Streit um den Wald

Bild: Matthias Schickhofer

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Nützen oder schützen? Oder beides? Die wachsende Nachfrage nach Biomasse lässt auch Konflikte zwischen Naturschutz und Forstindustrie keimen.

Die Emotionen gehen hoch. Klima-Wandel und Öko-Welle lassen die Nachfrage nach Holz-Produkten steigen und der Nutzungsdruck auf die heimischen Wälder nimmt zu: Holz boomt. Ergo wird fleißig und gründlich geholzt: Für Holz-Pellets lassen sich ja auch minderwertige Teile der Bäume wie Äste, Kronen oder Wurzeln verarbeiten. Die Wälder werden mitunter richtiggehend „ausgeräumt“ und dem Wald große Mengen an Biomasse entzogen – mit entsprechenden Folgen für die Waldböden und viele Arten, die auf Totholz angewiesen sind. Was für die Waldbesitzer eine Chance auf gesteigertes Einkommen in wirtschaftlich trüben Zeiten ist, bereitet dem Naturschutz aber zusehends Kopfschmerzen.

Droht eine Übernutzung der Wälder?

Andererseits wird hinter den Kulissen gerade um einen Entwurf für eine neue nationale Biodiversitäts-Strategie gerungen. Eine der Konfliktlinien: Wie viel Wald soll in Zukunft nicht mehr genutzt werden, um der Artenvielfalt und einer natürlichen Walddynamik in der Alpenrepublik ein wenig mehr Raum zu geben? Derzeit sind etwa ein Prozent der heimischen Wälder explizit nicht genutzt. In Deutschland hat man sich 2007 im Rahmen der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ verpflichtet, bis 2020 auf einem Anteil von 5 % der deutschen Waldfläche bzw. 10 % des öffentlichen Waldes eine natürliche Waldentwicklung zuzulassen und die Sägen nicht mehr auszupacken.

Bild: Matthias Schickhofer

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Eine Vorstellung, die Felix Montecuccoli, Präsident der Land & Forst Betriebe Österreich, offenbar die sprichwörtlichen Grausbirnen aufsteigen lässt. In einer Presseaussendung wetterte er jüngst gegen „weitere großflächige Außer-Nutzung-Stellungen oder Wildnisgebiete“, die „ein Angriff auf die wirtschaftliche Situation der gesamten Land- und Forstwirtschaft“ wären. Er „erwarte sich starke Signale für die heimische Forstwirtschaft von den politischen Vertretern“, fügte er fast drohend hinzu.

Droht in Österreich die großflächige Enteignung der Forstbesitzer im Zeichen des Naturschutzes? Die Rhetorik lässt Erinnerungen an düstere Zeiten auferstehen, in denen sich Naturschützer und Natur-Nutzer grimmig in winterlichen Auwäldern gegenüber standen.

Waldbewirtschaftung muss Schutzstrategien miteinschließen

Eine Nachfrage bei heimischen Naturschützern ergab ein recht differenziertes bis entspanntes Bild: Hans-Martin Berg vom Naturschutzbund NÖ lehnt die Aussage Montecuccolis ab, weil sie „Bemühungen um mehr Biodiversität in Wäldern und den Versuch ein wenig vom ursprünglichen Bild der österreichischen Waldlandschaft zu sichern bzw. zurückzugewinnen konterkariert.“

Der Begriff einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung müsse „derartige Schutzstrategien miteinschließen“, da bestimmte natürliche, schützenswerte Prozesse einer Waldentwicklung auch bei bestem Bemühen im Wirtschaftswald nicht umzusetzen seien. Er rechnet vor, dass Waldwildnisflächen derzeit ohnedies nur etwa 0,7 % der Gesamtwaldfläche unseres Landes einnehmen. „In dieser Größenordnung kann der Naturschutzbund NÖ keineswegs eine Beschränkung der wirtschaftlichen Möglichkeiten der heimischen Forstwirtschaft erkennen. Ganz im Gegenteil, denn Außernutzung-Stellungen sind erstens nur im Konsens mit betroffenen Grundeigentümern und zweitens nur bei entsprechender Entschädigungen möglich.“

