Gesundheitsschädliches Gesundheitswesen
Als erste Ansatzpunkte für mehr Klima- und Umweltschutz im Gesundheitswesen sind Gewohnheiten und Arbeitsabläufe so wichtig wie das eingesetzte Material.
Die Auswirkungen von Klimawandel und mangelnden Umweltschutzmaßnahmen auf die Gesundheit von Mensch und Tier sind offensichtlich. Und das nicht erst, seit in den letzten Jahren besonders heiße Sommer für körperliche Belastungen und Todesfälle sorgen. Zu diesen Auswirkungen gehören – wenn auch in Österreich und Deutschland schwächer als in anderen Gegenden – extreme Wetter- und Umweltkatastrophen, die Gegenden unbewohnbar machen, Wasser- und Nahrungsknappheit, aber etwa auch Infektionen, Epidemien und Zoonosen. Der Climate Summit der Vereinten Nationen hat errechnet, dass der Gesundheitsbereich für 4,4 bis 10 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist und somit auch selbst für mehr Erkrankungen und Gesundheitsschäden sorgt. Ähnlich wie die Landwirtschaft ist das Gesundheitswesen damit einer jener Sektoren, der direkt unter dem Klimawandel leidet, während er diesen gleichzeitig weiterhin mitverursacht. Zumindest, wenn man die Branche nicht in erster Linie als Geschäftszweig sieht.
»Es ist berechenbar, wie Geld, das in den Umweltschutz investiert wird, Kosten durch Krankenstände, chronische Krankheiten, Asthma, Übergewicht oder auch Depressionen verringert.«
Isabella Pali, Ernährungswissenschafterin und Allergieforscherin
Viel Spielraum vor dem Interessenskonflikt
Im Detail sind die Zusammenhänge klimaschädlicher Aktivitäten im Gesundheitssektor und den Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit komplex. Die Frage, welchen Lösungsansätzen der Vorzug zu geben ist, ist auch hier mitunter eine Abwägungsfrage, bei der unterschiedliche Interessen in Konflikt stehen. Gleichzeitig gibt es auch hier ganz grundsätzliche Fehlentwicklungen, die in fast allen Bereichen auftreten – und deren Änderung wesentliche ökologische Vorteile bieten können, ohne mit enormen – z. B. finanziellen – Nachteilen verbunden zu sein. Und: Es gibt wohl einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass gerade im Gesundheitswesen manche Prioritäten nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen: »Weder die Qualität einer medizinischen Behandlung, noch die der Forschung dürfen unter einer Veränderung hin zu weniger umweltschädlichem Verhalten leiden«, ist Isabella Pali, Ernährungswissenschaftlerin und Allergieforscherin am Messerli-Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität in Wien überzeugt. Derlei Überlegungen sind aber auch gar nicht die dringendsten. Es kann viel verändert werden, ohne in Behandlungsqualität oder Forschung einzugreifen. Isabella Pali ist im Rahmen des One-Health-Ansatzes tätig, der die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt interdisziplinär zusammenführen möchte, und hat hier für die Europäische Akademie für Allergologie und klinische Immunologie (EAACI) gemeinsam mit anderen MedizinerInnen praktische Ansätze erarbeitet.
