Naturnähe mit Fußbodenheizung
Noch nie war der Städter so entfremdet vom Land. Noch nie hat Slow Tourism in der Natur solchen Anklang gefunden. Und noch nie ließ er sich so bequem erleben. Ein Besuch in den Alpine Lodges südlich des Brenners.
Der Oktobernebel legt sich über die Panoramafenster. Die Fußbodenheizung wärmt den Holzboden unter unseren bloßen Füßen. Wir trinken aus eleganten Gläsern und verschicken E-Mails von unseren Smartphones, während Musikvideos auf dem Flachbildfernseher laufen. Das ist also Urlaub am Bauernhof. Was wir erwartet hatten? Weniger Luxus als zu Hause vielleicht. Ein knarziges Holzhaus mit altmodischen Vorhängen zum Beispiel. Warten auf Warmwasser, Gatsch unter den Gummistiefeln, Landluft.
Am St. Quirinus-Biohof in Kaltern ist nichts schmutzig, kalt oder unbequem. Nicht einmal die Landschaft rundherum. Kein Viehmist, kein Hahnengeschrei am frühen Morgen. Für Naturverbundenheit muss man sich nicht die Finger dreckig machen. Der „Rote Hahn“, eine Marke des Südtiroler Bauernbundes, hat einiges dazu beigetragen, diesen Standard zu erreichen, der dem vieler Hotels um nichts mehr nachsteht. Gemütliche, warme Ferienwohnungen mit schicker Einrichtung, Frühstücksservice und Wlan sind keine Seltenheit, auch der kulinarische Genuss kommt nicht zu kurz – und das mitten am Land. Die Gäste schätzen besonders die Ruhe, versichert man uns. Viele wandern, fahren Ski oder genießen die Landschaft auf einer Mountainbiketour. Vom Wellnesser bis zum Aktivurlauber kommt jeder auf seine Kosten. Dabei darf sich der Gast fast wie ein Freund der Familie fühlen, bei maximal fünf Ferienwohnungen pro Betrieb ist schließlich auch der persönliche Kontakt garantiert.
Aus der Innnovationsabteilung des Bauernbundes
Lukas Unterhofer leitet den Valentinhof und arbeitet nebenbei für den Bauernbund, in der Innovationsabteilung. Worum es da geht? „Naja, um Betriebe, die was Ähnliches machen wie ich“, meint er schmunzelnd. Der Valentinhof produziert, wie viele Betriebe Südtirols, hauptsächlich Äpfel. Fast jeder 2. Bio-Apfel Europas kommt bereits aus der Region, 10 % der gesamteuropäischen Ernte werden von Südtirol geliefert. Für die Genossenschaft zu produzieren ist noch lukrativ. Äpfel seien global gesehen aber ein Luxusgut, erklärt Lukas, ausgefeilte Züchtung mache natürliche Vorteile von Gunstlagen wie Südtirol weniger wertvoll, der Klimawandel tue sein Übriges. Man müsse das Betriebsmodell also langfristig weiterdenken. Lukas Familie betreibt neben dem Apfelanbau seit einigen Jahren einen Hofladen mit verschiedenen Gemüsesorten, die von nahe wohnenden Meranern gerne gekauft werden. Auch die Lieferkiste funktioniert gut.
Mehr als die Hälfte der Betriebe Südtirols sind geschlossen, das bedeutet auch durch Vererbung unteilbar. Die Landwirtschaft Südtirols ist kleinstrukturiert, die Durchschnittsgröße beträgt mit ca. 12 Hektar nur ungefähr ein Fünftel von der in Deutschland und auch der österreichische Normalbetrieb ist fast doppelt so groß. Obst- und Weinbetriebe umfassen meist nur ein bzw. drei Hektar. Bevor kleinste Einheiten noch weiter zersplittert werden, schließt man die Flächen und vermacht sie nur einem Nachfolger, der den Hof somit noch gewinnbringend weiter bewirtschaften können soll.
Ein zusätzliches Standbein, vor allem für kleine Betriebe, ist der naturnahe Tourismus. Die Nachhaltigen sind schließlich eine kaufkräftige Zielgruppe. Genuss und Entschleunigung liegen im Trend, und den kann Südtirol bedienen. Mediterran und doch bodenständig, mit alpinem Charme. Südtirol hat vieles in einem und ist trotzdem sympathisch. Die Pink Lady unter den Äpfeln. Das Feriengeschäft auf bäuerlichen Betrieben etabliert sich, ca. 27 % bieten Urlaub am Bauernhof an, die jährlichen Nächtigungszahlen haben sich seit der Jahrtausendwende verdreifacht.
