„Super Viech! Super Landschaft!“

Das Foto von Cadida Höfer aus dem Pariser Zoo zeigt die Vortäuschung von Idylle an einem Ort der Gefangenschaft. (Bild: MUMOK Wien)

Die Ausstellung „Naturgeschichten. Spuren des Politischen“ im Wiener Mumok zeigt Kunst, die Verklärung der Natur zum Thema macht. 

Natur wird gerne verklärt. Schon seit langem. Zur Zeit der Industrialisierung musste sie als Projektionsfläche für Exotik und koloniale Fantasien herhalten – auch in der Kunst. Heute entführt uns Werbung an Sehnsuchtsorte im Grünen. Massentourismus wird mit menschenleeren Palmenstränden beworben, Industrienahrung mit ländlichem Idyll. Darstellungen von Natur sind voller Widersprüche. Und in diesen Widersprüchen steckt Politik. Das Wiener Mumok zeigt Kunst, die diese Widersprüche zum Thema macht. Ein Gespräch mit dem Kurator Rainer Fuchs.

Auf den Plakaten zur Ausstellung „Naturgeschichten. Spuren des Politischen“ ist eine Giraffe in ihrem Zoogehege zu sehen. Was steckt dahinter?

Rainer Fuchs: „Das Foto mit der Giraffe ist eine Arbeit aus einer ganzen Werkserie von Candida Höfer. Es vermittelt eine Idee, die hinter der gesamten Ausstellung steht. Im Bild wird ein Widerspruch sichtbar. Es suggeriert eine Idylle, die sich letztlich als Trugbild herausstellt. Auf den ersten Blick denkt man: Super Viech! Super Landschaft! Aber dann ist es doch nur ein Gefängnis. Es geht hier um eine konstruierte Natur, die das Eingesperrtsein verschleiern will und so tut, als ob das alles idyllisch wäre. Dieser Widerspruch wurde nicht einmal fürs Bild erfunden. In jedem Zoo ist das so.“

Wieso sind Menschen so offen für solche Verklärungen der Natur?

Rainer Fuchs: „Wenn man durch ein naturhistorisches Museum geht, durch einen Zoo oder durch einen botanischen Garten, dann nimmt man das ja gerne als etwas Erbauliches und Pittoreskes wahr, das noch dazu der Bildung und Forschung dient. Gleichzeitig sind solche Einrichtungen auch Orte der Verzerrung, der Zerstörung und der Gewalt. Man stopft Tiere aus, oder man sperrt sie ein. Man importiert Pflanzen aus ökonomischen Zwecken. Diese Ökonomisierung der Natur wird einfach gerne ausgeblendet.“ 

Was ist das Politische an der Verklärung der Natur?

Rainer Fuchs: „Ich fand es immer schon eigenartig und widersprüchlich, dass es Auffassungen von Geschichte gibt, die deren Verlauf als eine Art Naturprozess bestimmen. Man kann das bis in Wahlprogramme hinein verfolgen, wenn politische Ziele mit Relikten der Naturrechtslehre wie der göttlichen Ordnung gerechtfertigt werden. Gleichzeitig wird auch Natur immer wieder als etwas der Geschichte Enthobenes, Außerzeitliches betrachtet. Solche Vorstellungen fordern zum Widerspruch heraus. Der Begriff „Naturgeschichten“ wurde für die Ausstellung gewählt, weil Natur und Geschichte in ihm verknüpft sind und man ihn auch politisch verstehen kann.

Es geht also um Politik, Geschichte und Natur. Worin besteht die Verknüpfung?

Rainer Fuchs: „Hier geht es um historische und zeitgeschichtliche Entwicklungen, die mit Kolonialismus und Imperialismus, mit totalitären Ideologien oder mit gesellschaftlichen Übergangssituationen zu tun haben. Neoimperiale Entwicklungen gibt es ja nach wie vor. Was wir heute erleben – die Migration zum Beispiel –, kann auch als Folge imperialistischer Politik begriffen werden, worin sich zeigt, dass Vergangenheit in der Gegenwart fortwirkt. Anhand der Naturthematik in der Kunst lässt sich das sehr gut zeigen – wenn auch vielleicht nicht immer auf den ersten Blick.

Die Installation ,Un jardin d’hiver II‘ von 1974. (Bild: Museum of Modern Art, New York)

Wie wird diese Verknüpfung in der Kunst zum Thema?

