Was ist deine Utopie?
Wie viele andere wurden auch die Macher von Lemonaid das Gefühl nicht los, dass politischer und gesellschaftlicher Diskurs viel zu oft auf der Stelle treten. Überall wird nur genörgelt, verwaltet, aber viel zu wenig nach vorne gedacht und wirklich gemacht. Also haben sie sich aufgemacht, tolle Partner gefunden und Interviewpartner gesucht, die die brennenden Fragen unserer Zeit bereits beantworten.
BIORAMA: Kürzlich habt ihr den Trailer zu eurem neuen Projekt „Meine Utopie“ präsentiert. Was genau ist die Idee dazu und was wollt ihr mit dem Projekt erreichen?
Jakob Berndt: Durch unser Projekt Lemonaid & Charitea haben wir in den letzten Jahren viele Akteure kennengelernt, die sich für gesellschaftlichen Wandel einsetzen. Seien es NGOs, Wissenschaftler, Köche oder Kulturschaffende. Gute Leute mit guten Ideen. Mit vielen verbindet uns heute eine enge Zusammenarbeit oder Freundschaft. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee zu dem Filmprojekt: Wir möchten mit interessanten Persönlichkeiten über ihre Utopien sprechen, über ihre Ideen für eine bessere Welt – und mit dem filmischen Ergebnis den gesellschaftlichen Diskurs beleben – den wir sonst oft als sehr träge empfinden. Stichwort: alternativlose Politik. Wir möchten einen Raum aufmachen, für Fragen und Thesen und Wünsche und Träume: Wie und warum muss eine Gesellschaft sich verändern? Was läuft schief? Was für Alternativen wären denkbar? An welchen Hebeln müssen wir ziehen? Von was für einer Welt träumen wir? Was wäre möglich, wenn …? Filip war und ist einer dieser Menschen. Deswegen habe ich ihm von unserer Idee erzählt …
Filip Piskorzynski: Als Jakob mit dem Vorschlag zu uns kam, ein Format zu machen, interessante, innovative Menschen zu interviewen für eine bessere Welt, waren wir sofort begeistert an einer solchen Ideensammlung mitzuarbeiten. Es ist an der Zeit, dass Filmschaffende und Unternehmen anfangen in neuen Strukturen zu handeln und zu denken. Wir als Filmfabrique experimentieren gerade mit Lemonaid & Charitea in dieser Richtung und haben bisher großen Spaß an der Sache und treffen immer wieder auf großartige Ideen. Was wollen wir erreichen? Für mich ist dieses Projekt ein kleiner Teil für Veränderung in dieser Welt. Eine Art Datenbank, die hoffentlich Menschen verbinden wird, und vielleicht jemanden zum neuem Handeln bewegt oder zumindest zum nachdenken anregt.
Wer sind die Protagonisten, die ihr in eurem Projekt porträtiert?
Jakob: Das sind Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und mit ganz unterschiedlichen Hintergründen – und das ist auch Absicht. Wir haben Künstler zu Ihrer Utopie befragt z.B. Dominik Graf und Fayzen, aber auch mit Ökonomen wie Niko Paech gesprochen oder mit erfahrenen Sozialarbeitern z.B. Stephan Karrenbauer von Hinz & Kunzt. Es geht ja gerade darum, aufzuzeigen, dass es viele Wahrheiten gibt, viele Weltanschauungen, viele Perspektiven – und nicht bloß die eine, an der sich unser gesellschaftliches System scheinbar ausrichtet.
Filip: Das Ziel ist ein riesiges Spektrum an Meinungen und vor allem Ideen zu sammeln. Somit versuchen wir immer weiterzudenken wer für das Format in Frage kommen würde. Wir hoffen natürlich darauf, dass im Laufe der Zeit auch Leute auf uns zukommen werden, um an diesem Format teilzuhaben. Wir freuen uns auf jeden Kontakt.
Thomas Morus hat bereits im 16. Jahrhundert mit seinem Werk eine Idealvorstellung einer Gesellschaft skizziert, die an einem fiktiven Ort – der Insel Utopia – stattfindet. Seitdem steht Utopie als Begriff eher für etwas, das nicht einer Wunschvorstellung entspricht, aber wahrscheinlich niemals erreichbar sein wird. Wir wollt ihr es mit eurem Projekt schaffen, die Gesellschaftsvisionen eurer Protagonisten in Realität umzuwandeln?
