Die Wahrheit über die Grimm’schen Märchen-Tiere

Bild: Flickr, BenJTsunami, CC BY 2.0

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Esel sind dumm und faul, Wölfe sind bösartig und gierig, Katzen sind eigensinnig und stur – zumindest in der Grimm’schen Märchenwelt. Vielleicht sind die Tiere in Wahrheit ganz anders?

Als Kind haben wir gerne und mit leuchtenden Augen den Märchen gelauscht, die uns unsere Eltern oder Großeltern vorgelesen haben. Gewalt, Mord, Kannibalismus und Anspielungen auf Sexualität sind in den Märchen der Gebrüder Grimm keine Seltenheit. Dennoch bekommen es die wenigsten Kinder beim Lauschen der noch so brutalsten Geschichte mit der Angst zu tun: Ein Umstand, der auch darauf zurückzuführen ist, dass in vielen Grimm’schen Erzählungen Tiere die Hauptrolle spielen, so dass Kinder das Gehörte nicht mit ihrem eigenen Leben in Verbindung bringen. Doch was ist dran an den negativen Charakterzügen, die Esel, Wolf und Katze in den Märchen zugeschrieben werden und welche Moral soll uns mit den oft so blutrünstigen Märchen vermittelt werden?

Der Esel – ein alter, störrischer Faulpelz?

Dem Esel wird oft nachgesagt, er wäre dumm, faul und störrisch. Zum Beispiel bei „Die Bremer Stadtmusikanten“, indem vier Tiere – Esel, Hund, Katze, Hahn – von ihren undankbaren Besitzern nach langen Jahren der Treue umgebracht werden sollen, weil sie zu alt sind, um noch etwas zu leisten. Abgesehen davon, dass die Handlungsweise der Besitzer impliziert, ältere Arbeiter, für die die Tiere ja symbolisch stehen, hätten für die Gesellschaft keine Nutzen mehr und sollten daher beseitigt werden – was in einer Geschichte für Kinder schon erschreckend genug ist –, werden dem Esel die Eigenschaften Faulheit, Dummheit und somit Nutzlosigkeit zugeschrieben.

Bild: Flickr, krongy, CC BY 2.0

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Wie hält’s der Esel also wirklich mit der Arbeitsmoral? Da der Esel billiger und ausdauernder ist als das Pferd, schuftet er sich bereits seit Jahrhunderten als Arbeitstier für den Menschen den Buckel krumm. Faul, dumm und störrisch ist der Esel daher nur in den Augen der Menschen, da er oft seinen eigenen Kopf hat und sich nicht mit Stock oder Peitsche antreiben lässt: Drängt man ihn zu sehr, bleibt er eben einfach stehen, was man dem Lasttier unter diesen Arbeitsbedingungen auch eigentlich nicht verdenken kann. Der besagte Esel in dem Grimm-Märchen entkommt übrigens letztlich dem drohenden Tod, gründet gemeinsam mit Hund, Katze und Hahn eine Combo, mit der er in Bremen groß rauskommen möchte und verbringt schließlich seinen Lebensabend glücklich mit seinen Bandkollegen in einer Waldhütte, die sie einer Bande Räuber abgeluchst haben.

Der Wolf – ein bösartiger Lustmolch?

Als dumm und faul bezeichnet zu werden, ist zwar nicht gerade angenehm, aber der Wolf muss sich noch viel schlimmere Vorwürfe als der Esel gefallen lassen, seit so manche Grimm-Geschichten  im Umlauf sind. In „Der Wolf und die sieben Geißlein“ fungiert der Wolf nämlich als Bösewicht, der sich unrechtmäßigen Zugang zum Haus der sieben kleinen Geißlein verschafft, als deren Mutter gerade nicht zu Hause ist, und der kurzerhand sechs der sieben Geißlein auffrisst. Der Wolf als unersättlicher Kinderschreck – ist diese üble Nachrede tatsächlich gerechtfertigt? Lange Zeit wurde in Europa Jagd auf den Wolf gemacht, so lange, bis er fast ausgerottet war, weil Isegrim als Inbegriff des Bösen gilt, der sich gerne – so sagte man – ein Festmahl bestehend aus Kinder gönnt. Man kann zwar heute nicht ausschließen, dass es früher zu Angriffen auf Menschen gekommen ist, doch es ist äußerst unwahrscheinlich: Ein US-amerikanischer Journalist hatte vor einigen Jahrzehnten eine Belohnung von 100 Dollar für den Beweis einer solchen Menschenfresser-Begebenheit ausgesetzt. Bis heute hat sich kein solcher Beweis gefunden.

Bild: Flickr, zoom in tight, CC BY 2.0

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Die Gier auf zartes Menschenfleisch bildet aber noch lange nicht den Gipfel des „Böser Wolf“-Images, denn in dem Märchen „Rotkäppchen“ fängt der Wolf im Wald ein junges Mädchen ab und horcht sie nach ihren Plänen aus – sie ist auf dem Weg zu ihrer bettlägerigen Großmutter, die trotz ihrer Beeinträchtigung alleine in einer Hütte lebt. Der Wolf kommt ihr zuvor, frisst die alte Dame einfach auf, nimmt – ähnlich wie Norman Bates in Alfred Hitchcocks Horrorklassiker „Psycho“ – ihren Platz ein und macht sich schließlich über Rotkäppchen her, das nicht erkennt, dass es sich bei dem kostümierten Wolf nicht um Oma handelt. Die sexuelle Komponente ist dem Märchen nicht abzusprechen: Den Übergriff des Wolfes auf das naive Rotkäppchen kann man ohne weiteres als sexuellen Übergriff deuten. Der Wolf als Sittenstrolch, der sich kleine Mädchen einverleibt – das mag zwar im Märchen funktionieren, um junge Damen vor aufdringlichen Männern zu warnen, doch mit der Realität hat das natürlich nichts zu tun. In beiden Märchen wird der Wolf übrigens am Ende für seine Übeltaten mit den Tod bestraft und sowohl für die sechs Geißlein als auch für Rotkäppchens Oma gibt es ein Happy End: Sie werden aus dem Bauch des Wolfes herausgeschnitten und können – da sie noch ganz und unverdaut sind – ihren Alltag einfach fortsetzen.

Die Katze – ein eigensinniger Sturkopf?

Beim Esel und beim Wolf handelt es sich bei den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften lediglich um Klischees, doch wie verhält es sich bei der Katze? Der gestiefelte Kater in dem gleichnamigen Grimm-Märchen ist quasi ein unliebsames Erbstück, das einer von drei Brüdern vom Vater erhält. Der besagte Bruder weiß zunächst nichts mit dem störrischen Vieh anzufangen, das seinen neuen Besitzer mittels unorthodoxer Methoden von einer unangenehmen Situation in der nächste bringt. Welcher Katzenfreund kennt das nicht: Die Samtpfoten haben immer ihren eigenen Kopf, sind stur, eigensinnig, lassen sich nicht umerziehen und hören weder auf Befehle noch auf flehentliche Bitten. Wie man es auch dreht und wendet – die Katze wird ihrem Ruf gerecht. Lichtblick für Fans der Stubentiger: Der gestiefelte Kater verhilft seinem menschlichen Gefährten am Ende zu Wohlstand, Glück und einer echten Prinzessin als Ehefrau. Katzenbesitzer dürfen also hoffen.

Bild: Flickr, Bianca Bueno, CC BY 2.0

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