Verfüttere kein Essen!

kühe verstehen

BILD Philipp Rohner

Heimische Kühe fressen Gras – aber auch immer mehr importiertes Kraftfutter wie Getreide und Soja. Das Schweizer Pionierprojekt »Feed no Food« zeigt, dass der Kraftfutterverbrauch reduziert werden kann – sogar auf Null –, ohne dass Wirtschaftlichkeit und Tiergesundheit darunter leiden.

Wiederkäuer sind die einzigen Nutztiere, die aus einer für den Menschen wertlosen Substanz (Gras) wertvolle Lebensmittel wie Milch und Fleisch produzieren können. Doch dass Kühe nur Heu und Gras fressen, stimmt seit Beginn der industriellen Landwirtschaft nur mehr bedingt. In den letzten Jahrzehnten ist die Fütterung mit Kraftfutter dramatisch angestiegen. Die Züchtung von Hochleistungskühen sowie jahrelang tiefe Weltmarktpreise für Futtergetreide und Soja trieben diese Entwicklung voran: Heute wird rund ein Drittel der weltweiten Getreideernten an Tiere verfüttert. Damit wurden Milchkühe und Fleischrinder zu direkten Nahrungskonkurrenten des Menschen. Wegen Missernten durch Dürre oder Überschwemmungen, dem erhöhten Verbrauch von Agrotreibstoffen sowie Marktspekulation stiegen jedoch die Preise für Getreide, Mais und Soja wieder massiv an. In mehreren Regionen kam es in den vergangenen Jahren bereits zu Notständen, weil die Ärmeren ihre Grundnahrungsmittel kaum noch bezahlen können.

Weidegras statt Kraftfutter

Dank Kraftfutter geben Kühe mehr Milch, lautet eine weit verbreitete Ansicht. Trotzdem ist Kraftfutter nicht an sich effizienter: Zwar ergibt die Beigabe tatsächlich eine höhere Milchleistung, die Bauern füttern aber auch mehr und habe höhere Kosten. Ein Kilo Futter ergibt unterm Strich immer rund ein Kilo Milch, egal ob viel Gras und Weide oder viel Kraftfutter. Der übermäßige Einsatz von Kraftfutter führt sogar zu Erkrankungen der Tiere (Übersäuerung, mangelnde Fruchtbarkeit), denn der Stoffwechsel der Wiederkäuer ist nicht auf die Verdauung von stark energie- und proteinreichem Futter ausgerichtet. Kraftfutter fördert auch die Ausscheidung von Keimen (EHEC), die die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können. Gigantische Soja-Plantagen sorgen zudem in den Anbaugebieten in Südamerika für Probleme mit Bodenerosion und Pestiziden. Deshalb fordern Umweltorganisationen wie Greenpeace eine Rückkehr zu mehr Gras im Futter: »Das ist nicht nur besser für die Umwelt, sondern auch tiergerecht.«

Schweizer Biomilchbauern verfüttern zwischen 300 und 400 Kilo Kraftfutter pro Kuh und Jahr, im Schweizer Durchschnitt werden etwa 700 Kilo Kraftfutter eingesetzt. In Europa sind es dagegen mehr als zwei Tonnen. Während die Bio Suisse- Produzenten nur zehn Prozent Kraftfutter verwenden dürfen, sind den EU-Biomilchbauern bis zu 40 Prozent erlaubt. Auch die österreichische Heumilch kann bis zu 40 Prozent aus Kraftfutter stammen. In Spanien erhalten die Kühe im Schnitt 80 Prozent Kraftfutter und in den USA gibt es Betriebe, in denen die Kühe zur Gänze ohne Gras auskommen müssen. Ganz anders in Neuseeland, wo die Kühe ausschließlich Gras fressen und damit etwa gleich viel Milch pro Hektar produzieren wie in der Schweiz, allerdings bei gänzlich anderen klimatischen Bedingungen.