Investitionen einordnen
Viele davon unterscheiden sich nicht maßgeblich von denen für andere Sektoren. Auch wenn im Gesundheitswesen aus hygienischen Gründen beispielsweise viele Verbrauchsartikel nur ein mal genützt werden können. Entscheidend sind – wie so oft – außer dem hohen Einsatz von Ressourcen auch Transporte und der Energiebedarf. Für Isabella Pali braucht es daher den gemeinsamen Einsatz von Verwaltung, Politik und vielen einzelnen Handelnden, um eine breite Palette an Maßnahmen umzusetzen. Veränderungen führen dabei teilweise zu Einsparungen – auch bei den Kosten –, andere setzen Investitionen voraus. »Das führt natürlich zu Diskussionen, wer für diese aufkommen soll«, erzählt Isabella Pali, plädiert aber auch dafür, Berechnungen über die langfristigen auch monetär positiven Auswirkungen anzustellen: »Geld, das in den Umweltschutz investiert wird, wirft vielleicht nicht offensichtliche Renditen ab. Es ist aber berechenbar, wie dadurch mittelfristig Kosten, die durch Krankenstände oder chronische Krankheiten,Asthma, Übergewicht oder auch Depressionen der Allgemeinheit entstehen, verringert werden können.« Direkte Einsparungen etwa durch geringeren Stromverbrauch oder weniger benötigte Verbrauchsmaterialen lassen sich ebenso darstellen wie Investitionen in Elektromobilität oder Photovoltaikanlagen und die Einsparungen, zu denen sie führen. Ihr beruflicher Hintergrund in der Forschung erleichtert es Isabella Pali, Studien und Untersuchungen und deren Ergebnissen miteinzubeziehen. Auch wenn sie weiß: »In den meisten Fällen fehlt es nicht an Studien, sondern an der Umsetzung der Ergebnisse.« Das Einsparen von Energie ist ein allgemeines, wohlbekanntes, aber auch effektives Thema, andere Einsparungen haben sogar weitreichendere Folgen. So kann etwa mit der Vermeidung von Übermedikation nicht nur Geld gespart werden, sondern auch die Entstehung von Resistenzen und Folgeerkrankungen und Nebenwirkungen vermieden bzw. vermindert werden. Ein entsprechendes Thema ist auch der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht. Diese Lösungen sind mit Richtlinien, Aufwänden, Kontrollen und Kommunikation verbunden. In anderen Fällen könnte man etwa untersuchen und berechnen, ob teurere Materialen, die vielleicht gewaschen und wiederverwendet werden können, Kosten und Umwelt zugutekommen – oder auch nicht.
Arbeitsfelder
Sie selbst hat mit einer EAACI-Arbeitsgruppe, an der auch Kolleginnen aus Deutschland beteiligt waren, fünf Bereiche herausgearbeitet, die eine große Hebelwirkung haben können, um die Auswirkungen des Gesundheitsbereichs auf den Klimawandel zu reduzieren. Der erste Bereich sind Forschungseinrichtungen und Labore. Deren Betrieb benötigt zwischen drei- und fünfmal soviel Energie und Wasser wie andere Arbeitsstätten. Energie könnte man durch moderne Tiefkühlgeräte, Heizgeräte, Wasserbäder oder auch Abzüge und Lüftungen bzw. deren sinnvollen Einsatz einsparen – ein Umstieg auf erneuerbare Energie wäre bei hohem Verbrauch aber auch besonders lohnend. Eine andere Studie hat ergeben, dass allein die Life-Science-Labs weltweit rund 5,5 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr erzeugen. Verbrauchsmaterialen können durch andere Fabrikate, die vielleicht wiederverwendbar sind oder weniger Ressourcen verbrauchen, ersetzt werden – und noch mehr lässt sich durch eine optimierte Handhabung und eine Anpassung von Gewohnheiten einsparen. Und manchmal führen auch neue Forschungsergebnisse zu neuen Möglichkeiten. Etwa wenn diese ergeben, dass manche Stoffe auch bei beispielsweise bei -70 Grad haltbar bleiben und nicht erst bei -80 Grad – alleine diese wenigen Grad Unterschied können bis zu 30% Energie einsparen.
Klassische Maßnahmen, große Effekte
Ein weiterer Bereich mit großen Potenzialen sind Krankenhäuser. Dazu gehören das Einsparen von Energie oder auch Transportwegen, aber auch eine nachhaltige Bauweise. Neben dem Verkehr gehört der Sektor Gebäude schließlich weltweit zu den größten Treibhausgasemittenten: mehr Recycling, gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln für Personal und PatientInnen, so wie ein schonender Umgang mit Ressourcen oder auch Lebensmitteln im Krankenhausbetrieb können hier bedacht werden. Mitunter bieten auch einzelne Krankheiten und deren Behandlung einen Raum für Verbesserung: Je nach Definition haben laut WHO zwischen 250 und 400 Millionen Menschen Asthma. Bei diesen Zahlen macht die Beschäftigung mit verschiedenen Asthma-Inhalatoren – deren Funktionsweise, der Verwendung von Treibgasen oder auch deren Recyclingfähigkeit – einen nennenswerten Unterschied. Innovationen, Digitalisierung und technische Entwicklungen ermöglichen auch in der Medizin vieles, das vor 20 oder 25 Jahren noch schwieriger umsetzbar war: etwa eine Einsparung von Wegen durch Telemedizin, wo Ärztin oder Arzt und PatientIn dies für sinnvoll erachten. Als fünften Bereich haben sich Isabella Pali und ihr Team neuen Möglichkeiten durch hybrid abgehaltene Kongresse gewidmet, die nicht nur Reisen und Wege einsparen, sondern auch dazu führen können, dass einzelne Vorträge mehr ZuhörerInnen erreichen.
