Nochmal von vorn

Im Kinofilm »Und wenn wir alle zusammenziehen?« mimt Pierre Richard einen Bonvivant, dem langsam Vergangenheit und Gegenwart abhanden kommen. Dabei kann das Alter und all seine Begleiterscheinungen dem französischen Charakterkopf scheinbar nichts an. Ein Gespräch über Älterwerden und Alternativen.

 

BIORAMA: Es gibt doch tatsächlich die »Angst vor alten Menschen«, die Gerontophobie. Können Sie sich erklären, warum unsere Gesellschaft für so etwas einen Begriff finden muss?

Pierre Richard: Ich weiß nicht genau. Unsere Gesellschaft wird älter. Dadurch, dass es immer mehr ältere Menschen gibt, werden sie auch sichtbarer. Die Problematik spricht aber, glaube ich, nicht die Quantität an, sondern die Qualität des Altwerdens. Ich sag Ihnen aber ganz ehrlich: Mir fällt es leider schwer, auf diese Frage zu antworten, weil ich mich an einem Moment meines Lebens befinde, an dem ich noch nicht mal sagen kann, dass ich mich erwachsen fühle. Das ist ganz spannend, weil Sie mir eine Frage stellen, die ich mir selbst noch nie gestellt habe.

Aber im Verlauf des Films »Und wenn wir alle zusammenziehen?«, in dem Sie mit Guy Bedos, Daniel Brühl, Géraldine Chaplin, Jane Fonda und Claude Rich vor der Kamera stehen, müssen Sie doch sicher viel über das Altwerden reden. Haben Sie sich denn vor dem Film noch nie darüber Gedanken gemacht?

Ich habe mir schon Fragen bezüglich des Alterns gestellt, aber eigentlich erst während der Dreharbeiten. Und auch nicht ausgiebig, sondern nur am Rande. Ich bin mir bewusst geworden, dass der Charakter, den ich verkörpere, ein kreierter ist. Ich wusste schon, dass Albert eine Figur ist, die meinem tatsächlichen Alter entspricht, aber nichts damit zu tun hat, wie ich mich wirklich fühle. Das ist vielleicht das Spezifische am Metier des Künstlers. Man altert nicht. Wenn Sie sich Politiker ansehen, die schauen immer zehn Jahre älter aus, als sie eigentlich sind.

Sie machen also einen Film, in dem das Älterwerden eine zentrale Thematik ist und verschwenden keinen Gedanken daran?

Tatsächlich, ja! Bis zu dem Moment, als wir einen Tag lang in einem Seniorenheim gedreht haben. Wir sind am Abend völlig aufgerüttelt zurückgekommen und haben uns gedacht: »Oh nein, es gibt wirklich Menschen, die auf diese Art und Weise alt werden müssen«. Das hat uns wirklich entsetzt.

Können Sie sich vorstellen, selber im Altersheim alt zu werden?

Nein. Ich habe Gott sei Dank die Möglichkeit, diesen Weg zu vermeiden.

Die Protagonisten im Film sind ja alle eher Linksalternative, Alt-68er, die mit dem Gedanken an WGs vielleicht weniger Probleme haben. Heute, wo die Großfamilie Vergangenheit ist: Altern konservative Menschen einsamer als progressive?

Ich glaube sehr wohl, dass Menschen, die eher konservativer eingestellt sind, mehr Probleme mit ihren eigenen Egoismen haben und für sie auch die Hürden größer sind, um überhaupt die Möglichkeit eines gemeinsamen Älterwerdens in Erwägung zu ziehen. Die konservative Tradition widerspricht wohl dem Konzept eines alternativen Lebensstils. Letztendlich ist es aber eine Frage der Kultur. In Gesellschaften, in denen der kapitalistische, individualistische Charakter stärker ist als die Kultur des Teilens und der Gemeinschaftlichkeit, verschwinden viele Menschen – gerade Alte – in der Isolation.

Im Film spielen Sie Albert, der unter Demenz leidet. In einer Szene zerreißt er eine Seite aus seinem Tagebuch, um eine unschöne Erinnerung für immer zu löschen. Denkt man sich da nicht auch: Schön, wenn’s so einfach geht?

Ja, das ist eine wunderschöne Szene und sie macht auch aus Albert eine so schöne Figur. Nur, indem er sich Dinge in sein Tagebuch notiert, kann er sich daran erinnern. Und die Tatsache, dass er sich dafür entscheidet, diese Seite herauszureißen und diese eine Erinnerung damit für immer zu löschen, zeugt von einer tiefen Wunde und einem tiefen Schmerz, aber eben auch von einer großen Liebe.

Wie glauben Sie, kann man nachhaltig – im Sinne von bewusst – altern?

Um ein Stück Lebensglück aufrecht erhalten zu können, muss man vehement gegen all die Schweinereien eintreten, die einem tagtäglich präsentiert werden. Ich finde, dass der Mangel an Respekt gegenüber der Natur eines der größten Übel auf dieser Welt ist. Um die geistige und körperliche Gesundheit aufrecht zu erhalten, muss ich einen gesunden Lebensstil führen. Wenn es dann Menschen gibt, die sagen, dass das alles nichts bringt, dann muss ich ihnen widersprechen. Ich mag zwar manchmal ein pessimistischer Mensch sein, aber nicht in dieser Hinsicht.

Beschäftigen Sie gesellschaftsrelevante Fragen heute im gleichen Ausmaß wie früher? 

Ich werde immer aufmerksamer. Dabei geht es weniger um mich selbst, als vielmehr um meine Enkelkinder. Wenn ich ein schwerreicher Milliardär wäre, würde ich ein ganzes Büro voll mit gut ausgebildeten Juristen bezahlen, die für Gerechtigkeit in dieser Welt kämpfen und unsere Umwelt vor den Machenschaften der Industrie schützen.

Ich nehm’ Sie dann beim Wort, sollten Sie demnächst im Lotto gewinnen. Abschließend noch eine Frage: Was ist das absolut Beste am Älterwerden?

Vermutlich, dass ich am liebsten nochmal von vorn beginnen möchte.

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