Taubnessel-Schokokuchen
Was früher als Unkraut galt, lässt sich sammeln und schmackhaft weiterverarbeiten. In den besten Fällen zu Kuchen.
Alexandra Maria Raths »Hommage ans süße Wien« – die Fortsetzung ihres erstens Buchs zur Wiener Wildpflanzenküche – liefert eine ungewöhnliche Kombination aus historischem und botanischem Hintegrundwissen zu den Wiener Bezirken, ihren Wild- und Kulturpflanzen und Anleitungen zu einem ordentlichen Küchenregime und ausgeklügelte Rezepte. Etwas schräg mutet in diesem Buch an, dass immer wieder einzelne Zutaten in Bioqualität empfohlen werden (etwa Schokolade), der Großteil der anderen aber nicht (etwa Eier oder Butter). Gestaltet ist das Buch nicht ganz so wild wie seine Protagonisten wachsen – und der Aufbau nach Pflanzen und je einem Bezirk samt historisch-architektisch relevantem Ort, an dem sie vorkommen, macht es auch zu einem sehr brauchbaren Reiseführer durchs Wien der Wildpflanzen.
DIE TAUBNESSEL
Die Taubnesseln gehören als eigene Pflanzengattung zur Familie der Lippenblütler, genau wie auch der Thymian und der Wiesensalbei. Ihr wisst schon, das ist diese riesige Familie, die keiner zu einer Party einladen möchte, weil dann auf einen Schlag 7000 daherkommen. Dafür sind so gut wie alle Mitglieder dieser Familie essbar. Obwohl die Blätter der Taubnesseln denen der Brennnesseln sehr ähneln, sind die beiden nicht miteinander verwandt.
Im Gegensatz zu Brennnesseln besitzen Taubnesseln auch keine Brennhärchen. Sie sind also »taub«. Wie so manch Herrschender gegenüber den Bedürfnissen des Volkes auch. Aber das, das ist wieder eine andere G’schicht. Die Gattung der Taubnesseln umfasst jedenfalls weltweit um die 25 bis 30 Arten. Bei uns findet man vor allem die Purpurrote, die Gefleckte, die Weiße und die Stengelumfassende Taubnessel.
Im Mittelalter wurden Taubnesseln bei Menstruationsbeschwerden, Schwäche, Husten, Schlafstörungen und zur allgemeinen Beruhigung verwendet. Sie enthalten neben Kieselsäure noch Schleimstoffe, Vitamin C und A, Zink, Kalium und sogar Protein. Nichts davon hilft tatsächlich bei Schlafproblemen. Im Gegenteil, das enthaltene Kalium regt die Nierentätigkeit an, was einen des Nächtens eher unruhig zur Toilette zwingt. Aber bekanntlich versetzt der Glaube ja Berge und selbst Placebos funktionieren bei vielen Beschwerden. So oder so, heute haben die Taubnesseln in der Volksheilkunde keine relevante Bedeutung mehr, manch einer verwendet sie noch zum spirituellen Räuchern. In die Kulinarik hingegen sollten wir sie auf alle Fälle wieder mit aufnehmen. Sie sind, wie alle Wildpflanzen, ein Geschenk der Natur. Gratis, gesund und gut!
Und, wie schmeckt’s?
Taubnesseln, insbesondere die frischen Blätter, weisen ein recht intensives Aroma auf, was für einige regelrecht abstoßend wirkt. Erhitzt man die Blätter aber, verflüchtigt sich die etwaige Muffigkeit und ein harmonisch, ja fast schon umami-artiges Pilzaroma tritt zutage. Kombiniert man die Blätter mit Schokolade, entpuppt sich diese Verbindung als äußerst wohlschmeckend, von leicht bitter über harzig-minzig. Die Blüten der Taubnesseln schmecken in erster Linie süß, genau wie sie auch aussehen. Wenn ihr die Möglichkeit habt, nehmt die Blüten der Gefleckten Taubnessel, diese sind die größten. Aber sammelt nicht zu viele, Lippenblütler enthalten reichlich Nektar, eine – gerade im zeitigen Frühling – willkommene Nahrung für Bienen und die großen Brummer, wie Hummeln.
