Rom: Eine Stadt. Ein Buch
Führen heute wirklich noch alle Wege nach Rom? 50 ausgewählte Straßen führen jedenfalls durch Rom. Über Willemijn van Dijks inspirierenden literarischen Reisebegleiter „Via Roma“
Dieses Buch gelesen habend wird man sich in Rom nicht verloren fühlen. Was klingt wie eine schlechte Übersetzung aus dem Lateinischen ist ein großer Verdienst der jungen niederländischen Althistorikerin Willemijn van Dijk. In „Via Roma. Die Geschichte Roms in 50 Straßen“ (DVA) gelingt es ihr formal wie inhaltlich schlüssig, die Geschichte der Stadt in erfahr- und fassbare Häppchen zu zerlegen. Ihre Annäherungshilfe an die Ewige Stadt beginnt dabei nicht immer mit den allerbekanntesten Sehenswürdigkeiten. Was die Autorin wohlbegründet: „Wenn man als Laie eine Vorstellung davon bekommen möchte, wie Rom zu einer bestimmten Zeit – der frühen oder späteren Kaiserzeit etwa oder der Republik – ausgesehen hat, ist das Forum Romanum vielleicht der am wenigsten geeignete Ort, den man (unvorbereitet) besuchen sollte. Zumindest ist er der unübersichtlichste. Mehr als irgendwo sonst in Rom bildet die archäologische Stratigrafie hier ein Gewirr aus ständigem Neubau und übereinander gelagerter Schichten.“ Selbst kunsthistorisch Versierte stellt die schichtenreiche Opulenz der Stadt überfordert vor die Frage: Wo anfangen? Wo einsteigen?
Die erste der 50 Straßen, derer sich van Dijk widmet, ist mit dem Tiber eine Wasserstraße. Der Fluss ist die einzige Konstante, die aus der frühesten Zeit Roms, noch bevor überhaupt von einer Stadt die Rede sein konnte, ins Heute herüberreicht. Verhältnismäßig rasant wenn auch streng chronologisch geht es dann weiter von der Stadt zur Metropole, die nach ihrer einstigen Hochphase lange ein antikes Trümmerfeld war, welches teilweise erst zur Renaissance wieder besiedelt wurde.
Kontext für kulturelle Versatzstücke
Wiederholt thematisiert die Autorin auch die Schwierigkeit ihres Fachs, das Wissen um den späteren Lauf der Geschichte ausblenden zu müssen. Dabei nimmt einen van Dijk behutsam bei der Hand und hilft, kontextlos Herumschwirrendes und die Versatzstücke der klassischen Bildung in einen vor allem historisch Sinn ergebenden Zusammenhang zu setzen. Auch Redewendungen, Bezugspunkte und das gemeinsame Referenzuniversum, welches der Allgemeinheit langsam, aber sicher als Common Sense abhanden kommt, werden verknüpft.
Mag Robert Menasse „Die Hauptstadt“ Europas 2017 in seinem gleichnamigen Roman auch anders verortet haben: Zumindest eine umrissartige Kenntnis der Geschichte Roms, des ihr eingeschriebenen Kirchenstaats und damit auch des Christentums braucht es wahrscheinlich auch heute noch, um Europa lesen und sein enormes Erbe wenigstens erahnen zu können. Ja, auch ein wenig Ehrfurcht verschafft einem die Lektüre dieses Buchs. Jeder Winkel der Stadt birgt zahllose Geschichten. Jede Statue könnte bereits vor Jahrhunderten ein paar Jahrhunderte woanders gestanden sein. Das ist spätestens nach dem Lesen von „Via Roma“ klar. Doch auch dass Vieles der menschlichen Natur gemäß vergessen wird und sich Nachgeborene manches zusammenzureimen haben, vermittelt van Dijk. Und dass all die Pracht menschlicher Prunksucht zu danken ist: „In einer Welt, in der Skulptur, Relief und Architektur die einzigen Möglichkeiten waren, eine Botschaft an ein großes Publikum zu richten, und wo der Reichtum der untereinander konkurrierenden Elite unaufhörlich anwuchs, war das Zurschaustellen von schönen, exotischen Dingen eine naheliegende Entwicklung.“
Was bleibt: Augustus, das PR-Genie
Dass sich das Interesse des breiten Publikums am Rom der Zeit nach Caesar und Augustus immer in Grenzen hielt, begründet sie unter anderem durch die Schilderung von Augustus als Vermarktungsgenie und erstem großen Storyteller: „Die PR des ersten Kaisers war so wirkungsvoll, dass er seit über zweitausend Jahren die Aufmerksamkeit der Menschen fesselt. (..) Wenn überhaupt etwas über die einzelnen Kaiser (nach ihm, Anm.) bekannt ist, dann sind es ihre seltsamen Charakterzüge (Caligula, der Lüstling, der sein Pferd zum Konsul ernannte; Claudius, der Stotterer).“
Dass alle Epochen Roms die Beschäftigung wert wären, zeigt die Gesamtheit der 50 Straßen, durch die uns Willemijn van Dijk führt – vom alten Italien des Germanenkönigs Odoaker macht sie ob der babylonischen Gefangenschaft der Kirche einen gedanklichen Abstecher nach Avignon als zwischenzeitliches Papstrefugium, kommt retour ins Rom als Renaissancestadt Michelangelos, zeigt uns das Stammcafé von Goethe, Shelley und Schopenhauer und gelangt schließlich zur Formation des neuen Italiens und in die monumentale Metropole des Faschistenführers Mussolini.
Jeder und jede, der oder die sich nach Rom aufmacht, sollte dieses Buch spätestens im Zug zur Hand genommen und allerspätestens beim Betreten der italienischen Hauptstadt intus haben. Was wirklich fehlt: ein Glossar und eine Zeitachse. Nichtsdestotrotz: das ultimative Rom-Buch.
Willemijn van Dijks Buch „Via Roma. Die Geschichte Roms in 50 Straßen“ ist in der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) erschienen.