Das Ende der Wende?

Der Kampf ums Berliner Abgeordnetenhaus war auch einer um die Mobilitätswende. Freie Fahrt fürs Auto? Ein Jahr nach der Wahl zeigt sich: So eindeutig ist die Sache nicht.

Ein Hauseingang an dem einige Absperrungsgitter zu sehen sind.
Wie es um die Berliner Verkehrswende ein Jahr nach der Wahl steht. Bild: Istock.com/Andy Nowack.

Als eine ihrer ersten Amtshandlungen stoppte die neue CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner den Bau von Radwegen. Nach einem öffentlichen Aufschrei ruderte sie wieder zurück. Jetzt werden 16 der betroffenen 19 Projekte doch umgesetzt. Schreiner selbst trat wegen einer Plagiatsaffäre im April zurück. Wie es unter ihrer Nachfolgerin Ute Bonde weitergeht, ist noch offen. Bonde leitete zuletzt den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), hat also Erfahrung im öffentlichen Personennahverkehr. Befindet sich die Berliner Koalition also tatsächlich auf einem »Auto-Kreuzzug«, wie es der Umweltverband Bund auf seiner Website formuliert? Oder geht die Verkehrswende vielleicht doch weiter, nur eben langsamer? 

Verkehrswende

(Politik) grundlegende [ökologische] Umstellung des öffentlichen Verkehrs.
(Quelle: Duden)

Besonders kritisch sieht der Radverband ADFC die derzeitige Verkehrspolitik. »Auch bei den Grünen ging es langsam voran«, sagt die Berliner ADFC-Vorsitzende Hannelore Lingen. »Aber da war wenigstens der Wille da.« Um Verkehrstote zu vermeiden, bräuchte es viel mehr sichere, abgetrennte Radwege. »Gerade für Schulkinder wäre das wichtig«, sagt Lingen, »aber da passiert kaum etwas.« Die festen Ausbauziele, die das Mobilitätsgesetz der Vorgängerregierung Berlins festschreibt, sieht sie in Gefahr. »Wir sind nicht damit einverstanden, dass Radwege nur saniert statt neu gebaut werden«, betont Lingen. Fällt ihr auch etwas Positives zur aktuellen Regierung ein? »Nö.«

Besserer Ausbau von Trams und U-Bahnen?

Nicht ganz so hart urteilt der Verkehrsclub Deutschland (VCD). »Rückgängig gemacht wird die Verkehrswende nicht», sagt der Regionalvorsitzende Heiner von Marschall. »Aber es kommen eben auch keine neuen Planungen hinzu.« Man müsse der Regierung zugestehen, dass sie alte Projekte überprüft. «Unter Rot-Rot-Grün herrschte oft das Gefühl, dass vor allem für den Radverkehr etwas getan wird«, sagt von Marschall. Seine Hoffnung: Da die neue Verkehrssenatorin aus dem Öffi-Bereich kommt, könnte sich beim Ausbau von U-Bahnen und Trams etwas tun. 

»Die Grünen wollten ein Sechstel  aller VerkehrsteilnehmerInnen verwöhnen, die CDU versucht es bei einem Drittel.«

Roland Stimpel, Fußgängerverein Fuss e. V.

Eine ähnliche Sicht vertritt Roland Stimpel vom FußgängerInnenverein Fuss e. V.: »Die Grünen wollten ein Sechstel aller VerkehrsteilnehmerInnen verwöhnen, die CDU versucht es bei einem Drittel.« Gemeint sind RadfahrerInnen und AutofahrerInnen – reine Klientelpolitik, findet der FußgängerInnenaktivist. An diejenigen, die zu Fuß gehen oder den Bus nehmen, denke niemand. Vor allem die geplante Rücknahme von Tempo-30-Abschnitten stört Stimpel. Im Februar hatte die damalige Verkehrssenatorin angekündigt, an rund 30 Hauptstraßen könne künftig wieder Tempo 50 gelten, da die Luftgrenzwerte eingehalten würden. Stimpel hat dafür kein Verständnis: »Es ist doch paradox. Die Luft wird besser, die Unfallzahlen gehen zurück, und jetzt ist schnelles Durchfahren plötzlich wichtiger als ein gutes Leben.« Noch ist aber nichts entschieden. Laut Auskunft der Senatsverwaltung befindet sich die Rückumwandlung derzeit in Prüfung (Stand: Mai 2024). Sollten Schulen, Kitas oder Pflegeheime an die Straße grenzen, könnte dort Tempo 30 bleiben. 

Kein Geld für neue Radwege

Der Autoclub ADAC hat diesbezüglich – wenig überraschend – eine andere Sicht. »Wir begrüßen die Rückkehr zu einer sachbezogenen Politik«, sagt Pressesprecherin Claudia Löffler. »Man sollte erst einmal Alternativen schaffen, bevor man versucht, Autos aus der Stadt zu drängen.« Vor allem das Umland sei schlecht an die Metropole angebunden. Zu Tempo 30 sagt sie: »Es ist gut, dass die Luftqualität überprüft worden ist. Wenn Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, müssen Einschränkungen zurückgenommen werden.« Also alles bestens? Nicht ganz. »Was absolut fehlt, ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Senat und den Bezirken«, sagt Löffler. Bei Baustellen gebe es oft nur eine mangelnde oder gar keine Absprache.

Radwege-Ausbau

Auch die rot-rot-grüne Vorgängerregierung hat ihre selbstgesteckten Mobilitätsziele verfehlt. Beispiel Radwege: 2022 sollten 40 Kilometer neu gebaut oder verbessert werden. Tatsächlich waren es nur 26,5 Kilometer, wie aus dem »Fortschrittsbericht zum Radwegeausbau« hervorgeht.
Mehr dazu auf der Website des BUND und dessen Blog 

Der Bezirksstadtrat für Berlin-Mitte, Christopher Schriner, spürt die schwarz-rote Verkehrspolitik vor Ort. »Für bestimmte Projekte bekommen wir kein Geld mehr vom Land«, klagt der Grünenpolitiker. Beispiel Südliche Charlottenstraße: »Die Planung für eine Fahrradstraße ist fertig, aber die Mittel werden uns nicht zugewiesen. Dabei geht es hier nicht um abstrakte Ideologie, sondern um saubere Luft, Klimaschutz und Verkehrssicherheit.« Ein bereits geplanter Radweg in der Beusselstraße in Moabit werde nach dem vorübergehenden Planungsstopp nun aber doch gebaut, räumt Schriner ein.

Parkplätze

Im Wahlkampf hatten die Berliner Grünen angekündigt, die Zahl der Parkplätze in den nächsten zehn Jahren halbieren zu wollen. Auch Parkgebühren, u. a. für SUV, sollten kräftig steigen. Aus derartigen Plänen dürfte nun nichts werden. 
Sichere Radwege, Vorfahrt fürs Auto oder doch mehr ÖPNV? Nach einem Jahr CDU-SPD-Regierung in Berlin scheint noch immer unklar, wie und ob es mit der Mobilitätswende weitergeht. Auf Nachfrage antwortet die Berliner Senatsverwaltung mit einer diplomatischen Phrase. Man mache »eine Verkehrspolitik für alle Berlinerinnen und Berliner«, sagt die Pressesprecherin.

Roland Stimpel kämpft für die Rechte von Fußgängerinnen und Fußgängern. 

BIORAMA WIEN-BERLIN #4

Dieser Artikel ist im BIORAMA WIEN-BERLIN #4 erschienen

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