Von Kakteen und Würgefeigen in der Wirtschaft
Unternehmen können noch so einiges von der Natur lernen. Wie man sich am Langfristigen orientiert und Pflanzen als Vorbilder nimmt zum Beispiel.
Als im September 2008 die Investmentbank Lehman Brothers aufsehenerregend in die Pleite rutschte, stand im Büro ihres Chefs Richard S. Fuld eine lebensgroße Gorilla-Nachbildung. Die wurde schnell berühmt, schließlich passte sie gut zu dem geltungsbewussten und kraftprotzenden Wall Street-Manager. Vergleiche zwischen Managern und Tieren sind beliebt, um unterschiedliche Geschäftsstrategien und -stile zu veranschaulichen. Es wird vor Kredithaien gewarnt oder vor dem Raubtierkapitalismus. In Unternehmen nutzen Leitwölfe die Schwarmintelligenz ihres Teams. Die Ratgeberliteratur für Manager findet immer überraschendere Methaphern: »Die sieben Geheimnisse der Schildkröte« oder »Whale done – von Walen lernen«.
Der Wiener PR-Berater und Publizist Stefan Sengl hat ebenfalls ein Buch über Business-Strategien geschrieben. Keinen Ratgeber. Eher einen Essay für mehr Nischenbewusstsein und langfristige Planung. Sein Blick richtet sich dabei auf das Reich der Pflanzen. Schließlich machen Pflanzen rund 55 Prozent der bekannten Lebewesen aus. Sie sind der Marktführer im Ökosystem, wenn man so will. Das war für Sengl Grund genug zu fragen, welche Wachstumsstrategien sich Unternehmen aus der Botanik abschauen können.
Anpassung statt Kraftmeierei
Fast wäre Stefan Sengl Naturwissenschaftler geworden. Als Jugendlicher lautete sein Berufswunsch: Biochemiker. Damals, in den späten 80ern, war die Gentechnik ein Thema, über das er viel las. Doch mit 17 schwenkten seine Interessen in Richtung Gesellschaft und Politik. Er landete schließlich in der Kommunikationsbranche, wurde zum professionellen Kommunikator. Heute entwickelt sein Wiener Unternehmen politische Kampagnen und Unternehmens-PR. Ganz losgelassen hat ihn die Begeisterung für die Natur allerdings nie. Vor ein paar Jahren kam ihm beim Hören eines Radiobeitrags – es ging um die Hecke als Übergangszone zwischen Wald und Wiese – ein Gedanke, mit dem sich seine Tätigkeit als PR-Berater und die Biologie verbinden ließen: Steckte nicht in der Ökologie der Hecke vieles, was sich auch in Unternehmensstrategien wiederfindet? Den Gedanken verfolgte er weiter, bis daraus schließlich ein Buch wurde. In »Was Unternehmen von Pflanzen lernen können« beschreibt er genau das anhand von Beispielen aus Botanik und Geschäftswelt. Wenn man nach den Wachstumsstrategien von Pflanzen sucht, stößt man schnell auf ein CSR-Modell, erklärt Sengl: »C steht dabei für Competitors, S für Stress Tolerance und R für Ruderals. Das sind drei Grundstrategien im Pflanzenwachstum. Das heißt, es gibt natürlich wettbewerbsorientierte Pflanzen, aber eben nicht nur. Es gibt auch zwei komplett andere Strategien, die nicht auf Konkurrenzorientierung aufbauen.« Wettbewerb, Stress-Toleranz und Ausbreitungsstärke – wie spiegeln sich diese pflanzlichen Anpassungstypen in Unternehmens-Strategien?
An Beispielen dafür mangelt es im Buch nicht. Da sind die unterschiedlichen Standorte im Einzelhandel, die man in A-, B- und C-Lagen einteilt. In innerstädtischen A-Lagen gibt es viel Laufkundschaft, große Umsätze, viel Wettbewerb. Dort herrscht ein massiver Wettbewerbsdruck, wie unter Dschungelpflanzen. Nicht jedes Handelsunternehmen fühlt sich wohl in diesem Habitat und setzt auf eine adäquate Strategie. Denn auch B- oder C-Lagen können das passende Umfeld bieten, zum Beispiel, wenn Unternehmen sich am Konzept der Stress-Toleranz aus der Pflanzenwelt bedienen. »Das heißt, dass Pflanzen in weniger produktiven Habitaten, wo es wenig Wasser, Nährstoffe und Licht gibt, es als Vorteil nutzen, dass es weniger Konkurrenzdruck gibt. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Kaktee. Eine tolle Strategie.« Wenn Stefan Sengl über die botanischen Strategien erzählt, spürt man, wie sehr ihn das Thema fasziniert. »Im Buch beschreibe ich die Strategie der Adler-Modemärkte. Das ist eine Kette, die sich auf eine Zielgruppe spezialisiert hat, die über 60 ist. Die siedeln sich nicht in Innenstadtlagen an, sondern eher neben Baumärkten. Dort gibt es dann mehr Platz und deshalb können die Gänge in den Läden sehr viel breiter sein, als in anderen Geschäften. Das mag die Zielgruppe. Alles ist ordentlich, geräumig und aufgeräumt. So hat sich Adler in einer hochkompetitiven Branche eine Nische in Randlagen geschaffen. Ganz wie eine Alpenpflanze, die sich ebenfalls in schwierigem Terrain eine Nische sucht, die eine hohe Spezialisierung erfordert.«
Wurzeln schlagen wie ein Baum