Saftiger Taubnessel-Schokokuchen*
*glutenfrei
ZUTATEN
- 200 g Butter
- 200 g dunkle Schokolade (mind. 70 % Kakaoanteil)
- 4 Eier
- 200 g Zucker
- 2 flache EL Maisstärke
- Butter und Brösel für die Kastenform
- 1 kleine Handvoll Blätter der Taubnessel
- Blüten der Taubnessel
- 250 g Schlagobers
ZUBEREITUNG
für eine etwa 30×22 cm Kastenform
oder eine 26 cm Springform
Wer saftige Schokoladekuchen oder Brownies mag, wird sich hier wie im siebten Himmel fühlen. Ich habe gefühlte 200 (tatsächlich waren es elf) Schokokuchen-Rezepte für euch getestet, umgestaltet und wieder verworfen, um letztendlich diese super saftige, super schokoladige, super gute Variante zu kreieren. Ganz ohne Mehl, nur mit reichlich bester Schokolade, Butter und Eiern sowie einem unbedingt notwendigen Schlagobers-Tupferl. Die Blätter der Taubnessel verstärken das Aroma der Kakaobohnen und geben dem Ganzen Frische, die Blüten punkten durch ihre Süße und Schönheit.
1. Alle Zutaten abwiegen und mise-en-place-mäßig* vorbereiten. Die Taubnessel säubern, die Blätter fein hacken. Die Kastenform mit Butter einreiben und mit Bröseln auskleiden. Statt Brösel könnt ihr auch Mehl verwenden. Ich nehme am liebsten eine größenverstellbare Form, die ich auf ein gebuttertes, bemehltes Backblech stelle.
2. Schokolade und Butter über Wasserdampf schmelzen. Dazu eine Rührschüssel aus Metall (Schneekessel) auf einen Topf mit Wasser stellen. Das Wasser soll heiß sein, aber nicht sprudelnd kochen. Die Schokolade in Stücke brechen, die Butter in Stücke schneiden und beides zusammen schmelzen. Dabei ab und zu mit einem sauberen, aber auf keinen Fall nassen Löffel umrühren. Die Schüssel mit der geschmolzenen Butter-Schoki (Achtung, heißer Dampf steigt auf und der Boden der Schüssel ist nass) vom Topf nehmen und auf ein Tuch gebettet zur Seite stellen.
3. Eier trennen. Die Eidotter in eine große Schüssel geben und zur Seite stellen. Die Eiklar in einem extra Gefäß mit dem Handmixer aufschlagen, bis sie schaumig weiß sind, dann etwa 1/3 des Zuckers dazugeben und fertig zu Schnee schlagen.
4. Danach die Eidotter mit dem restlichen Zucker sehr schaumig rühren. Dafür einfach die vom Eischnee noch nicht gewaschenen Quirlen verwenden. So lange schlagen, bis die Masse cremig-weiß wird. Dauert etwa 4 Minuten. Wir wollen viel Luft im Eidotter, daher geduldig bleiben.
5. Die geschmolzene, aber inzwischen etwas abgekühlte Schoki-Butter-Masse zu der Eidotter-Zuckermischung geben. Maismehl, den steifen Eischnee sowie die gehackten Taubnessel-Blätter unterheben. Die Masse in die Kastenform gießen (Teigschaber), diese sollte etwa 3 cm hoch mit Teig befüllt werden. Der Kuchen geht beim Backen auf, fällt aber während des Auskühlens wieder zusammen!
6. Bei ca. 150 °C Ober- und Unterhitze für 25 Minuten backen. Nadelprobe machen. Der Kuchen soll außen trocken, innen aber noch weich und leicht feucht sein. Aus dem Rohr nehmen und auskühlen lassen. Zum Servieren mit Staubzucker und Taubnesselblüten bestreuen. Schlagobers als barockes „I-Tüpfelchen“ daneben platzieren.
Rezepte aus: »SÜSSES WILDES WIEN – genascht wird, was in der Stadt wächst«, Gmeiner, 2023.
Auch andere Kochbücher widmen sich wilden städtischen Pflanzen – wie etwa dem Unkraut der Stadt Berlin – und zaubern daraus ess- und trinkbare Delikatessen.