Tage am Meer

Im Frühling dieses Jahres sind Andreas Jaritz und Mario Hainzl mit ihrem Team im französischen Aquitaine gestartet. Sie sammeln Geschichten von Menschen, die ihnen begegnen und dokumentieren sie. Das Filmprojekt „The Old, the Young and the Sea“ steht jetzt kurz vor seiner Finalisierung. Mario Hainzl berichtet darüber im Interview.

 

BIORAMA: Ihr wart jetzt monatelang an europäischen Küsten unterwegs. Wie viele Wellen seid ihr geritten?

Mario Hainzl: Zu wenige! Des Filmemachers Dilemma ist nämlich: Sind die Wellen gerade gut, sollte man filmen, anstatt selbst im Wasser zu sein. Ich glaube, das haben wir uns anfangs anders vorgestellt… Aber klar, wir waren 18 Wochen unterwegs und hin und wieder haben wir uns schon eine Session gegönnt. Ich würde sagen: Wir kennen die Winkel und Ecken Europas jetzt so gut, dass jeder nachfolgende, private Surftrip unglaublich qualitativ wird – nicht zuletzt, weil wir mittlerweile hunderte Locals entlang der Küste kennen und den einen oder anderen wieder besuchen werden. Man freut sich darauf.

Wie kam es eigentlich zu der Leidenschaft für das Surfen und das Meer?

Andy (Anm.: Andreas Jaritz, Kollege und Co-Produzent) hat sich schon früh in der Skateboard-Kultur engagiert, ich war seit früher Jugend begeisterter Snowboarder. Als wir dann in Studienzeiten beschlossen haben, ein Auslandssemester in Galizien in Spanien anzugehen, war der Weg zum Surf ein kurzer: Ist man einmal dem Brettsport verfallen, ist der Schritt von einer zur anderen Variante nur logisch. Darauffolgende Aufenthalte in Chile, Senegal, Nicaragua, Marokko und Costa Rica und viele Trips an die europäische Küste haben uns immer wieder zum Surfen gebracht.
Der Stoke – die Begeisterung, die Sucht – beim Surfen scheint mir schon stärker und intensiver als bei anderen Brettsportarten zu sein. Kaum jemand, der einmal die Kraft einer Welle am Körper und unter dem Brett erlebt hat, kehrt dem Sport den Rücken. Es ist eine regelrechte Sucht, von deren Befriedigung man plötzlich träumt, für die man viele Kilometer und ebensoviele Strapazen auf sich nimmt, man wird vielleicht sogar ein Stück verrückt. Auch, weil der tatsächliche Moment des Surfens im Vergleich zu dem Weg dorthin so unglaublich kurz ist. Man wird nie satt, aber die Gier und Sucht wird mit jeder Welle angefacht.

Welche Rolle spielt das Meer dabei?

Man entwickelt ein anderes Verhältnis zum Meer. Man beobachtet es, man versucht es zu lesen, verbringt viele Stunden im Wasser. Der Ozean wird zum Spielplatz. Auch wenn das Surfen selbst vielleicht eine kindische Dummheit ist… das intensivere Verhältnis zum Meer und den Plätzen und Menschen am Meer, die damit verbundenen Reisen – das ist etwas sehr Schönes, sehr Erfüllendes. Surfen ist mehr als ein Sport. Es ist, ohne pathetisch klingen zu wollen, auch ein leidenschaftlicher Zugang zur Welt. Die Leidenschaft und Dankbarkeit wollen wir mit dem Projekt verarbeiten und ich denke das können viele nachempfinden.

Ihr habt bei „The Old, the Young & the Sea“ doch immer die große, ganze Geschichte im Blick, und trotzdem lebt sie von den vielen, kleinen Details. Wie behaltet ihr den Blick für’s Wesentliche?

Ich denke, das Große, das Ganze gibt es da nicht wirklich. Es gibt Gemeinsamkeiten, Dinge, an die man anknüpfen kann, aber genau die unterschiedlichen Zugänge – sei es das Surfen oder sonstwas im Leben – macht’s erst bunt.
Entlang der Küste gibt es alle möglichen Surfer, die auf ihre unterschiedliche Art und Weise etwas genießen und dem Surfen unterschiedlich viel Platz in ihrem Leben einräumen: Die einen trainieren von Klein auf wie Athleten, andere hat das Surfen zum Umweltschutz gebracht, wieder andere sind hauptberuflich Fischer und leben mehr im als am Meer, andere genießen nur das Ambiente, das Reisen, das mit Ausnahme der Locals ein so wesentlicher Aspekt des Surfens ist. Diese Vielfalt ist das Wesentliche und die macht’s aus – und wir wollen zeigen, dass es dafür genug Platz und Inspiration in Europa gibt.

Wie findet ihr die Menschen, die Teil eurer Geschichte werden?