Dafür, dass wir Menschen uns im Allgemeinen lieber mit Tieren als mit Pflanzen vergleichen, hat Stefan Sengl einen einfachen Grund ausgemacht. »Auf der strategischen Ebene sind Pflanzen auf einer ganz anderen Zeitschiene unterwegs. Deshalb nehmen wir Pflanzen nicht als Organismen mit einem Plan war.« Dort, wo uns Pflanzen im Geschäftsleben begegnen, seien sie noch dazu meist zur Deko degradiert. Dabei haben viele Pflanzen einiges gemein mit Unternehmen, so Sengl. Zum Beispiel die Verwurzelung: »Ab einer gewissen Größe ist es für ein Unternehmen schwierig, umzuziehen. Ich könnte mit unserer PR-Agentur zum Beispiel nicht einfach in ein anderes Land ziehen, mit all den Wurzeln, die wir hier in Wien haben. Außer ein paar Großkonzernen, die ihre Produktionsstandorte verlagern können, ist es kaum einem Unternehmen möglich, sich aus dem Staub zu machen, wenn sich die Umweltbedingungen ändern. Bei Pflanzen ist das auch so. Wenn der Waldbrand kommt, können sie nicht fliehen. Aus dieser Parallele lassen sich viele strategische Anregungen ziehen.«
Ein festes Wurzelwerk sorgt bei Bäumen für Stabilität. Diese Stabilität fehlt in Unternehmen häufig. Sengl kennt das gut: »Es gibt irrsinnig viele Unternehmen, die quartalsgetrieben agieren, sehr kurzfristig orientiert, fokussiert auf schnelles Wachsen.« Stabilitätsverluste nehmen Firmen dafür oft leichtfertig in Kauf. Dabei zeigt die Waldökologie, dass Stabilität der wichtigste Erfolgsfaktor in der Botanik ist. Wo Wälder gedeihen, kann man das beobachten. Oder man lässt es sich von Stefan Sengl erklären: »Am Anfang kommen Pionier-Pflänzchen, dann Kräuter und Sträucher, und irgendwann kommen die Bäume. Je nach Standort und Umwelteinfluss entsteht dann nach einiger Zeit theoretisch ein Optimal-Maximum an Biomasse. Da ist die spannende Frage: Von welcher Baumart wird dieser sogenannte Schlusswald dominiert?«
In Mitteleuropa ist es meist die Rotbuche, die sich durchsetzt. »Es gibt Untersuchungen, bei denen geschaut wurde, welche Bäume im Schlusswald am Ende die häufigsten sind. Das Interessante ist: Das sind in aller Regel nicht die am schnellsten wachsenden Bäume. Die sind vielleicht 50 Jahre lang die höchsten Bäume. Aber nach 100 Jahren sind sie längst vom Wind umgehauen worden. Und dann bleiben die stabilen Bäume mit hoher Holzdichte übrig. Schnell zu wachsen ist also auf lange Sicht kein Erfolgsrezept.«
Das Gesetz des Angepassteren
Es bleibt die Frage: Wird nicht der botanische Überlebenskampf genau so hart geführt wie der im Tierreich? Da widerspricht Sengl nicht: »Man darf sich keiner Illusion hingeben. Es gibt auch sehr kompetitive Pflanzen. Die Würgefeige ist zum Beispiel ziemlich brutal. Die nimmt dem Baum, auf dem sie gedeiht, das Sonnenlicht und erwürgt ihn letztlich.«
Inspirierend findet Sengl eher die weniger aggressiven Strategien, in der Natur wie im Geschäft. Denn einiges, meint er, laufe falsch in der Geschäftskultur. Das könnte auch an einem uralten Missverständnis liegen. Aus der Evolutionstheorie von Charles Darwin seien nämlich vielfach nur die sozialdarwinistischen Aspekte übriggeblieben. Und die werden zu allem Übel auch noch fehlinterpretiert als »Gesetz des Stärkeren«. Dabei geht es beim »Survival of the Fittest« wörtlich um das Überleben des am besten Angepassten, nicht des Stärksten. Unter Fitness wird im Sport schließlich auch nicht nur Muskelaufbau verstanden. Wer sein »Habitat« genau kennt, der merkt vielleicht, dass Muskeln ihm gar nicht weiterhelfen, sondern Flexibilität gefragt ist. Oder dass Ausdauer wichtiger ist als hohe Sprint-Qualitäten.
Und was kommt nach dem Wachstum?
Für viele Ökonomen sind die Grenzen des Wachstums längst absehbar, wenn nicht schon erreicht. Da stellt sich fast automatisch die Frage nach den botanischen Strategien, die einsetzen, wenn Ressourcen zur Neige gehen. Hier wird Sengls Blick in die Botanik etwas flüchtig. Erst auf den letzten Seiten seines Buchs widmet er sich pflanzlichen Postwachstums-Strategien. Wenn Bäume im Herbst ihre Blätter abwerfen, dann sei das eine Strategie des kontrollierten Rückzugs und die Ökosysteme lehren uns, ganz von allein ein stabiles Gleichgewicht zu erlangen, schreibt er. Es bleibt der Verweis auf mehr Ausdifferenzierung bei den ökologischen Nischen. Und De-Growth, gibt’s das unter Pflanzen auch? Eher nicht. Höchstens zwischendurch.
Von Pflanzen lernen heißt nicht automatisch siegen lernen. Inspiration bietet der Blick in die Natur allemal. Und das auch recht kurzweilig. In seinem eigenen Büro hat Stefan Sengl übrigens kaum Pflanzen. Dafür steht dort eine Skulptur seiner Frau, der bildenden Künstlerin Deborah Sengl: ein »Wolfsschaf« – ein Wolf im Schafspelz.
Schon gehört? Der Strom der Zukunft kommt aus dem Blumentopf: