»Aal geht eigentlich nicht mehr.«
Der Gewässerökologe Stefan Linzmaier gibt Hoffnung für die Zukunft der Fischpopulationen der Meere und Tipps zu nachhaltigem Fischkonsum.
BIORAMA: Sie nehmen in Ihrem jüngst erschienenen Buch »Fisch in Seenot« die KonsumentInnenperspektive ein. Fisch, der mit Grundschleppnetzen gefangen wurde und das MSC-Siegel trägt – muss das aufhören?
Stefan Linzmaier: Keine Methode – auch Stellnetze und Langleinen – ist ganz unproblematisch. Es gibt für viele grundlebende Arten ja auch keine Alternativen – eine Scholle etwa können Sie kaum ohne Grundschleppnetz fangen. Etwa 25 Prozent aller Wildfische werden mit Grundschleppnetzen gefangen. Die Auswirkungen davon sind sehr abhängig vom Einsatzort: Wenn sie auf Gebieten mit festen Strukturen, etwa auf Riffen eingesetzt werden, richten sie oft verheerende Schäden für Jahrhunderte an. Wohingegen der Einsatz auf stark durchströmten Bereichen, wie das in der Nordsee an vielen Stellen der Fall ist, eher unkritisch ist. Denn dort ist nicht so viel, das durch die Grundschleppnetze zerstört werden könnte.
Es gibt auch sehr unterschiedliche Grundschleppnetze: solche mit schweren Stahlkugeln oder Stahlketten, aber auch solche mit Gummirollen. Und sogar welche, die gar keinen Bodenkontakt haben. Das bundeseigene Thünen-Institut zum Beispiel hat neue Netze entwickelt, die für Arten mit bestimmten Körperformen Notausgänge haben.
Es gibt scheinbar endlos Gütesiegel – ist das MSC-Siegel (mit seinem Pendant für Aquakultur ASC) nur eines wie viele andere?
Das MSC-Siegel steht oft in der Kritik, und das auch zu Recht. Aber dieses Siegel hat sich über 25 Jahre etabliert. Besonders relevant finde ich, dass nicht nur Sozialstandards und Fangmethoden bei MSC geprüft werden, sondern dass es bei ASC auch Futtermittelstandards gibt. Denn Futtermittel sind der kritischste Punkt bei der Fischzucht.
Wer weiter gehen will, findet besser kontrollierte Fangmethoden als bei MSC etwa bei Produkten mit dem Naturland-Wildfisch-Siegel oder bei Zuchtfischen etwa bei solchen mit Biokreis-Siegel, das gibt es für Karpfen und Forelle.
Rund 16 Prozent der weltweiten Fänge sind MSC-zertifiziert – im Supermarkt in Österreich und Deutschland bekommt man den Eindruck, es gäbe keinen nicht-MSC-zertifizierten Fisch – und das ist eine gute Entwicklung. Aber weltweit betrachtet schaut es anders aus. Das spricht eigentlich für die Einkaufspolitik der hiesigen Supermarktketten.
Gehandelt wird außerhalb der Supermarktketten auch noch anderes. Sie engagieren sich beim Verein Slow Food – was erfährt der Gast eines Restaurants durch die Slow-Food-Auszeichnung über den Umgang des Betriebes mit der Ressource Fisch?
Slow Food ist eine weltweite Organisation, in Deutschland ist es ein Verein. Wir wollen gesunde, ökologisch möglichst nachhaltig und unter sozial fairen Bedingungen hergestellte Produkte fördern und ausweisen. Und hier sollen regionale Netzwerke zwischen ProduzentInnen, Handel und Gastronomie gestärkt werden. Es muss bei Slow Food nicht unbedingt bio sein, aber Slow-Food-Restaurants müssen sich zu regionalem Einkauf bekennen und auch offenlegen, wo sie ihre Ware beziehen – egal, ob das die Karotte oder der Karpfen ist. Slow Food überprüft das auch bei allen Betrieben, die Teil des Slow-Food-Genussführers sind. Wir haben hier immer wieder Diskussionen zur Anpassung der Kriterien – derzeit etwa zum Aal, weil es dieser Art inzwischen sehr schlecht geht.
Die Fischkommission innerhalb von Slowfood Deutschland und der Vereinsvorstand haben entschieden, dass Aal eigentlich nicht mehr geht – deswegen werden Betriebe, die Aal auf der Karte haben, nicht mehr ausgezeichnet und in den Slow-Food-Genussguide aufgenommen.
