Unterwegs zur Barrierefreiheit

Bild: A. Luger/BHW

Bild: A. Luger/BHW

Ende 2015 laufen alle Übergangsfristen für Barrierefreiheit aus, die im Bundes-Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz definiert sind. Das bedeutet ganz konkret: ab 1.1.2016, müssen alle öffentlichen Gebäude barrierefrei zugänglich sein.

Barrierefreiheit steigert die Lebensqualität und ermöglicht es allen Menschen, ihre Mobilität beizubehalten und am gemeinschaftlichen Leben teilzunehmen, ob blind, auf einen Rollstuhl angewiesen oder anderweitig behindert. Diesen ganzheitlichen Ansatz verfolgt das Projekt BEN (Barrierefreie Erwachsenenbildung in Niederösterreich) von der BHW Niederösterreich GmbH. Schon seit 2009 wird unter anderem die „Dorfbegehung barrierefrei?“ angeboten. Dabei geht es darum, Hürden im öffentlichen Alltagsleben zu entdecken und Maßnahmen vorzuschlagen, um sie zu beseitigen. Eva-Maria Speta, die pädagogische und administrative Leiterin von BEN, erklärt uns, wie das funktioniert.

BIORAMA: Wie testen Sie die Barrierefreiheit in Gemeinden?

Speta: In erster Linie gehen wir achtsam durch die Gemeinden, wir achten auf Stiegen, darauf ob es Handläufe gibt, Rampen, Türmarkierungen und so weiter. Wenn uns etwas Interessantes ins Auge sticht, machen wir dort eine Station und diskutieren Verbesserungsvorschläge. Außerdem geben wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Möglichkeit mit Schlafbrille und Gehstock den Selbsttest zu machen, zu welchen Hürden Gehsteige oder Treppen werden, wenn man nichts sehen kann. Das auszuprobieren, trauen sich aber nur wenige. Da ist die Möglichkeit, die Barrieren der Ortschaft aus der Sicht einer Rollstuhlfahrerin bzw. eines Rollstuhlfahrers kennen zu lernen, weitaus beliebter. Bei den Dorfbegehungen haben wir immer einen Rollstuhl zum Ausprobieren mit dabei. Wir bitten auch die Gemeinden, dass ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin mit dem Kinderwagen kommt. Auch damit werden Stufen oder Kieswege zu schwer überwindbaren Hindernissen.

Was passiert mit den gesammelten Infos? Werden die publiziert oder vorgestellt, um anderen Gemeinden als Hilfestellung zu dienen?

Während der Begehung machen wir Fotos. Danach verfassen wir für die jeweilige Gemeinde einen umfangreichen Bericht darüber, welche Maßnahmen gesetzt werden können, um Barrieren abzubauen. Was diese Gemeinde dann mit dem Bericht macht, ist ihr überlassen. Wir geben den Bericht nicht ohne Rücksprache mit der Gemeinde an Dritte weiter. Es ist leider so, dass es nur wenige Best-Practice Beispiele gibt, es werden eher Verbesserungsmöglichkeiten festgestellt.

Bild: A. Luger/BHW

Bild: A. Luger/BHW

In über 50 Gemeinden haben bisher Dorfbegehungen, stattgefunden. Nun gibt es in Niederösterreich insgesamt 573 Gemeinden. Denken Sie, dass es in den Gemeinden, die nicht teilnehmen, schwieriger ist für behinderte Menschen?

Ich glaube, dass vielen Gemeinden erst jetzt bewusst wird, dass die Übergangs-Bestimmungen für barrierefreie Zugänglichkeit mit 31. Dezember 2015 enden und sie dahingehend etwas verändern müssen. Das Schlagwort Barrierefreiheit verursacht häufig Sorgen, weil sich alle fürchten, vor schwerwiegende finanzielle Herausforderungen gestellt zu werden. Damit Barrieren für Menschen mit Behinderungen, aber auch für alle anderen, abgebaut werden, muss auch politisch jemand dahinter stehen. Es muss zum Beispiel der Bürgermeister, die Bürgermeisterin für Barrierefreiheit eintreten sowie die Dorfbegehung organisieren und auch argumentieren.

Welche Gemeinde in Niederösterreich ist am vorbildlichsten und warum?

Zum Glück gibt es bereits einige Gemeinden, die intensiv am Thema Barrierefreiheit arbeiten. Wenn ich Ihnen jetzt ad hoc Beispiele nennen soll, fallen mir zum Beispiel die Stadtgemeinde Hollabrunn oder auch die Gemeinde Gerersdorf ein. In Gerersdorf wurde zum Beispiel ein Gemeindebus organisiert, der alte und behinderte Menschen bei ihren Besorgungen unterstützt. Dieser Bus ist so ausgeführt, dass er auch von Personen im Rollstuhl benutzt werden kann. In Gerersdorf ist man bereits stark sensibilisiert. Für den Turnsaal und das Gemeindeamt liegen bereits Grundsatzbeschlüsse vom Gemeinderat vor, auch diese barrierefrei zu erschließen. Wahlen finden schon länger im barrierefrei zugänglichen Kindergarten statt. In Hollabrunn wird wann immer Straßen erneuert werden, die Barrierefreiheit gleich mitgedacht, indem zum Beispiel die Gehsteigkanten abgeflacht werden. Hollabrunn hat außerdem eine Art Etappenplan für die barrierefreie Ausführung öffentlicher Straßen und Wege.

Barrieren erschweren nicht nur den Alltag, sie können auch eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen und Rechtsfolgen nach sich ziehen. Wie hoch kann die Strafe für eine Gemeinde sein, wenn das Gemeindeamt nicht barrierefrei zugänglich ist?

Ich bin selbst keine Juristin, daher kann ich nicht sagen, wie hoch das Strafausmaß ist. Das wird auch im jeweiligen Einzelfall immer neu entschieden. Ich kann nur von den Urteilen sprechen, von denen ich bisher gehört habe: Da lagen die Strafen meistens zwischen 400 und 1.000 Euro. Wenn eine Gemeinde keine Maßnahmen setzt, um Barrierefreiheit zu garantieren, dann hat das keine unmittelbaren Konsequenzen. Erst wenn sich jemand diskriminiert fühlt und deshalb klagt, muss die Gemeinde Schadenersatz zahlen. Mit 1. Jänner 2016 kann aber praktisch jeden Tag jemand Schadenersatzforderungen stellen. Es besteht also für Gemeinden – aber auch Wirtschaftstreibende – die Gefahr, dass sich der zu zahlende Betrag summiert und ein Umbau kostengünstiger gewesen wäre. Zum Glück werden aber meistens schon im Schlichtungsverfahren, das einer Klage zwangsläufig voraus geht, gute Lösungen für alle Beteiligten ausverhandelt.

Bild: A. Luger/BHW

Bild: A. Luger/BHW

VERWANDTE ARTIKEL