Ohne Schaum vorm Mund
Mit seinen Zahnputztabletten möchte der Unternehmer Axel Kaiser unsere Alltagsroutinen ändern, Zahnpastatuben aus den Regalen fegen und somit Politik machen.
Wie viel er und sein Bruder bereits in die Idee investiert haben, weiß Axel Kaiser nicht. »Wir haben nie Buch geführt, das gibt dir nur ein schlechtes Gefühl«, sagt der 60-Jährige. »Vielleicht zehn Millionen Euro? Die ersten 15 Jahre waren jedenfalls komplett defizitär.« Anfangs war es überhaupt nur ein Scherz gewesen. Damals widmete sich ein befreundeter Zahnarzt in seiner Doktorarbeit gerade der »Entwicklung eines wasserfreien Zahnputzmittels«. Der gelernte Kfz-Mechaniker Axel Kaiser unterstützte ihn dabei und man entwickelte erst ein Granulat und daraus später eine erste Zahnputztablette.
Entscheidend: was nicht drin ist
Damit ließen sich für für den Körper potenziell kritische, für die Herstellung und Haltbarkeit wasserhaltiger Zahncremes allerdings notwendige Inhaltsstoffe einfach weglassen: Stabilisatoren, Konsistenzkleber, Schaumbildner oder Keimhemmer, die dafür sorgen, das Wasser zur Paste wird oder verhindern, dass der Tubeninhalt zu schimmeln beginnt, wenn er mit einer verkeimten Zahnbürste in Berührung kommt. Das war um die Jahrtausendwende und passierte eher nebenbei. In der Hauptsache betrieben die Brüder in Berlin seit 1992 ein Dentallabor, spezialisiert auf den Vertrieb von Zahnersatz.
Kaiser erinnert sich an goldene Jahre: »Nach der Wende wollten plötzlich 16 Millionen Deutsche neue Zähne.« Ihre Alternative zur Zahnpasta verloren die Brüder trotzdem nie aus den Augen. 2003 schließlich hatte man die Tablette fertig entwickelt.
Nun schien der verspürte Auftrag eigentlich erledigt. Mit der Überzeugung, die Industrie schnell von ihrem perfekten Produkt – leistbare Naturkosmetik mit deutlich weniger Verpackungsmüll – überzeugt zu haben, bot man dieses an. Mehr als ein mildes Lächeln gab es dafür allerdings nicht. Irritiert und von so viel Ignoranz vor den Kopf gestoßen, beschloss man, die Sache selbst anzugehen.
Rückschläge und Rückhalt durch die Crowd
Anfangs lief das Geschäft schleppend als Projekt des Dentallabors. Erst 2009 gründete man für die »Denttabs« ein eigenes Unternehmen – durchaus mit der Absicht, dafür auch InvestorInnen zu begeistern. Auch daraus wurde nichts. Zwar sammelte man im Sommer 2021 in einem Crowdinvestment binnen einer Woche eine Million Euro. Doch auch 2023 gehört das Unternehmen ausschließlich den beiden Brüdern. Im Jahr 2022 verkauften sie 75 Millionen Denttabs (was der Füllung von 1,2 Millionen Zahnpastatuben entspricht). Die Tabletten sind als zertifizierte Naturkosmetik mittlerweile bei Dm, bei Rossmann und auch bei Dennree, Bio Company und Alnatura erhältlich.
