»Tauschen von Saatgut ein politischer Akt«
Alte Sorten: Warum es unerheblich ist, wie alt sie tatsächlich sind. Bernd Kajtna im Interview
BIORAMA: Wenn ich am Balkon oder im Garten selbst Gemüse anbaue: Welchen Unterschied macht es da, ob ich alte Sorten anbaue oder irgendwelche x-beliebige Samen aus dem Bau- oder Supermarkt verwende?
Bernd Kajtna: Das Anliegen von Arche Noah ist, seltene und vom Aussterben bedrohte Obst- und Gemüsesorte zu retten. Dafür haben wir uns mehrere Strategien überlegt: Wir erhalten Saatgut in einem zentralen Samenarchiv, eine Gruppe von ehrenamtlichen Vereinsmitgliedern – wir nennen sie ErhalterInnen – übernimmt die Verantwortung für einzelnen Sorten und wir streuen diese Sorten, indem wir sie zum Kauf oder Tausch anbieten. Absicherung im Samenarchiv, Absicherung bei ErhalterInnen und Absicherung durch Streuung sind die von uns gewählten Wege zum Ziel.
Das Attribut »alt« ist ein wenig irreführend und eigentlich wäre »selten und samenfest« die treffendere Beschreibung für Sorten, um die sich Arche Noah kümmern muss. Kümmern deshalb, damit sie nicht aussterben.
Es gibt ideelle Motive und ganz handfeste Gründe, warum diese Sorten im eigenen Garten oder auf dem Balkon Sinn machen. Der ideelle Grund: Ich beteilige mich an der Absicherung und rette Sorten vor dem Aussterben. Der handfeste Grund: Alte Sorten stammen oft aus einer Zeit, wo unser Gemüse in Omas Kleingarten oder beim Gärtner ums Eck gewachsen ist. Also unter ganz anderen Bedingungen, wie heute Gemüse produziert wird – in großen Betrieben mit hohem technischen Aufwand und mit einem hohen Verbrauch an Energie. Sorten für dieses Umfeld müssen anderes können als Sorten, die im Kleingarten wachsen sollen. Die ideale Umgebung für moderne Sorten ist – überspitzt formuliert – das High-tech-Glashaus. Die ideale Umgebung für eine »alte« Sorte ist Omas Kleingarten.
Samenfeste Sorten anzubauen ist also nicht nur dann sinnvoll wenn ich selbst vorhabe, Saatgut zu vermehren?
Bernd Kajtna: Samenfestigkeit ist eine ganz wichtige biologische Eigenschaft und ein grundlegender Wert. Es ist wichtig, dass Unternehmen und die Politik immer wieder darauf hingewiesen werden, dass diese Eigenschaft Grundvoraussetzung für eine relative Unabhängigkeit von Firmeninteressen ist und einer Sorte die Fähigkeit verleiht, sich an Umweltbedingungen besser anzupassen.
Gibt es Anwendungsfälle, wo es vielleicht trotzdem Sinn ergeben kann, Hybrid-Saatgut anzubauen?
Bernd Kajtna: Bei einigen Kulturpflanzen dominieren heute Hybridsorten und das Angebot an samenfesten Sorten ist klein. Das ist bei vielen Arten aus der Familie der Kohl- und Krautgewächse der Fall. Daher greifen viele Profigärtner auf Sorten aus Hybridzüchtung zurück, da diese im Ertrag deutlich besser abschneiden. Ein gutes Beispiel ist Broccoli: ein Hybridbroccoli bildet einen fetten Broccoli aus, ein samenfester Broccoli bildet mehrere und kleine sehr zarte Röschen aus.
Das Motto des Saatgutfestivals lautet »Vielfalt säen – Freude ernten«. Auf dem Festival kann man nicht nur Saatgut kaufen, sondern auch tauschen. Wenn ich Saatgut von alten Sorten kaufe, dann ist klar, dass ich damit ihre Kultivierung und Vermehrung unterstütze. Welchen gesellschaftlichen Wert hat das Tauschen von Saatgut, wenn teilweise vielleicht nicht einmal klar ist, um welche Sorten es sich eigentlich handelt?
Bernd Kajtna: Das Tauschen von Saatgut ist sozusagen ein politischer Akt, der zum Ausdruck bringt, dass es in vielen Ländern Europas verboten ist, Saatgut von seltenen Sorten zu verkaufen. Eigene Saatgutgesetze regeln die Voraussetzungen für den Verkauf von Saatgut: Es geht um Registrierungsprozesse, Beschaffenheit und Einstufungen (etwa die Prüfung der Einheitlichkeit, Beständigkeit und Unterscheidbarkeit). Seltene Sorte erfüllen diese formalen Voraussetzungen oft nicht und sind daher vom Markt ausgeschlossen.
Wer definiert denn, ab wann es sich um eine neue Sorte handelt?
Bernd Kajtna: Das tatsächliche Alter einer Sorte ist eigentlich kein wesentliches Kriterium. Eine Sorte hat einen Stammbaum, ist keine neue Erfindung, sondern basiert auf Eltern, Großeltern usw. … Wichtig ist ein breiter Genpool. Es soll nicht sein, dass alle neuen Sorten nur von einem Elternteil abstammen. Passiert das, ist der Genpool klein und eng. Die Chance, aus diesem engen Pool resiliente und zukunftsfitte Sorte zu züchten ist klein. Ich hab’ schlich weniger Gene zur Verfügung. Daher schauen wir darauf, dass alle Generationen als Saatgut vertreten bleiben und keine Inzucht passiert.
Am Saatgutfestival bieten wir zum Beispiel die Sorte »Aroma Cocktail« an. Diese ist vor drei, vier Jahren entstanden und ist jung. Warum bieten wir diese Tomate an? Weil sie von einer Gruppe gezüchtet wurde, die sich mit dem Anbau und dem Verkauf von besonders schmackhaften Paradeisersorten befasst. Das Zuchtziel ist: gutschmeckende, gesunde und freilandtaugliche Paradeiser zu züchten. Sie kreuzen alte Sorten mit neuen Sorten und prüfen die Qualität auf den Gartenbaubetrieben. Eine sehr empfehlenswerte Cocktailtomate für den Balkon und den Kleingarten – schmeckt gut, wuchert nicht so stark und fruchtet sehr lange!
Nächster Termin
Am Samstag, den 25. Februar 2023, findet in der VHS Meidling in Wien 12 (Längenfeldgasse 13–15) von 10 Uhr bis 17 Uhr das 2. Arche-Noah-Saatgutfestival statt.
Vertreten sind 20 Aussteller u. a. die Firma Reinsaat, die Ybbser Kräutergärten, AnbieterInnen von heimischen Wiesenblumen, Feigenstecklingen und Edelreisern für Obst.
(Eintritt 5 Euro; für Vereinsmitglieder 3 Euro; Eintritt frei bis 14 Jahre)