Street Art mit Mission: Micro Galleries in Graz

Micro Galleries Street Art Graz - Vifick Bolang

Die Gassen von Gries werden zum Street Art-Mekka (Foto: Vifick Bolang / Micro Galleries)

Hong Kong, Kapstadt, Graz. Das internationale Street Art-Projekt Micro Galleries kommt von 29. Juli bis 8. August 2016 erstmals nach Österreich. Wir haben vorab mit den Organisatorinnen gesprochen.

Im Grazer Bezirk Gries tut sich was: Von 29. Juli bis 8. August 2016 hält hier das Street Art-Projekt Micro Galleries Einzug. Mit Kunst und Diskurs will man verlorene, unbeachtete und ungenutzte Plätze im öffentlichen Raum zurückerobern. Stadtentwicklung auf eigene Faust sozusagen. Rund 40 Künstler aus 15 Nationen werden die Gassen von Gries mit Malereien, Graffitis, Fotografien, Installationen und Performances aufleben lassen. Ausgang fand das Projekt 2013 in Hong Kong; es folgten Stopps in Australien, Südafrika und Indonesien. Bei der Grazer Ausgabe handelt es sich um die erste Station in Europa. Wir haben mit den Macherinnen der Micro Galleries über die Entwicklung des Projekts, die Zusammenarbeit mit der Stadt Graz und die erhofften Auswirkungen auf den Bezirk Gries gesprochen.


Micro Galleries im Interview

BIORAMA im Gespräch mit Kat Roma Greer und Ariadne Avkiran, den kreativen Köpfen hinter der Grazer Ausgabe des Street Art-Spektakels.

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Kreative Köpfe braucht die Stadt (Foto: Teresa Schebiella / Micro Galleries)

BIORAMA: Micro Galleries will leerstehende und vergessene Orte wiederbeleben. Wie erreicht ihr das, und was ist eure Motivation dahinter?

Kat: Micro Galleries (MG) erobert öffentliche Räume zurück. Wir wollen vergessene und ungenutzte Plätze wiederbeleben, und die Botschaften verändern, die wir dort erhalten. Wem gehört der öffentliche Raum eigentlich? Wer nutzt ihn? Und vor allem, wie könnte er genutzt werden? Wir sind überzeugt davon, dass die Botschaften, die wir in öffentlichen Plätzen erhalten, nicht nur aus Werbung und Verkehrsvorschriften bestehen sollten. Viel mehr geht es um Vergnügen, Spaß, um die Neugier zu erkunden, Überraschung, Anreiz und Inspiration. Deshalb beschäftigen wir uns mit Orten, die unserer Meinung nach „kreative Hilfe“ benötigen.
Eine unserer schönsten Erfolgsgeschichten stammt von einem kleinen Jungen auf Bali. Nachdem wir unser Projekt in einer Gasse in Denpasar einrichteten, erzählte er uns, wie gerne er nun hier ist und wie sicher er sich fühlt, anstatt Angst zu haben.

Micro Galleries Street Art Graz - Thami Sjila

Glückliche Kinder in Denpasar – ein Highlight für die Organisatorinnen (Foto: Thami Sjila / Micro Galleries)

Wo und wann nahm das Projekt seinen Ausgang, wie entstand Micro Galleries? 

Kat: MG wurde ursprünglich von Bess Hepworth für die Radical Resilience Week 2013 in Hong Kong in Auftrag gegeben. Wir haben das Projekt in einem kleinen innerstädtischen Dorf namens Tai Hang durchgeführt. Tai Hang verwandelte sich zu dieser Zeit von einem eher ursprünglichen Dorf in ein lebendiges Zentrum. Dieser Probelauf in Tai Hang war so erfolgreich, dass uns schon bald VeryHK [Anm.: ein öffentliches Community-Festival] zu einer Wiederholung einlud. Diese Einladung ermöglichte es erst, das Konzept „Micro Galleries“ so richtig zu erweitern. Uns wurde bewusst, welche Bedeutung und welchen Einfluss MG auf lokale Gemeinschaften haben kann.

Nach Hong Kong, Australien, Kapstadt und Bali kommt Micro Galleries nun auch nach Graz. Wie kam es dazu?

Kat: MG hat sich von Beginn an organisch entwickelt. Wir ergreifen unsere Chancen, wie sie sich ergeben, und lassen uns dorthin treiben, wo wir ein Gefühl der Notwendigkeit verspüren. Einer unserer Künstler, Erlend Depine, ist in Graz geboren und aufgewachsen. Von ihm erfuhren wir viel über die Stadt, und insbesondere über den Bezirk Gries mit seiner bunt-gemischten Community und den zahlreichen Orten und Plätzen, die etwas frischen Wind vertragen könnten. 

