Tourismus, der die Welt zerstört
Reisen erweitert unseren Horizont und eröffnet uns neue Lebenswelten –doch wir werden hinters Licht geführt: Andere Menschen und die Umwelt werden für unser Erlebnis ausgebeutet.
Ein marokkanisches Fischerdorf am Atlantik ist heute ein beliebter Surfspot. Lange lebten die Menschen hier von der Fischerei, heute sind es fast ausschließlich Einkünfte aus dem Tourismus. Einheimische stehen mit Sonnenbrillenimitationen und Tiefkühltruhen mit Getränken am Straßenrand und verkaufen ihre importierte Ware. Nach nur 500 Metern hat man den Ort bereits wieder verlassen. Zahlreiche private Unterkünfte wurden von Ausländern gekauft und beherbergen heute die europäischen Touristen. Das Geld fließt von Europa wieder nach Europa. Marokko ist nur ein Zwischenstopp und die Einheimischen verdienen ihr Geld als Taxler und Verkäufer. So sieht es in vielen Ländern aus, wo sich aufgrund einer Naturgegebenheit – in diesem Fall Wellen – ärmliche Fischerdörfer zu beliebten Urlaubsorten gemausert haben.
Kreuz-(Irr-)Fahrt
Barcelona, Venedig und Dubrovnik – das sind die beliebtesten Häfen bei Kreuzfahrten in Europa. Wer die liegenden Wolkenkratzer vor Anker sieht, kann sich die Menschenmassen vorstellen: Um 11 Uhr vormittags werden die 2.000 bis 4.000 Passagiere in den vierstündigen Aufenthalt entlassen. Dubrovnik etwa, mit einer winzigen Altstadt, wird täglich von bis zu 15.000 Touristen überrannt. Die Passagiere sehen sich in die wichtigsten Sehenswürdigkeiten an, dann gönnen sie sich noch ein Eis und verlassen die Stadt wieder, um rechtzeitig zum Abendessen am Schiff zu sein. Das meiste Geld bleibt am Schiff, die lokalen Händler bringen vielleicht einen Schlüsselanhänger oder einen Selfie-Stick an. Die lokale Wirtschaft hat wenig von den massenhaften Besuchen, die Bewohner und die anderen Touristen müssen mit überfluteten Fußgängerzonen leben.
AirB’n’B statt Mitbewohner
Es gibt Städte, da ist quasi dauernd Saison. Venedig, Berlin, Athen. In der Altstadt Athens lebt kaum mehr ein echter Mensch. Die Abende dauern lang, Partys auf der Straße dauern bis in die Nacht und die Fenster der angrenzenden Wohnhäuser bleiben finster. Immobilien werden von ausländischen aber auch einheimischen Investoren gekauft, zu schicken Wohnungen günstig eingerichtet und für einen Tagessatz von rund hundert Euro (»mit Blick auf die Akropolis«) vermietet. Das beste Geld, das man dort gerade machen kann, vorausgesetzt man hat das nötige Kapital, um in eine Immobilie im Zentrum zu investieren.
Waisenhaus-Tourismus
Kambodscha erlebte durch den Waisenhaus-Tourismus einen rasanten Aufschwung. Die Besucher wollen helfen oder sich ein Bild von der Situation machen. Oft sind die Kinder aber nicht wirkliche Waisen, sondern werden von der ansässigen Bevölkerung hingeschickt, in der Hoffnung sie hätten dort ein besseres Leben. Laut einer UNICEF-Studie aus dem Jahr 2011 stieg die Zahl der Waisenhäuser in Kambodscha zwischen 2005 und 2010 um 75% an, während fast die Hälfte der Kinder keine Waisen waren und von den Familien auch wieder abgeholt wurden. Waisenhäuser zu betreiben wurde zu einem lukrativen Geschäft.
Thaimassage mit Happy End
Es ist eine der ersten Assoziationen mit Thailand: Sextourismus. Aber nicht nur dort, auf der ganzen Welt sorgt das Geschäft mit den Trieben für Einnahmen. Auch auf den Philippinen, in Brasilien oder in vielen afrikanischen Ländern lassen sich vorwiegend Männer mit Liebesdiensten verwöhnen. Prostitution ist in Thailand, im Gegensatz zu Österreich, verboten und so werden die Thais erfinderisch: Massagezentren und Stunden-Hotels sind getarnte Bordelle. Und obwohl Prostitution offiziell verboten ist, schneidet auch der Staat an diesem Wirtschaftszweig mit: Die Umsätze im Tourismus steigen und touristisches Geld wird auch für Visa und offizielle Nächtigungen ausgegeben.