Trotzdem lief das Geschäft vor der Pandemie besser. Damals machte man mit dem Tablettenverkauf 3,2 Millionen Euro Umsatz. Derzeit liege man etwa bei der Hälfte. Für den Einbruch sieht Kaiser viele Gründe: »In den Lockdowns waren viele Einkaufszentren geschlossen. Das Interesse an Zahnpflege war während der Pandemie insgesamt nicht besonders groß. Es gab einige Pleiten und die Unverpacktläden kämpfen fast alle ums Überleben. Insgesamt haben wir immer noch ein exotisches Produkt ohne gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit.« Dass es mittlerweile eine Vielzahl anderer AnbieterInnen von Zahnputztabletten gibt, erachtet der Gründer als Bestätigung und Belebung des Markts. Der Mitbewerb sei »eine großartige Entwicklung, weil es den Blick auf ›unsere‹ Kategorie lenkt.«
Denttabs in Hotels und Flugzeugen
Einiges deutet gerade darauf hin, dass der Markt für Zahnputztabletten in absehbarer Zeit deutlich wachsen wird. Zum einen gebe es bei Denttabs gerade eine sehr konkrete Eigenmarkenanfrage eines großen Filialisten. »Es wird einiges an Lärm auslösen, wenn in mehreren Ländern Zahnputztabletten einer großen Naturkosmetikeigenmarke erhältlich sind und beworben werden«, ist sich Kaiser sicher. Zum anderen hätten zuletzt auch die Anfragen nach »Amenity Kits« stark zugenommen – also für die Hygieneartikel-Basisausstattung, die Hotels und Fluglinien ihren Gästen und PassagierInnen zur Verfügung stellen. »Damit lässt sich zwar weniger verdienen als gedacht, aber es schafft Bewusstsein für Zahnputztabletten, wenn die in Flugzeugen oder beim Einchecken zur Verfügung gestellt werden.«
»Wir waren mit unseren Denttabs 2003 weltweit die ersten am Markt. Mittlerweile gibt es hundert andere Zahnputztabletten. Eine großartige Entwicklung, sie lenkt den Blick auf ›unsere‹ Kategorie.«
Axel Kaiser, Gründer von Denttabs
Die Hoffnung des Denttabs-Gründers: Wer die Tablette einmal für ein paar Tage ausprobiert hat, findet mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht allein Gefallen an der Verwendung eines umweltverträglichen Hygieneprodukts, das mit wenig Gewicht und Verpackung auskommt, sondern auch am veränderten Mundgefühl. Denn der größte Gegner der Idee hinter den Zahnputztabletten sind Alltagsroutinen. Denn dass die große Mehrheit ihr Zahnputzmittel aus der Tube drückt, entspricht zwar einem Industriestandard, aber keinem Naturgesetz. Technisch gesehen putzt man seine Zähne nicht mit den im Mund zerkauten Denttabs, sondern poliert sie glatt. Ein wesentlicher Bestandteil der Denttabs ist Zellulose. Das unterscheidet Denttabs auch vom Mitbewerb – sowohl in Tabletten-, vor allem aber in Pastaform. Ein hoher Zelluloseanteil ist in Pasta nicht möglich. Zellulose fungiert aber als Poliermittel. »Belege, also die Grundlage für Karies, haben damit kaum eine Entstehungschance«, sagt Kaiser. Der eigentliche Ansatz, die Vermeidung systemisch potenziell problematischer Inhaltsstoffe (beispielsweise das Tensid Natriumlaurylsulfat), zeige immer wieder bereits in der Mundhöhle Wirkung: »Zahnfleischbluten, Entzündungen und sogar Parodontitis nehmen laut AnwenderInnen deutlich ab« – oder würden ganz verschwinden, beruft sich Kaiser auf Rückmeldungen seiner KundInnen. Diese Anwendungsberichte werden auch mittlerweile in einigen klinischen Studien und Tests unabhängiger europäischer VerbraucherInnenorganisationen bestätigt. 2021 urteilte beispielsweise die Union fédérale des consommateurs, die größte französische VerbraucherInnenschutzorganisation: »Denttabs überzeugt mit idealem Fluoridgehalt, minimaler Abrasivität (Schmirgelwirkung, Anm.) und höchster Umweltverträglichkeit.«
Bedenkenlos ausspucken
Wissen allein, das weiß Axel Kaiser mittlerweile, reicht aber selten aus, um Gewohnheiten wirklich zu ändern. »Erst vor Kurzem hat eine Lehrerin angerufen, die mit einer Gruppe von Kindern im Sommer zum Zelten gehen möchte«, sagt Kaiser. Die Pädagogin und Mutter wollte wissen, ob es – anders als bei den allermeisten Zahnpastas – auch wirklich unbedenklich sei, Denttabs nach dem Putzen einfach in den Wald zu spucken. »Da wusste ich gar nicht, was ich sagen soll. Ich hab sie gefragt: ›Sie wissen, dass Sie das, was Sie im Mund haben, nicht in der Natur ausspucken sollen, aber Sie nehmen es zwei Mal täglich in den Mund ohne drüber nachzudenken?‹«
Axel Kaiser
(60) gründete Denttabs. Mit seinen zehn MitarbeiterInnen möchte er von Berlin-Wedding aus die allmorgend- und abendlichen Routinen ändern. Bild: Denttabs.
Für jene, die dennoch ab und an zur klassischen Zahnpasta greifen müssen oder wollen, haben wir hier einige Optionen zusammengefasst.
BIORAMA #84