Peggy Buth zeigt in ihrer aktuellen Ausstellung in Graz neue Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf und erzählt von den Überresten einer Utopie.

In den USA gibt es insgesamt fast 900 Straßen die nach dem Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. benannt wurden. Ein stolzes Zeichen der Gleichstellung und des gewonnenen Kampfs gegen die Unterdrückung – könnte man zumindest denken. Tatsächlich sind genau jene Straßen inzwischen eher ein Symbol dafür, dass die vermeidlich überwundene, von Ungleichheit und Armut gezeichnete Vergangenheit bis heute tief in der Gesellschaft verankert ist. Denn die Martin Luther King Boulevards ziehen sich häufig durch die gefährlichsten und ärmsten Stadtviertel, deren Bewohner zu großen Teilen afroamerikanisch sind.

Die Künstlerin Peggy Buth hat die Zustände und Realitäten in diesen Gebieten recherchiert und dokumentiert: Das Ergebnis ist eine eindrucksvolle Fotoserie, die derzeit gemeinsam mit einigen anderen Werken von Peggy Buth bei Camera Austria in Graz zu sehen ist. Die Ausstellung »Vom Nutzen der Angst. The Politics of Selection« macht Zusammenhänge zwischen Rassismus, Ökonomie und Stadtentwicklung deutlich.

Peggy Buth: Vom Nutzen der Angst – The Politics of Selection, Installationsansicht, Camera Austria, 2019. Bild: Markus Krottendorfer.

The Politics of Selection

Peggy Buths Werke lassen sich nicht so schnell in eine Schublade stecken – die gebürtige Berlinerin erarbeitet häufig multimediale Langzeitprojekte mit interdisziplinären Schwerpunkten. Für die Camera Austria-Ausstellung hat Buth einige internationale Projekte der vergangenen Jahre in einem großen Konzept zusammengeschlossen. Die Künstlerin beschäftigt sich hier in Form von Fotografien und Videoinstallationen mit der Frage, von welche Utopien sich die »westliche« Gesellschaft verabschiedet hat und wie dieser Wandel unmittelbar in Stadtbildern abzulesen ist. An den aktuell ausgestellten Werken arbeitet sie seit 2014: »In ‚Politics of Selection. Vom Nutzen der Angst’ untersuche ich die Verbindung zwischen der Konstruktion von Identität, rassistischen Vorurteilen, Medien, Ökonomie und der kapitalistischen Aneignung von Raum.« (Peggy Buth)

Die Stadt als Spiegelbild 

Eine der visuellen Installationen im Kunsthaus führt die Betrachtenden durch ein verlassenes, verwildertes Gebiet. Immer wieder blitzen in dem kurzen Video zerfallene Mauern zwischen den kreuz und quer wachsenden Bäumen und Gräsern auf – die letzten Überreste der Pruitt-Igoe Wohnanlage in St. Louis, Missouri. Der Häuserkomplex bestand am Punkt der Fertigstellung 1954 aus über dreißig Hochhäusern, die als Vorzeigeobjekte des sozialen Wohnbaus in den USA geplant waren. Nach der Sprengung im Jahr 1972 stand das Gebiet allerdings nicht mehr für eine hoffnungsvolle Zukunft, sondern für unerreichte politische Utopien und soziale Ungleichheit. 

Die ideale Vorstellung eines sozialen Wohngebiets ist letztlich zu Schutt und Asche zerfallen. Bild: Peggy Buth, Still aus: Pruitt Igoe Fallow Area, 2015.

Peggy Buth schafft es, sowohl die heutige Atmosphäre, als auch die an diesem Ort verbliebene Stimmung vom Ende der Nachkriegsmoderne einzufangen und gibt damit den Blick ins Leere frei.  Im Video ist deutlich zu erkennen, wie sich die Natur langsam ihren Weg zurück bahnt und die Reste der Betonblatten Stück für Stück überwuchert werden. Trotzdem können die damaligen Geschehnisse und deren Folgen nicht vollständig kaschiert werden. Die Natur wird zum Symbol einer gescheiterten Utopie. Der Mensch hat hier nicht nur grobe Einschnitte in der Pflanzenwelt, sondern vor allem auch in der Gesellschaft hinterlassen. Im Gegensatz zur biologischen Umwelt, die sich trotz der gewaltigen Sprengung langsam erholt, hatten die BewohnerInnen der Häuserblocks nämlich keine Chance, am gleichen Ort neu anzufangen. Seit damals wurde das Gebiet nicht wieder in die Stadtplanung miteinbezogen, kein neues Wohnbauprojekt wurde an dieser Stelle realisiert. Die Spuren der vertanen Chancen sind jedoch bis heute präsent.

Zwischen Zentrum und Peripherie

Neben mehreren Fotoserien und Videoinstallationen ist in der Ausstellung in Graz auch ein Medium zu sehen, das der jüngeren Generation vielleicht gar kein Begriff mehr ist: die Diaprojektion. Im 2017 entstandenen Werk »91, 92, 93, 94/75« stellt Peggy Buth Aufnahmen vom Leben in den Banlieues in Paris (den Randgebieten der Großstadt) mit gefundenen Archivbildern gegenüber, die die Spuren der französischen Kolonialgeschichte zeigen. Beim direkten Vergleich der Bilder wird klar, dass die koloniale Vergangenheit des Landes einen großen Einfluss auf die städtische Entwicklung hatte.

Die Projekte 91, 92, 93, 94 / 75, 2017 und DEMOLITION FLATS, 2014 – Peggy Buth: Vom Nutzen der Angst – The Politics of Selection, Installationsansicht, Camera Austria, 2019. Bild: Markus Krottendorfer.

Die Spuren einer Utopie

Peggy Buth knüpft mit ihren dokumentarisch-ästhetischen Werken neue Zusammenhänge zwischen Stadtbildern, Gesellschaft und Politik. Der Status quo wird zu großen Teilen von vergangenen Ideen und Utopien geprägt, die sich bis heute in der urbanen Umgebung abbilden. Architektur und Stadtplanung machen soziale Spaltung auch noch Jahrzehnte später greifbar. Die Kontraste zwischen Zentrum und Peripherie werden wohl noch weiterhin bestehen bleiben, denn die Idee einer Dystopie scheint im 21. Jahrhundert am Ende doch populärer zu sein, als die einer neuen Utopie. 

FLÄCHEN, 2019. Peggy Buth: Vom Nutzen der Angst – The Politics of Selection, Installationsansicht, Camera Austria, 2019. Bild: Markus Krottendorfer.

Peggy Buth wurde 1971 in Berlin geboren und studierte Fotografie und Bildende Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig mit Diplomabschluss im Jahr 2002. Seit 2016 ist sie Professorin für Medienkunst an der der HGB Leipzig. Peggy Buths Konzepte und Werke sind international erfolgreich – Sie erhielt zahlreiche Arbeitsstipendien in Deutschland, den USA, Frankreich und Belgien. Die Ausstellung »Vom Nutzen der Angst – The Politics of Selection« ist noch bis 17. November 2019 in den Räumen von Camera Austria in Graz zu sehen. Am 12. November um 18 Uhr findet außerdem ein KünsterInnengespräch mit Peggy Buth, Cornelia Kogoj und Christian Kravagna statt.

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