Alpine Crossing – Tag 7: Der gegen den Städter kämpft
„Ich bin gegen Städter in den Bergen. Ich liebe sie als Touristen, aber nicht als politische Entscheider.“ Reinhold Messner lässt keinen Zweifel daran, was sein Hauptanliegen ist: „Die Menschen, die seit Jahrtausenden in den Alpen leben, sollen über diese bestimmen, nicht die ganze Welt. Aber seit 20 Jahren regieren nur noch die Städter“, meint der umstrittene Einzelkämpfer und fügt hinzu: „Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht gegen die Städter – ich bin dafür, ein Gleichgewicht zwischen Berg und Stadt zu finden.“
Über 113 Spitzkurven, 1.471 gewöhnlichen Kurven und vier Bergpässe – von denen der höchste 2.200 Meter in die Höhe ragt – , vorbei an den Wichtigsten der Dolomiten, diesen spitzen Bleichbergen mit ihrer für die Alpen einzigartigen Gesteinsformation: Seit 7.45 morgens hat sich unser Reisebus vom äußersten Zipfel im Westen – Forni di Sopra – bis in den Osten nach Südtirol geschlängelt. Jetzt endlich sitzen wir ihm gegenüber, dem Mann, der in den 70er und 80er Jahren die alpine Sportkletterei erfunden hat und der oft in einem Atemzug mit Südtirol genannt wird: Reinhold Messner, angefeindeter und bewunderter Alpinist, Öko-Bauer, unabhängiger Ex-EU-Politiker für die Grünen und Museumsführer … die Namen, die ihm gegeben werden, sind vielfältig.
„Früher war keiner so dumm, nur zum Spaß in die Berge zu gehen, sich in Gefahr zu begeben, wenn es nicht notwendig ist – das begann erst mit dem Tourismus“: Zwei Stunden dürfen wir JournalistInnen der Alpine Crossing mit Messner verbringen – zuerst die italienische, dann die deutschsprachige Truppe – und ihn zur Zukunft der Alpen befragen. Ort des Geschehens ist eines der fünf Messner Mountain Museums (MMM), das auf Schloss Sigmundskron auf einer Anhöhe über Bozen ragt und mit tibetanischen, nepalesischen „Mitbringsel“ über die Berge erzählt.
„Nachhaltiger Tourismus ist bloß ein Schlagwort“, ist Messner nicht zuletzt nach seinem Ausflug in die EU-Politik überzeugt, „Zehn Mal bin ich in mein Heimatdorf gefahren und habe Konzepte vorgestellt. Was davon geblieben ist, ist reiner Betrugstourismus – das Tal ist tot, es gibt dort keine Wertschöpfungskette.“ Dabei geht es Messner vor allem um praktische Konzepte, bei denen Tourismus und Landwirtschaft zum Wohl der Bevölkerung verzahnt werden. Genau solche Ideen lebt er auch vor und zeigt, dass es funktioniert: Drei Bauernhöfe, die teilweise bereits als nicht zu retten galten, hat er aufgekauft und zu Selbsterhalter-Höfen umgebaut. Produkte werden lokal angebaut, veredelt und schließlich verkauft, etwas, woran auch Urlauber teilhaben können: „Bauernhof-Tourismus“ verzeichnet in Südtirol nämlich einen enormen Wachstum. „Diesem Lebenskonzept kann man jetzt mehr vertrauen als einem Studium“, ist Messner von der Sinnhaftigkeit überzeugt und fügt hinzu: „Wer auf einem solchen guten Weg ist, der braucht auch keine Subventionen.“
Die Dolomiten sechs bis acht Stunden pro Tag Autofrei zu halten, damit sich Bergsportler und Mountainbiker ungestört bewegen können, ist nur eines der Projekte, für die sich Messner derzeit – allen Widerständen zum Trotz – stark macht. Wenn ich an die heutige Busfahrt durch die engen, kurvenreichen Straßen denke, auf der uns zig Motorradfahrer entgegen gebraust sind, stößt das bei mir auf offene Ohren. Auch die Verlängerung der Saison im Frühjahr/Sommer ist eine Bemühung, um die bereits vorhandenen Betten auf längere Zeit auszulasten. Weiter fortgeschritten als diese Ideen ist, dass sämtliche Messner Mountain Museums zu Fuß erreicht werden sollen – ob in 15 oder gar 60 Minuten, das Auto soll man jedenfalls hier genauso wenig brauchen wie in den touristischen Zentren. Dass „Südtirol auf einem guten Weg ist und alles per Zug zu erreichen ist“, gefällt Messner, der auf öffentlichen Verkehr als Zubringer für die Touristen pocht.
In 2.400 Meter, da würde der Bergexperte am liebsten die Grenze zwischen Kultur- und Naturstreifen der Alpen ziehen: Während über dieser Höhe die „Wildnis der Wildnis überlassen“ werden sollte, muss der Mensch in den unteren Regionen seinen Lebensunterhalt verdienen können – zum Beispiel mit Tourismus. „Ich bin ein Praktiker“, erklärt Messner, „alles grüne Geschwätz nervt!“ Vermutlich genauso wie die Positionierung der Alpen als Heidi-Land – ein Wort, das er in dieser Stunde sicherlich dreißig Mal gebraucht…als Horrorvision, wohlgemerkt!
PS: Dr. Georg Bayerle vom Bayrischen Rundfunk war nicht nur auf der 1. Alpine Crossing im Winter 2009 dabei, er hat uns auch auf unserer über 5-stündigen Busfahrt durch die Dolomiten mit Geschichten und Wissenswerten zu diesem speziellen Teil der Alpen versorgt. Sein Buch „Dolomiten – das etwas andere Wanderbuch“ – das er gemeinsam mit KollegInnen 2007 veröffentlicht hat – haben wir als Erinnerung für unsere erste wirkliche Alpine Crossing am Tag 7 Karmen Mentil von Alpine Pearls überreicht.