Rainer Fuchs: „In den 60er- und 70er-Jahren gab es in der konzeptuellen Kunst eine Reflexion der Kunst über ihre eigenen Rahmenbedingungen. In dieser Zeit kamen viele Bezüge zur Natur als gesellschaftskritischem Motiv auf. Das zeigt in der Ausstellung zum Beispiel Marcel Broodthaers mit seinem „Jardin d’hiver II“ (1974). Da geht es um Kolonialismus und darum, wie sehr wir diese ganzen tropischen Idyllen verinnerlicht haben. Die idealisierten Bilder der Werbung und des Tourismus sollten verdecken, dass ja auch Gier und Ausbeutung in Verbindung mit den Kolonien stehen. Broodthaers zeigt diese Widersprüche auf. Es geht in seiner Arbeit darum, dem verklärten und idealisierten Naturbild ein kritisches, analytisches entgegenzustellen, das mehr dazu beiträgt, unsere Gegenwart zu verstehen. Das ist auch der Ansatz der Ausstellung.“

Auf welche Weise hat denn Kunst versucht, aus der Realität in die Natur zu fliehen, bevor sie die Widersprüche dieser Flucht zum Thema gemacht hat?

Rainer Fuchs: „Diese Natur als Gegenentwurf zur Realität entsteht schon zur Zeit der Industrialisierung. Denken Sie an Paul Gauguin zum Beispiel mit seinem Rückzug auf die Südseeinseln oder an die Expressionisten mit ihrer Vorliebe für primitive und außereuropäische Kulturen. Dieses Ausbrechen aus der Zivilisation, dieser Eskapismus, der sich auf ferne Länder und vorindustrielle Kulturen bezieht, ist typisch für die Moderne. Es war der Versuch, einer durch die Industrialisierung verursachten Entfremdung und Oberflächlichkeit zu entgehen.“

Kann man das bis heute weiterverfolgen, den Eskapismus, die Sehnsucht nach Exotik, die Flucht in die Natur?

Rainer Fuchs: Weltflucht und Realitätsverdrossenheit wird es immer geben. Aber es hat sich in den letzten hundert Jahren auch vieles verändert. Allein schon durch die „postcolonial theories“. Die Theorie bestimmt nun einmal auch die Wirklichkeit. Da ist schon eine ganz neue Situation entstanden, die man nicht einfach mit der Zeit um 1900 vergleichen kann. Die damals unterdrückten Völker haben sich, auch mitgetragen von europäischen Forschern und Philosophen, Gehör und Stimme verschafft.

Aber Eskapismus in die Natur lässt sich schon noch beobachten.

Rainer Fuchs: „Natürlich. In der Werbung oder im Tourismus ist er zum Beispiel ständig präsent. Einen massenwirksamen, populistischen Natur-Eskapismus wird es immer geben, solange die Freizeitindustrie boomt. Eine folkloristisch zurechtgeputzte Natur und Landschaft verfolgt uns auf Schritt und Tritt. Die Wohlfühlindustrie schläft nicht.“

Kann man denn in der Ausstellung auch etwas über heutige Natur-Projektionen lernen?

Rainer Fuchs:„Grundsätzlich fragt die Ausstellung nach dem Fortwirken und nach der Aktualisierung gesellschaftsgeschichtlicher Entwicklungen im Heute. Dies wird besonders in den Arbeiten der jüngeren Künstlergeneration deutlich. 

In der Werkserie „The Tar Museum“ weist Mark Dion darauf hin, dass ausgestopfte Tiere kaum als tote Lebewesen wahrgenommen werden. Erst der Teerüberzug macht aus einem Flamingo eine verendete Kreatur. (Bild: Mark Dion und Georg Kargl Fine Arts, Vienna)

Es gibt in der Ausstellung auch einen ausgestopften Flamingo mit Teer-Überzug von Mark Dion.

Rainer Fuchs: „Mark Dion stellt museale Praktiken infrage und das auf sehr ironische Weise. Was er mit den geteerten Tieren bezweckt, ist ein Nachdenken über Musealisierung und Lebensferne. Er weist darauf hin, dass man anhand von ausgestopften Tieren im Museum nicht unbedingt gleich wahrnimmt, dass die tot sind. Die sind ja schließlich so präpariert, als ob sie lebendig wären. Erst durch den Teer-Überzug wird die Idee von verendeten, getöteten Tieren augenscheinlich. Erst dadurch sieht man sich mit dem Tod konfrontiert. Dions Arbeit verdeutlicht durch eine Art buchstäblich schwarzen Humor das Vortäuschen einer Wirklichkeit, die eigentlich gar nicht existiert.“

Die Arbeiten hinterfragen also den oberflächlichen, konsumierenden Blick auf Natur.

Rainer Fuchs: „Ja. Die Ausstellung dient ja dem Zweck, die Wirklichkeit differenzierter zu betrachten. Bevor man mithilfe vorgetäuschter Idyllen irgendeine Flucht unternimmt, die sinnlos ist, sollte man schauen, dass man sich in der Realität besser zurechtfindet. Solchen Zwecken sollte Kunst immer dienen – nicht nur diese Ausstellung.“


Die Ausstellung ,Naturgeschichten – Spuren des Politischen‘ ist noch bis zum 14. Jänner 2018 im MUMOK Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien zu sehen. 

 

 

 

 

 

VERWANDTE ARTIKEL