Jakob: Ob und inwiefern wir die Realität umwandeln, wird sich noch zeigen müssen. Zunächst geht es ja vor allem darum, einen Gedankenanstoß zu liefern. Wir wollen mit unsern Interviews Menschen erreichen – und zum Nachdenken anregen. Wir wollen Fragen in den Raum stellen, die unserer Meinung nach zu selten gestellt werden. Peter Wippermann, mit dem wir ebenfalls gesprochen haben, hat dazu gesagt: „Alles, was morgen ist, kennt keiner. Deswegen kann es ja gestaltet werden.“ – Das trifft es eigentlich ganz gut. Die Umwandlung der Realität liegt letztlich bei jedem Einzelnen. Aber manchmal braucht es eben einen Anstoß zur Veränderung.
Filip: Wie wir es schaffen können unsere Realität zum Besseren zu wenden ist die zentralen Frage des ganzen Projekts und sie wird sich hoffentlich bald selbst beantworten. Für mich persönlich ist klar, dass jeder Veränderung in der reellen, materiellen Welt eine Veränderung im Geist, im Kopf vorangeht. Die Vergangenheit zeigt uns, dass immer wieder Ideen und Vorstellungen erdacht wurden, die zuerst als unmöglich, unrealistisch gar utopisch dargestellt wurden bevor sie dann schlussendlich doch umgesetzt wurden und vielleicht heute sogar zu unserer alltäglichen Routine gehören. Wir wollen Raum schaffen für utopische Ideen. Für Ideen, die unserer Zeit vielleicht voraus sind, deren Zeit noch nicht reif ist, aber deren Zeit kommen wird und muss.
Als Gründer einer sozialen Bio-Limonade und Initiator einer Filmproduktion, die im Gängeviertel in Hamburg zuhause ist, seid ihr beide selbst perfekte Protagonisten für eure Filme. Wie sieht die Welt aus, die Ihr euch wünscht?
Jakob: Oh, das war ja klar, dass das kommt. Und trotzdem habe ich jetzt keine fertige Antwort parat. Hm. Ich persönlich stelle mir (zumindest jetzt, in diesem Moment) eine Welt vor, die sich wieder auf die wesentlichen Dinge konzentriert: Freundschaft, Miteinander, Essen und Trinken, fische Luft, Neugier. Man hat ja schon dass Gefühl, dass wir uns ganz schön entkoppelt haben von unseren eigentlichen Bedürfnissen. Wie viele da draußen stecken in einem Hamsterrad und machen und tun – und wissen gar nicht, warum überhaupt und für wen. Da würde etwas Besinnung sicher gut tun. Etwas mehr Blick nach innen. Und Mut wahrscheinlich.
Und die Frage der Verteilung, der Umverteilung beschäftigt mich schon auch sehr. Diese Absurdität, dass es soviel Überfluss auf der einen und soviel Mangel auf der anderen Seite gibt. Eine so offenkundige Diskrepanz – und trotzdem geht es immer weiter in die selbe Richtung. Und, wenn überhaupt, dann diskutiert man über Symptome – aber nie über die Ursachen. Lampedusa ist da nur ein trauriges Beispiel. Als würde es da keinen Zusammenhang geben, zwischen „denen“ und „uns“. Dieser Blick für das Ganze, für den Zusammenhang – den gilt es zu wecken. Das ist natürlich schwierig, in einer so großen, so komplexen Welt. Aber wäre durchaus eine Utopie wert, die Idee eines globaleren Gemeinschaftsgefühl, eines Common Sense – dass wir das nur zusammen schaffen.
Filip: Ich schließe mich da gerne Jakob an. Außerdem sind für mich Transparenz und Wahrheit sind zu beinahe unerreichbaren Zielen geworden in der heutigen Zeit. Früher dachte man die Erde wäre eine Scheibe. Leider ist es heute immer wieder der Fall, dass wir neue Ideen und Anschauungen abstoßen, weil es vielleicht nicht, oder noch nicht in unser Weltbild passt, in unseren Alltagskontext. Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft in dieser Hinsicht noch viel toleranter werden kann, um über sich hinauszuwachsen. Nur ein Meer von ganz verschiedenen Ideen kann uns wirklich weiterbringen.
Mehr Infos: www.lemon-aid.de