Seit 2004 beschränken sich die Schweizer Biobauern aus ethischen und ökologischen Gründen auf maximal zehn Prozent Kraftfuttereinsatz bei der Fütterung von Wiederkäuern. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) wollte wissen, ob in der schweizerischen Biorinderhaltung der Kraftfutterverbrauch noch weiter reduziert oder ganz darauf verzichtet werden kann. In einer dreijährigen experimentellen Studie haben Wissenschafter des FiBL eine 70-köpfige Milchviehherde in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Hälfte der Kühe erhielt weiterhin zehn Prozent Kraftfutter, die andere nur noch Raufutter. Bei der Gruppe mit Kraftfutterreduktion hat sich die durchschnittliche Jahresmilchleistung um fünf Prozent verringert. Doch entgegen der verbreiteten Meinung hatte das gänzliche Weglassen des Kraftfutters einen positiven Einfluss auf die Tiergesundheit: Die Körperkondition war bei den Kühen ohne Kraftfutter besser, die übrigen Gesundheitsmerkmale und die Fruchtbarkeit blieben in beiden Gruppen gleich gut. Untersuchungen auf rund 70 weiteren Biomilchbetrieben bestätigen die Ergebnisse.

Für den Mist, nicht für die Milch

Martin Ott, Betriebsleiter auf dem biodynamischen Gutsbetrieb Rheinau und Buchautor (»Kühe verstehen«, 2011), ist vom »Feed no Food«-Prinzip auch noch aus anderen Gründen überzeugt: »Die Kuh muss mindestens acht Stunden am Tag fressen können, und zwar richtig.« Er hat seinen Betrieb entsprechend optimiert: Bei ihm können die leistungsstärksten Kühe das beste Futter wählen, die anderen werden erst danach an den Trog gelassen und die Tiere mit der geringsten Leistung müssen schauen, was übrig bleibt. Die Nährwerte von Gras und Heu schwanken nämlich je nach Jahreszeit, Witterung und Konservierung gewaltig. FiBL-Tierarzt und Projektleiter Christophe Notz hat beobachtet, dass die Kühe mit diesen Schwankungen klarkommen: »Zwar trat zu Beginn der Laktation ein Energiemangel auf, dafür sank das Risiko, dass der Pansen übersäuert wird.« Für Martin Ott ist »Feed no Food« inzwischen essenzieller Bestandteil seiner Bewirtschaftungsphilosophie. Was der menschlichen Ernährung dienen kann, soll nicht an Tiere verfüttert werden. »Eine durchschnittliche europäische Kuh frisst 2,5 Tonnen Kraftfutter pro Jahr. Davon könnten fünf Menschen ein Jahr lang leben. Von dem, was die Kuh an menschlicher Nahrung aus den 2,5 Tonnen Getreide produziert (Milch, Fleisch, Käse usw.), kann aber nur ein Mensch leben.« Aus den Ergebnissen des FiBL-Forschungsprojekts ergibt sich ein durchschnittliches

Einsparungspotenzial an Kraftfutter von 24 Prozent ohne signifikante Veränderung der Milchleistung. Wenn beispielsweise alle Milchviehbetriebe in der Schweiz einen Viertel weniger Kraftfutter einsetzen würden, könnten 520.000 Menschen ein Jahr lang davon leben.

Wichtigste Aufgabe der Kuh ist für Ott aber die Produktion von Dünger für den Ackerbau, die Milch und das Fleisch sind nur Nebenprodukte. Und er möchte, dass sich der Mensch der Kuh gegenüber etwas dankbarer zeigt und deren feinfühliges Wesen respektiert. Sie sei das einzige Lebewesen, das die Bodenfruchtbarkeit nachhaltig erhalten könne, dank ihrer Fähigkeit, Gras zu verdauen, und der idealen Zusammensetzung ihres Dungs. Die Kuh lebe quasi in Symbiose mit einem Stück Boden, so der Schweizer Landwirt und »Kuhphilosoph«.

 

»Eine durchschnittliche europäische Kuh frisst 2,5 Tonnen Kraftfutter pro Jahr. Davon könnten fünf Menschen ein Jahr lang leben.«  Martin Ott, Demeter-Landwirt

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