Dokutainment im Dschungel
Human Safaris sind organisierte Ausflüge zu indigenen Stämmen. Touristen können »mit ein bisschen Glück einen Ureinwohner sehen«, wie lokale Angebote werben. Dabei bleibt es aber kaum beim Beobachten, oft locken die Besucher die Stammesmitglieder wie Tiere mit Keksen, um dann gemeinsame Fotos zu machen. Dass dabei Krankheiten oder Bakterien übertragen werden können, wird kaum bedacht. Die Stämme bestehen oft aus nur wenigen Hundert Angehörigen. Der Akuntsu-Stamm in Brasilien besteht sogar nur mehr aus vier Menschen. In wenigen Jahrzehnten könnte das Volk zusammen mit dem kulturellen Erbe und der Geschichte verschwunden sein. Soziale Erkundung ist ausbeutend und aufdringlich, denn obwohl die Stämme oft in geschützten Naturreservaten liegen, dringen die Reise-Agenturen mit den schaulustigen Touristen in deren Lebensraum oft ungefragt ein. Von den Einnahmen aus diesen Touren profitieren nur die Reiseanbieter, die Völker sehen selten einen Anteil am Gewinn.
Kleiner Ethik-Knigge fürs Handgepäck
Leave nothing but footprints, take nothing but photographs.
- Informiere dich. Für die Dauer deines Urlaubs bist du Teil des Landes, in dem du dich aufhältst.
- Buche nicht ausschließlich über internationale Reiseveranstalter, nutze lokales Angebot für Tagesausflüge, Trips oder Citytouren.
- Nutze öffentliche Verkehrsmittel und Fahrradverleihe, verzichte wenn möglich auf Autos und vermeide das Flugzeug.
- Lerne die Sprache. Ein paar Phrasen, ein paar Wörter sprechen und verstehen zu können, zeugen von Respekt und helfen dir in vielen Situationen weiter.
- Lerne zu sprechen. Menschen aus reichen und aufgeklärten Ländern neigen dazu, ihre Meinung – bewusst oder unbewusst – als die allumfassende Wahrheit darzustellen.
- Unterstütze lokale Unternehmen: Kaufe Souvenirs bei lokalen Händlern, iss in lokalen Restaurants und nächtige bei einheimischen Anbietern.
- Verhandle fair. Viele Länder sind für Europäer günstig zu bereisen und Schnäppchenjäger versuchen gerade auf Märkten gern ihr Glück.
- Gib keine Geschenke an Kinder. Wer etwas spenden will, sollte dies bei den Eltern oder in Schulen tun.
- Vermeide Vorurteile. Werde dir ihrer bewusst und verabschiede dich von ihnen. Am einfachsten erkennt man Vorurteile, die mit »alle« beginnen.
- Go with the flow. Mit Ehrlichkeit, Freundlichkeit und ein bisschen Bescheidenheit kommt man auch ohne viele Regeln aus.
Wegweiser für ethisches Reisen
Die Non-Profit-Organisation Ethical Traveler will die Vorteile des Tourismus nutzen, um Menschenrechte und Umwelt zu schützen. Dafür listet die Organisation jedes Jahr jene Destinationen, die – gemäß ihrer Kriterien Umweltschutz, Sozialsystem und Menschenrechte – am vertretbarsten sind zu bereisen. Ethical Destinations sind 2016 zum Beispiel Samoa, die Mongolei oder Uruguay.
Die tourismuskritische Plattform Tourismconcern will Tourismus ethischer, fairer und positiver gestalten, sowohl für Reisende als auch für die Menschen und Anbieter in den Urlaubsdestinationen. Dafür starten sie Petitionen – zum Beispiel, um Human Safaris zu stoppen.
Das Öko-Programm von TripAdvisor hilft Reisenden Hotels zu finden, bei denen zumindest die ökologische Verwendung von Handtüchern Standard ist. Recycling, die Verwendung von lokalem und regionalem Essen oder andere »green policies« sind Anforderungen an Hotels, um sich den Green-Leaders-Badge von TripAdvisor zu verdienen.