Es waren zwei Trips, die sehr unterschiedlich verlaufen sind. Der erste Trip war eindeutig ein Recherchetrip: Wir haben die Route von Hossegor nach Ericeira mit weit geöffneten Augen und Ohren bereist, wobei wir einerseits durch Kontakte zur Surfrider Foundation, Patagonia, surfcars.com, Reef und anderen Partnern zu interessanten Interviewpartnern kamen. Andererseits waren es auch Zufallsbekanntschaften, die uns tiefer in die europäische Surfszene eintauchen ließen. Man sieht eine interessante Figur, schiebt die eigene Schüchternheit beiseite und rennt drauf los. Manchmal stößt man auf Geschichten, manchmal endet das Interview in „Ähms“ und „Ahms“.
Beim zweiten Trip gab’s auch einige glückliche Zufälle, teilweise kannte man uns schon oder wir wurden auf das Logo auf unseren T-Shirts angesprochen – diese Organic T-Shirts kann man übrigens bei Zerum kaufen und damit die Surfrider Foundation unterstützen. Aber großteils hatten wir schon ein gutes Wissen über die Szene und waren dementsprechend zielstrebig unterwegs. Wir wussten, wen wir treffen wollen, welche Leute wir noch einmal interviewen wollten, welche Plätze unbedingt vorkommen müssen, um auch Aussenstehenden in unserem Film ein lebendiges Bild von Europas Küsten näherbringen zu können.

Wie leben die Menschen mit dem Meer? Gibt es Unterschiede von Region zu Region?

Generell ist es so, dass im Süden Frankreichs und im Baskenland die Küsten stärker verbaut sind und klassische „Meerberufe“ im Vergleich zu Industrie und Tourismus weniger wichtig sind. Im Gegensatz zu Nord-Spanien ist dort das Bewusstsein für Meeresschutz und nachhaltige Lebensweise schon weiter vorgedrungen. Das bemerkt man auch an den Mitgliedszahlen der Surfrider Foundation in den unterschiedlichen Regionen. Andererseits ist gerade Galizien eine Region, in der das Meer fixer Bestandteil der regionalen Identität ist. Viele arbeiten dort in der Fischerei oder im Schiffsverkehr. Da ist das Verhältnis zum Meer rauer, ernster – aber auch intensiver.
Und Portugal profitiert gerade im Zuge des Surfbooms unglaublich von der Qualität der Wellen, die man dort vorfindet – was natürlich auch zu Spannungen führt, wenn beispielsweise kleinere Fischerdörfer innerhalb kurzer Zeit zu touristischen Hotspots werden, von denen nicht jeder profitiert.
Erstaunlich war aber, dass in weit über hundert Interviews jeder am Meer Beheimatete sagte: „Ein Leben weit weg vom Meer wäre für mich unvorstellbar.“ Und das Surfen ist dafür nur einer von vielen anderen Gründen gewesen.

Seid ihr jetzt bereits am Ende eurer Reise oder zieht es euch wieder mit Film- und Fotokamera ans Meer?

Einen kurzen Abstecher nach Frankreich werden wir für dieses Projekt noch im April des folgenden Jahres machen. Das war’s dann mal für dieses Projekt. Aber grundsätzlich wäre „The Old, the Young & the Sea“ auch in anderen Erdteilen umsetzbar. Es ist nämlich so: Fußballspielen kann man beispielsweise überall, wo es eine gerade Fläche gibt, deswegen ist es eine örtlich ausgebreitete Szene, verstreut über alle Lande. Das Surfen hingegen zieht Menschen konzentriert an gewisse Plätze, Strände, Küsten. Das macht die Szene auf relativ kleinem Raum so multikulturell, so vielschichtig. Und dieses Phänomen beispielsweise in Asien zu untersuchen und filmisch aufzuarbeiten, mit all den teilweise dramatischen Veränderungen, die das Surf-Business dort hinterlassen hat, das wäre superspannend. Was wirklich kommt, entscheidet sich 2013. Dann werden wir sehen, ob unser Zugang für die Leute da draußen interessant ist. Und ob sie mehr davon haben wollen.

In welcher Art und Weise werden wir 2013 von eurem Projekt hören?

Im Winter geht’s in den Schnittraum – da steckt noch unglaublich viel Arbeit drinnen. Die Interviews müssen aussortiert, selektiert und in Zusammenhang gebracht werden. Es soll ja schließlich ein rundes Bild ergeben. Wenn wir das geschafft haben, geht’s mit den Festivals los. Wir sind überwältigt vom Interesse verschiedener Filmfestivals, die unseren Film zeigen wollen. Wenn dann alles klappt geht’s in die Kinos und der eine oder andere Fernsehsender wird den Film ausstrahlen. Und wer das Fernsehen nicht mag und wem das Kino zu weit weg ist – für den wird’s früher oder später die Download-Variante geben.

 

www.oldyoungsea.com

Wer „The Old, the Young and the Sea“ supporten will, kann das z.B. hier oder hier tun. Ein Teil der Merch-Einnahmen geht an die Surfrider Foundation Europa, der Rest fließt direkt in die Filmproduktion.

Fotos: www.stefanleitner.com und www.nomadearth.com

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