücklegen zu können.
Was definiert deiner Meinung nach eine fußgängerfreundliche Stadt? Was macht einen öffentlichen Raum zu einem funktionierenden öffentlichen Raum?
Nummer 1: die Menschen darin! Oft zeigen mir Leute Bilder von Plätzen und sagen „DAS ist ein gelungener öffentlicher Raum“, aber es sind keine Menschen zu sehen. Entweder sind sie um 5 Uhr früh aufgestanden, um das Foto zu machen, oder es ist zwar ein öffentlicher Raum, der vom Design-Standpunkt aus gesehen gut gelungen ist, aber seine Funktion verfehlt. Also die Anzahl der Leute, die an einem Ort sitzen, sich miteinander unterhalten oder sich küssen sind ein ganz guter Indikator. (lacht) Sitzgelegenheiten, die Möglichkeit, etwas zu konsumieren oder auch nicht zu konsumieren, ein sauberes, kompaktes Umfeld, in dem die Menschen die Möglichkeit haben, miteinander zu interagieren – das macht einen lebendigen Ort aus.
Die Walk 21-Konferenz präsentiert u.a. auch Best-Practice-Beispiele aus der ganzen Welt. Wo geht es Fußgängern denn besonders gut?
Es gibt viele verschiedene Gründe, warum Zufußgehen in vielen verschiedenen Städten gut ist. Zufußgehen gibt einem ja auch immer die Möglichkeit, eine Stadt und ihre Bewohner auf eine ganz eigene Art und Weise kennenzulernen. Wien gehört zu meinen Lieblingsorten, genau so wie San Sebastian in Spanien oder Barcelona. Städte wie Barcelona funktionieren deshalb so gut, weil es an jeder Ecke einen kleinen Park mit Sitzgelegenheien gibt. Und diese Orte werden zu ausgelagerten Wohnzimmern. Und wo Menschen sind, eröffnen auch Geschäfte und so weiter …
Die Leute können sich ja auch aktiv an der Walk 21-Konferenz beteiligen und ihre Projekte einreichen. Wie genau funktioniert das?
Es ist mir wichtig, dass die Walk 21-Konferenz nicht nur als eine Experten-Plattform wahrgenommen wird, sondern dass auch und vor allem die Menschen, die es in ihrem Alltag ja am meisten betrifft, mitmachen und mitdiskutieren können und sie ihre Erfahrungen mit uns teilen. Denn: Geschwindigkeitsreduzierung, Begrünung oder die Bereitstellung von Sitzmöglichkeiten können natürlich Lösungen sein, aber vielleicht nicht für jede Straße oder jeden Platz. Es geht also nicht nur um die Lösung an sich, sondern auch um den Weg dorthin.
Worauf wir uns freuen, sind die Geschichten von Menschen, die sich über die Freude, die Zufußgehen bereitet, Gedanken machen. Schriftsteller, Poeten, Maler wurden ja schon immer beim Zufußgehen inspiriert. Die Muse hat sie oft beim Spazierengehen geküsst. Wo immer wir können, wollen wir uns auch mit kreativen Köpfen zusammentun. Politiker und Experten stecken öfter bei einem Gedanken fest und sie sind gut beraten, wenn sie kreative Sichtweisen zulassen und sich inspirieren lassen. Wenn es funktionieren soll, muss es eine Beziehung zu den Menschen geben. Deswegen gibt es in Wien auch gleich ein ganzes Jahr des Zufußgehens, nicht nur diese Konferenz. Es geht nicht darum, dass die Stadtverwaltung den Bürgerinnen und Bürgern erklärt, was zu tun ist. Es geht darum, dass die Bevölkerung sagt: Deshalb mag ich Zufußgehen, darum gehe ich gern zu Fuß in die Schuhe etc. Natürlich kannst du sagen: Für mich ist die Stadt gut so wie sie ist. Aber wenn du denkst, da gäbe es noch ein bisschen mehr, was getan werden könnte, dann ist die Walk 21-Konferenz eine gute Gelegenheit, um deine Idee vorzustellen.
Ich hab ja auch ein kleines Projekt, das heißt #StVOofLove: Jedes Mal, wenn ein Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger sich mir gegenüber – als Fußgängerin oder Radfahrerin – sehr rücksichtsvoll verhält, also mir Vorrang gibt, stehen bleibt o.ä., bekommt er oder sie von mir einen Luftkuss.
Das ist ja großartig! Eine wunderbare Sache. Siehst du, solche Kleinigkeiten können schon viel ändern.
Bis 30. Jänner 2015 können Konferenzbeiträge für die Walk 21 zu diesen vier Themenschwerpunkten eingereicht werden:
- Öffentlicher Raum – Walking towards new public spaces
- Lebensqualität und Resilienz – Walking towards resilient cities
- Sicherheit und Gesundheit – Walking towards safety and health
- Einander begegnen – Walking together
Alle Infos: www.walk21vienna.com