»16 Prozent der weltweiten Fänge sind MSC-zertifiziert – im Supermarkt in Österreich und Deutschland bekommt man den Eindruck, es gäbe keinen nicht-MSC-zertifzierten Fisch.«
Stefan Linzmaier
Nicht nur der Aal hat ein Problem. Besonders die letzten eineinhalb Jahre des Klimawandels zeigen ein katastrophales Bild der Erwärmung der Meere – kann man durch Verzicht auf manchen Fisch Relevantes zur Verbesserung beitragen?
Pflanzliche Ernährung ist erwiesenermaßen klimafreundlicher. Aber wenn man Fisch essen möchte, dann sollte man schlicht auf lokales Fischangebot zurückgreifen. Der größte Fischumschlagplatz Deutschlands ist immer noch der Flughafen Frankfurt am Main. Die Fische kommen mit dem Flugzeug hier an.
Es ist also sinnvoll, sich umzusehen, was man vor Ort kriegt. Man kann von einem Fischteich oder vom Binnenfischer kaufen, oder, wenn man das Glück hat, an der Küste zu leben, den Fisch direkt vom Kutter kaufen. Denn selbst deutscher Fisch wird tagelang durch Europa gekarrt, bis er dann wieder auf der deutschen Supermarkttheke landet. Hier müssen tatsächlich die KonsumentInnen aktiv werden.
Wie hängen das Klima und die Fischpopulationen in den Meeren zusammen?
Der Druck auf die Meere kommt aus vielen Richtungen – vom Klimawandel, der Verschmutzung durch Giftstoffe, Nährstoffe und aus der Landwirtschaft und von Plastik – und durch Überfischung und Schifffahrt.
Das zunehmend warme Wasser und die damit einhergehende Sauerstoffarmut sowie die Versauerung machen vielen Wasserbewohnern zu schaffen. Alle Wasserlebewesen reagieren extrem sensibel auf Temperaturveränderungen. Da Wasser so träge auf Temperaturveränderungen reagiert, haben sich die meisten Wasserlebewesen in ihrer Evolution auf recht stabile Temperaturen eingestellt, weshalb wenige Zehntelgrad mehr bereits ganze Ökosysteme verändern können oder Arten in kälteres Wasser weiter im Norden oder in die Tiefe treiben.
In der Ostsee ist kaum mehr Sauerstoff, das Mittelmeer leergefischt, die Nordsee insgesamt übernutzt und dem Bodensee geht, wie Sie in Ihrem Buch beschreiben, das Plankton, die Nahrung vieler Fische, aus – worauf kann man Hoffnung setzen?
Die Meere, die Europa umgeben, haben alle leicht unterschiedliche Probleme, aber alle leiden unter der Erwärmung. Doch zumindest die Fischerei betreffend hat sich in Europa die Politik zum Schutz der Meere bewegt und dadurch werden in den kommenden Jahren hoffentlichauch Verbesserungen sichtbar.
Die EU hat 2013 endlich eine Reform der Fischereipolitik auf Schiene gebracht – nämlich eine Bewirtschaftung der Meere nach dem Prinzip des Maximum Sustainable Yields (MSY) eingeführt. Das bedeutet, sich (in der Festlegung der Menge, die gefischt werden darf, Anm.) an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Bestandsgrößen zu orientieren. Das war ein großer Schritt. Vorher erfolgte die Aushandlung der Fischereiquoten völlig unabhängig davon, was nachhaltig entnommen werden kann.
Auch international ist 2023 ein globaler Pakt zur Erhaltung der Biodiversität der Hochsee unterzeichnet worden. In den USA und Kanada, wo solche Reformen schon früher umgesetzt wurden, sieht man, wie sich Bestände durch gutes Fischereimanagement und gute Fischereipolitik auch erholen können. Da sehe ich auf jeden Fall Hoffnung!
Sie sind auch Aquakulturexperte. Während viele Probleme rund um marine Aquakultur bekannt sind, wächst in letzter Zeit vor allem die Süßwasseraquakultur. Wie ist das zu bewerten?
Süßwasseraquakultur wird seit Jahrtausenden praktiziert und ist in großen Teilen der Welt extrem wichtig, vor allem in Asien, aber auch in Afrika und Südamerika. Dort wächst sie auch noch weiter, in Deutschland und Europa stagniert sie.