Bild: Matthias Schickhofer

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Schützen durch Nützen funktioniert nur bedingt

Bernhard Kohler, Leiter des Biodiversitätsprogramms beim WWF Österreich, hält großflächige Wald-Naturschutzgebiete für unbedingt notwendig, „damit die Artenvielfalt der heimischen Wälder erhalten bleibt“. Er widerspricht Montecuccoli entschieden, dass großflächige Wildnisgebiete die heimische Forstwirtschaft bedrohen und sogar das komplexe Ökosystem Wald massiv gefährden würden: „Rund 10 % der waldbewohnenden Arten sind auf völlig nutzungsfreie Bereiche angewiesen, weitere 20 % leiden erwiesenermaßen unter der Waldbewirtschaftung. Die übrigen zwei Drittel brauchen die Forstwirtschaft auch nicht zwingend zum Überleben, sie kommen damit aber zurecht – sofern man entsprechende Maßnahmen setzt.“

Laut Bernhard Kohler funktioniere der von Montecuccoli „ausschließlich vertretene Ansatz“ ‚Schützen durch Nützen’ nur für einen Teil der einheimischen Waldnatur: „Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der größte Artenreichtum erst erreicht wird, wenn man heimische Waldbestände großflächig älter als 200 Jahre werden lässt. Unsere Wälder werden aber bereits im Alter von 60 bis 140 Jahren beerntet, weil sich die Umtriebszeiten aus wirtschaftlichen Gründen nicht beliebig nach oben verlängern lassen.“

Um die volle Bandbreite der einheimischen Vielfalt in unseren Wäldern zu erhalten, brauche es nicht nur eine schonende Nutzung, sondern auch große Nicht-Eingriffsflächen, wie sie in Wildnisgebieten und Nationalparks schon existieren.

Kein Anlass zur Panik unter Waldbesitzern

Wissenschaftler würden schätzen, dass ungefähr zehn Prozent nicht-genutzter Waldfläche notwendig sind, um die Zukunft der heimischen Waldökosysteme langfristig zu sichern. „Damit bliebe immer noch ein beträchtlicher Anteil für eine pflegliche Nutzung übrig. Für Panik unter den heimischen Waldbesitzern besteht schon allein deshalb kein Anlass, weil nach bewährter österreichischer Tradition nutzungsfreie Großschutzgebiete immer nur mit Zustimmung und Entschädigung der Landnutzer und Grundbesitzer eingerichtet werden können“, erklärt Kohler. Auch im Hinblick auf die Einrichtung von Wildnisgebieten müsse dieser Grundsatz natürlich aufrecht erhalten werden. „Das ist keine Frage des Entweder-Oder, sondern des Sowohl-als-auch“, sagt Bernhard Kohler.

Bild: Matthias Schickhofer

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Fazit: Der angebliche „Angriff auf die wirtschaftliche Situation der gesamten Land- und Forstwirtschaft“ ist real nicht wirklich festzumachen. Bleibt die Frage: Warum wird hier plötzlich wieder polarisiert, wie in den 80er-Jahren? Sollen etwa gar Naturschutz-Bemühungen im Bereich Waldwirtschaft ausgehebelt werden, weil sich dank Klimaschutz-Bestrebungen und Biomasse-Boom gute Geschäfte mit gesteigerter Holznutzung anbieten? Immerhin wirbt die Holzindustrie aktuell sogar mit dem Slogan: „Kein Wald bindet so viel C02 wie ein bewirtschafteter Wald.“ Eine Behauptung, die unter Fachleuten freilich heftig umstritten ist.

Keine Frage: Holz ist in vielerlei Hinsicht genial und erneuerbaren Rohstoffen gehört die Zukunft. Aber kann es wirklich darum gehen, Klimaschutz auf Kosten des Naturschutzes zu betreiben? Ja, ist das überhaupt ein Gegensatz? Natürlich nicht. Diese Logik wäre tatsächlich ein gewaltiger Rückschritt. Die hitzig ausgetragene Kollision der Interessen garantiert jedenfalls eine längere Fortdauer der Kontroversen.

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