Glücksmomente
Ein Paradebeispiel ist der Oberglunigerhof. Modernste Ferienwohnungen im Motto der Jahreszeiten, ein Kräutergarten für die Gäste und ein persönlicher Plausch beim Frühstück mit der Bäuerin. Sie trägt ein elegantes, schwarzes Kleid, erkundigt sich nach dem Befinden der Gäste und empfiehlt Tagesprogramme. Selbstgemachter Kuchen wird von der Tochter des Hauses serviert. Danach kann man eine der Wanderrouten wählen oder sich in der Dampfdusche entspannen. Manchmal backen alle gemeinsam Brot.
Reisende suchen Glück und schöne Momente. 55 % der Faktoren für Glück auf der Reise hat der Gastgeber unter Kontrolle, rechnet Peter Pfänder, der Chefredakteur vom Magazin „Abenteuer und Reisen“ vor. Dazu zählen Dinge wie der richtige Ort, richtige Aktivitäten, angenehme Geräusche und Gerüche. Natursehnsucht scheint am Höhepunkt, Toleranz für Unbequemlichkeit am Nullpunkt. Auf der jährlichen Mitgliederversammlung des Roten Hahn folgt ein Vortrag dem nächsten. Serviceorientierung, Websiteoptimierung, anschließend geht es zur Hotelfachmesse.
Urlaubs-Bauern sammeln Blumen
Über 16.000 Personen aus bäuerlichen Betrieben besuchen jährlich Weiterbildungskurse, aus dem breiten Programm des Südtiroler Bauernbundes. Von Preisgestaltung über Fotografie bis zum Englischkurs ist alles geboten. Ganz aktuell: Urlaub am Bauernhof im Winter – die neue Sehnsucht. Die Nebensaison soll belebt werden, auch in Nicht-Skigebieten, für die optimale Auslastung rund ums Jahr. Der Bauer von heute ist ein Befindlichkeitsoptimierer, wenn er es schlau macht, denn glückliche Gäste kommen wieder. 60 % der Urlauber sind Stammgäste, viele Höfe werden schon im Sommer für das nächste Jahr gebucht.
Maria Magdalena Thuile vom Sandwiesnhof beugt sich nicht gern dem Trend. “ Es gibt eine Zeit im Leben, wo man froh ist, wenn man ein Wenig geführt wird. Aber im Alter kommen die eigenen Ecken und Kanten mehr zum Ausdruck. Das ist gut so“, stellt sie fest. Der Bau des ersten und einzigen Klimabauernhofes in Italien hat ihren Traum verwirklicht. Sie und ihr Mann wollten vor allem dem Druck des Alltags entkommen. Der Sandwiesnhof setzt auf integrierten Obstbau, aber ist kein Bio-Betrieb. Die Ertragseinbußen durch den biologischen Apfelanbau will die Familie derzeit nicht in Kauf nehmen. Auch die höchste Bewertung von fünf Blumen als Urlaubshof wird bewusst nicht erreicht. „Das was ich kann, hab ich gemacht, in meinem kleinen Reich“, sagt Magdalena ruhig. Der Kredit wird sich schon abzahlen, das Lebensprojekt hat sich für sie gelohnt, egal wie es noch weitergeht. Ein gutes Lebensgefühl und jeden Tag im Paradies zu erwachen, sei wohl wichtiger als das perfekte Angebot.
Selbstständige 2.0
Der Bauer ist heute der Selbstständige 2.0 – arbeitet nicht nur selbst, sondern mit der ganzen Familie, nicht nur ständig, sondern multitaskend in mehreren Geschäftsfeldern. Am Feld, im Weinkeller, in der Küche, in der Genossenschaft, im Verkaufsladen und als Unterhalter für Urlaubsgäste.
Am Bio-Hof St. Quirinus bekommt jeder Gast eine Hofführung. Familie Sinn engagiert sich nicht nur bei der Verpflegung mit hausgemachten Produkten, wie einem Feigenchutney mit Suchtfaktor. Betriebsleiter Robert erklärt seinen Besuchern mit viel Geduld die Naturphänomene des Kalterer Kessels, in dem sich seine Anbauflächen für Äpfel und Wein befinden. Man spürt seine Begeisterung. Er weiß über die Weingeschichte des Dorfes sowie über die Veränderungen durch den Klimawandel in den letzten Jahrzehnten zu berichten und beantwortet auch detaillierte Fragen zur Weinproduktion am Hof. Gekeltert wird inzwischen von Sohn Michael, der die Fachoberschule für Weinbau besucht hat. Die Nachfolge scheint in der südtiroler Landwirtschaft kaum ein Problem, auch viele seiner Freunde übernehmen die Höfe ihrer Eltern gerne. Warum er den Betrieb weiterführen will? Das hätte sich ganz natürlich ergeben. Er mag das Arbeiten im Keller, wo man sieht wie ein Produkt entsteht. Und das Feriengeschäft? Das macht dann die Freundin.
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Recherchereise, zu der BIORAMA vom Roten Hahn eingeladen wurde.