Grundsätzlich ist Aquakultur immer belastend für die Umgebung. Ähnlich wie bei der marinen Aquakultur werden auch im Süßwasser Tiere auf vergleichsweise engem Raum gehalten, dadurch kommt es zu einer hohen Belastung durch Nährstoffe in den Ausscheidungen der Tiere, durch den Einsatz von Medikamenten; teilweise werden auch Lebensräume zerstört, um Platz für die Kulturen anzulegen, in den Mangroven genauso wie in den Uferbereichen von Flüssen und Seen.
Es gibt zudem das Problem von Ausbrüchen – sobald ein Netz reißt, kann ein nicht heimischer Fisch ausbrechen und sich in den natürlichen Gewässern ausbreiten. So etwa der Tilapia, der in lateinamerikanischen Aquakulturen produziert wurde und nach seinem Ausbruch nun Probleme in den Ökosystemen vor Ort verursacht.
Der relevanteste Punkt ist aber bei jeder Form der Aquakultur die Ernährung der Fische: Raubfische sind nun einmal kritischer zu sehen als Omnivoren oder Herbivoren. Denn wenn man Fischöl und Mehl aus mariner Quelle bezieht, um Zuchtfische zu ernähren, werden erst recht wieder marine Ökosysteme geschädigt.
»Der Größte Fischmarkt Deutschlands ist der Flughafen Frankfurt.«
Stefan Linzmaier
Warum ist das Angebot an deutschem Fisch aus Bioaquakultur so gering?
Von 1425 Teichwirtschaften in Deutschland sind 16 biozertifiziert (Stand 2022). Das liegt am ökonomischen Druck – am niedrigen Preisniveau, aber auch an den Verlusten, die durch Wildtiere wie Kormorane, Fischotter und Reiher entstehen.
Die Bioteichwirtschaft braucht vor allem Biofutter, um biozertifiziert zu sein. Und Getreidefutter in Bioqualität ist teurer und Jungfische als Futter werden in Bioqualität kaum mehr produziert. Außerdem beschränkt Bio die Besatzdichte. Hinzukommt: Es gibt dort, wo es Teichwirtschaften gibt, ja meist funktionierende lokale Vermarktungskulturen: Die werden ihre Fische eh los und sehen keinen Grund zum Umstieg auf Bio. Da die Preise und die Nachfrage nach Biofisch in letzter Zeit steigen, könnte es aber sein, dass es künftig wieder mehr Biobetriebe gibt.
Kann man zwischen verhältnismäßig nachhaltigem Wildfang und Aquakultur eine Empfehlung aussprechen?
Das ist immer im Detail zu beurteilen. Bei Wildfang nämlich nicht nur nach der Art, sondern auch abhängig vom Bestand, also wo in der Welt gefischt wird. Und bei der Aquakultur nach der Art der Produktion. Beim Karpfen würde ich etwa meinen Segen geben, den kann man pauschal guten Gewissens aus Aquakultur wie aus Wildfang kaufen.
Immer nur Karpfen ist vielleicht eintönig. Welchen Fisch würden sie – aus ökologischer und kulinarischer Perspektive – empfehlen?
Auf jeden Fall! Der Karpfen ist der Brotfisch der Teichwirte und kann allein mit Getreide oder sogar gänzlich ohne Zufütterung in Teichen gehalten werden. Aber die Karpfen schwimmen da nicht allein. Je nach Schwerpunkt des Betriebs sind auch Nebenfische wie Schleihen, Grasfische, Hechte, Zander, Welse, Störe dabei. Besonders empfehlen kann ich dabei die Schleihe – mit vorzüglichem festem Fleisch. Für mutigere KöchInnen würd ich auch Weißfische – etwa Brachen (auch Brassen genannt), Rotaugen (auch als Plötzen bekannt) und Karauschen – empfehlen.
Wieso braucht es dazu Mut?
Die sind halt grätig. Da muss man ein bisschen kochen können, denn die werden nicht als Filet vermarktet. In vielen Betrieben werden die Fische auch geschröpft verkauft, ansonsten muss man halt selber mit dem scharfen Messer anrücken bei der Zubereitung.
Der promovierte Gewässerökologie Stefan Linzmaier arbeitet als Gutachter in einem Umweltplanungsbüro. Nebenbei engagiert sich der Angler und Freizeitkoch auch bei Slow Food e.V. zum Thema Fisch. Er lebt mit seiner Familie südlich des Starnberger Sees in Oberbayern.