Frostfritt*
Die satte, leicht geselchte Luft greift tief in den pulsierenden Lungenflügel. Radfahrer merken schon ein wenig früher, dass sich der Winter nähert.
Noch fühliger sind sie nur im Norden. Ein Zufall, dass BIORAMA in Göteborg war – der nördlichsten aller Radhauptstädte dieser Welt –, um schon vor Beginn der Saison in unseren Breiten den schwedischen Winterradlern die besten Tipps gegen beißende Kälte und Wetter am Rad zu entlocken. Doch bevor es ans Basteln geht, sollte das Rad im Allgemeinen winterfit gemacht werden. Denn speziell die kalte Jahreszeit verlangt der Summe aller Teile einiges ab.
Rundum-Check
Der Knackpunkt der Tauglichkeit ist – noch vor dem Antrieb – die Bremse. Speziell im Winter spielen jegliche von der Felge losgelösten Systeme ihre Trümpfe der Kompetenzteilung aus, allen voran die Scheibenbremse. Unabhängig davon jedoch sollten alle Bremsbeläge auf Abrieb und Leitungen auf Knicke geprüft werden. Ein frischer zwei-Komponenten-Gummi wirkt auch auf müden Zangen Wunder, wobei der in Fahrtrichtung gesehen hintere Teil der Mischung der für die Bremsleistung essenziellen Reinigung der Bremsflanke dient. Auch ist die ohnehin vorgeschriebene aber selten beachtete zweite Bremsanlage besonders auf rutschiger und glatter Fahrbahn der besseren Kontrolle dienlich.
Weiters gilt es die Bremskraft auf den Boden zu bringen, daher sind auch die Reifen auf Sprödigkeit, Risse und auf Vorhandsein ausreichender Lauffläche zu kontrollieren. Auf geräumter Fahrbahn sind keine speziellen Reifen für den Wintereinsatz notwendig, eine große Rolle spielt jedoch der gefahrene Luftdruck. Dieser sollte sich für bestmögliche Traktion am unteren Ende des am Mantel angegebenen Drucks orientieren.
Kosmetisches, wie ein eingerissener Sattel oder die bereits verrostete Kette, darf besonders in stark gesalzenen, urbanen Gegenden noch bis zum Frühling totgeritten werden.
Dafür, dass die für den Bremsvorgang nicht unrelevanten Finger auch bei starken Minusgraden nicht abfrieren, sorgt der erste Schweden-Tipp:
01// Alces Acerbis
Die erste DIY-Maßnahme gegen kalte Finger sollte selbstredend ein oder auch gern einmal zwei wärmende und dichte Paar Handschuhe sein. Gegen den sogenannten Windchill-Effekt jedoch, welcher die empfundene Temperatur noch gehörig weiter in den Keller treibt, helfen die aus einer herkömmlichen 1,5-Liter-PET-Flasche gebastelten Windabweiser vor den Bremshebeln. Die Flasche wird hochkant mittig geteilt, wobei man für den dickeren Boden und den Flaschenhals eine starke Hand oder aber feine Säge benötigt, und mittels Haushaltsschnur oder Klebeband an der Lenkstange montiert. Je nach Brems- und Schaltsystem müssen für die Zugverlegung Aussparungen in die Flaschenhälften geschnitzt werden. Auch die Art der Befestigung variiert leicht je nach Lenkerform.
Motocross-Kennern dürfte die Idee nicht neu, aber die Anwendung am Rad umso mehr bis dato unwissentlich abgegangen sein.
02// Robo-Cup
Um bereits genannten, effektierenden Fahrtwind auch von den Fußfingern fern zu halten, genügt bereits der Griff ins Backfach. Die – überprüft – auch in unseren Breiten bereits beinah überall erhältlichen Muffin- oder Mini-Kuchen-Backformen eignen sich nicht ausschließlich, um gesammelte Blaubeeren zu verwerten, auch um blaue Zehen loszuwerden sind die aus weichem Aluminium geformten und wiederverwendbaren Töpflein ideal. Über die hoffentlich warm besockte Zehenkuppe gestülpt und – vorzugsweise aber nicht ausschließlich – im Schuh getragen, reflektieren sie die Körperwärme und isolieren zusätzlich.
03// Hobo-Daune
Nachdem die empfindlichen Gliedmaßen nun selbst gegen Blizzards ausreichend geschützt sein sollten, bleibt nur noch der Torso und somit der für den Wärmehaushalt wichtigste Teil des Körpers zu isolieren. Schon frühe Tour de France-Fahrer wussten sich mit dem Trick in den kühlen Berg-Etappen zu helfen.
Ihre viele Kammern bildenden Papierlagen und die hohen Verfügbarkeit an nahezu jeder Straßenecke macht die Zeitung zum idealen temporären Begleiter auf Fahrten durch Wind und Wetter. Einmal unter das Hemd gesteckt und auch gern über die Lenden geschoben bietet sie nicht nur hohe Isolationsfähigkeit, auch ihr Zusatznutzen während der am Ziel abgehaltenen Fika (so nennen die Schweden ihr wohlverdientes Kaffee-Päuschen) überzeugt durch und durch.
04// Frost-Byte
Da das Smartphone am Fahrrad-Cockpit in Skandinavien mittlerweile ebenso schmückt wie tiefbrauner Teint oder ein weißer Zaun, gilt es auch hier Sorge zu tragen, dass das Gerät vor Spritzwasser und die Akkuleistung vor drastisch sinkenden Temperaturen geschützt, aber rundum sichtbar durch die Avenyn befördert werden kann. Mittels zweier Textilhaargummis an den Vorbau befestigt, lässt sich das Telefon ebenso durch eine PET-Flasche schützen, jedoch – je nach Modell, Telefon und Flasche – meist mit der kleineren 0,5-Liter-Variante. Mit einem scharfen Messer wird der Hals abgetrennt und die Flasche einseitig horizontal geschlitzt. Je nach Lenkerform werden Ausnehmungen am Schlitz für zusätzlichen Halt eingeschnitten und die Flasche am Kopf stehend um das Handy und den Vorbau »geklippt«.
BONUS-TIPP: Zu einem Trend entwickeln könnten sich auch die selbstgestalteten wasserfesten »Körbe« aus verschiedensten Klebebändern.
Und hier gibt’s noch mehr TIPPS: www.biorama.at/hausmittel-furs-winterradeln
* Schwedisch für frostfrei