»Ebenso entscheidend wie der Materialeinkauf, der mitunter zentral erfolgt oder auf alle Fälle die Einbindung anderer benötigt, sind auch oft die kleinen Abläufe und Prozesse «
Isabella Pali
In der Praxis oft Bottom-up
Isabella Pali will Politik, Krankenkassen und die Verwaltung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Selbstverständlich ist es Aufgabe jener, die hier Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen, die optimale Richtung einzuschlagen und durch Vorgaben und Unterstützung für Veränderung zu sorgen. Praktisch sieht es laut Isabella Pali derzeit häufig anders aus: Es sind oft einzelne MitarbeiterInnen, die mit ihrem Engagement eine Veränderung lostreten – und diese bekommen erst nach und nach von ihren Vorgesetzten mehr Unterstützung. In ihrer Erfahrung gibt es für Veränderungen einen geradezu klassischen Verlauf. Die erste Initiative geht von einzelnen Personen oft ohne Führungsverantwortung aus, die sich dafür interessieren Prozesse zu verändern oder Ressourcen einzusparen. Dies wird von leitenden Personen dann unterstützt und auf breitere Ebene getragen. Gemeinsam müssen die Veränderungen dann evaluiert werden, um zu sehen, was funktioniert, was verworfen wird und wo man durch Anpassungen noch weitere Verbesserungen erzielen kann. Nur in seltenen Fällen würden dabei medizinische oder regulatorische Standards tatsächlich für Einschränkungen sorgen, ebenso wenig wie der Umstand, dass im Bereich der öffentlichen Verwaltung Kosten freigegeben werden müssen oder Bestellungen nur gesammelt vorgenommen werden können. Auch innovative Hersteller alternativer Produkte müssen sich, um für den Einkauf in Frage zu kommen, an Bestimmungen halten und bestimmte Kriterien erfüllen.
Der vermeintlich kleine Unterschied
»Ebenso entscheidend wie der Materialeinkauf, der mitunter zentral erfolgt oder auf alle Fälle die Einbindung anderer benötigt, sind auch oft die kleinen Abläufe und Prozesse«, beobachtet Isabella Pali in der Praxis. »Dazu gehören der Umgang mit Laborgeräten, die statt ins Stand-by auch ganz ausgeschaltet werden können, die Dimensionierung von Plastikgefäßen, oder eine genaue Experimentenplanung, damit in einem Labor für den Griff zum Handy oder nach anderen Unterbrechungen nicht immer neue Handschuhe benötigt werden. Um solche Änderungen und Abläufe geht es in fast allen Bereichen, wie etwa auch in der Versorgung von PatientInnen mit Essen. Es gibt keinen Grund für zu große Portionen, die dann entsorgt werden müssen. Klüger ist es, bei Bedarf nachzubringen und das geht in gewissen Grenzen auch mit dem vorhandenen Personal.« Zusammenfassend meint sie, dass »die Etablierung eines Nachhaltigkeitsmanagements in Gesundheitseinrichtungen und Forschungsorganisationen gängige Praxis werden sollte. Neueste Technologien, künstliche Intelligenz, Big-Data-Analysen existierender Daten sowie mathematische Simulationen können von großer Bedeutung sein.« Für absolut entscheidend hält sie es, derlei Überlegungen in die Ausbildung zu integrieren, da sich diese Haltung auf einer größeren Basis durchsetzen muss, auch wenn manche Maßnahmen, wie der Umgang mit Elektrogeräten oder auch Verbrauchsmaterialen allzu offensichtlich scheint. Zu den Möglichkeiten, das Gesundheitswesen nachhaltiger zu gestalten, gibt es einen internationalen Austausch und man kann mit gelungenen Beispielen voneinander lernen.
Umgesetzt werden müssen die einzelnen individuell passenden Maßnahmen aber vor Ort.