Micro Galleries Street Art Bali

Frischer Wind für heruntergekommene Orte: Street Art ist die Antwort (Foto: Micro Galleries)

Was dürfen die Besucher in Graz von den Micro Galleries erwarten? Und welche Künstler werden vor Ort sein?

Kat: Es werden mehr als 50 Künstler aus aller Welt und 20 Künstler aus Österreich – die meisten von ihnen direkt aus Graz – zu sehen sein. Die Besucher dürfen sich auf Freiluftgalerien mit einem Mix aus bildender Kunst und Street Art freuen. Während des „Live Interaction Weekend“ [Anm.: Kick-off der Veranstaltung, 29.-31. Juli 2016] werden zahlreiche Mitglieder unseres Global-Teams vor Ort sein werden. Hier wird es Pop-up-Spaces und ein bunt-gemischtes Programm aus Workshops, Künstlergesprächen, Diskussionsrunden, Live Performances, Filmvorführungen und und und zu sehen geben.

Als Location habt ihr den Multi-Kulti-Bezirk Gries gewählt. Döner-Läden dominieren das Straßenbild, die Mieten sind niedrig. Was reizt euch an dieser Gegend? 

Ari: Für ein MG Graz kam immer nur Gries in Frage. Schon auch, weil wir alle gerne Döner essen, aber eher noch weil wir die Diversität und das menschennahe Gefühl des Viertels so spannend finden. Wenn man ein bisschen Zeit am Griesplatz verbringt, entsteht gleich ein dynamisches Gefühl von Nachbarschaft. Vor allem mit meinen türkischen Wurzeln konnte ich die letzten Wochen eine tolle Brücke zwischen den hiesigen Ladenbesitzern und Anrainern und dem globalen MG-Team schaffen. Ich war überrascht, wie sehr Kunstaktionen von den Menschen willkommen geheißen werden! In einem Viertel, wo Kunst, Galerien oder Museen kein gängiges Gesprächsthema sind, stehen die Leute Ideen mit offenen Armen gegenüber, die irgendwas verändern wollen. Diese Lockerheit und Neugier könnte ruhig mehr verbreitet sein in Graz, wenn nicht in ganz Österreich.

Micro Galleries Street Art Bali

Offenheit und Neugierde: Dieser Boy in Denpasar zeigt wie’s geht (Foto: Micro Galleries)

Und welchen Orten in Gries will Micro Galleries neues Leben einhauchen?

Ari: Unsere Freiluftgalerie wird die Reichengasse sein, ein schmaler Rad- und Fußgängerweg, der direkt auf den Griesplatz führt. Wir arbeiten auch eng mit den umliegenden Betrieben zusammen und haben im Hof von Cuntra la Cultra, dem neuen Café von Graz-Legende Tatjana Petrovic, unseren Micro Space. Während dem Eröffnungswochenende Ende Juli präsentieren wir hier ein volles Programm!

Wie steht die Stadt Graz zu eurem Projekt? Gibt es Unterstützung? 

Kat: Es ist tatsächlich das erste Mal seit es MG gibt, dass wir nahezu keine Unterstützung der lokalen Verwaltung erhalten. Es scheint, als würde hier [Anm.: in Graz] ein System vorherrschen, das anstatt zu unterstützen, eher Hürden aufbaut und die Organisation solcher Projekte erschwert. Dennoch sehen wir das nicht unbedingt als Hindernis, sondern als Chance. Wir wollen aufzeigen, dass die Dinge auch anders laufen könnten.

Ari: Unsere Anträge auf Förderungen an das Kulturamt sind alle negativ beurteilt worden. Von öffentlicher Seite haben wir leider sehr viele Steine in den Weg gelegt bekommen, auch wenn vereinzelte Stimmen von Seiten der Ämter und Behörden „die Sache toll finden“. Was allerdings sehr positiv war, ist die rasche Vernetzung mit bestehenden Bürgerinitiativen im Griesviertel. Von Kollegen und Kolleginnen habe ich wirklich sehr viele Tipps und Kontakte bekommen, um mich durch den Papierdschungel durchzuschlagen.

Micro Galleries Street Art Wan Chai

Hürden statt Hilfe: Die österreichische Bürokratie macht(e) es nicht leicht (Foto: Teresa Schebiella / Micro Galleries)

Der Austausch zwischen Künstlern und Kulturen aller Welt ist euch ein wichtiges Anliegen. Wird man in Graz Einflüsse aus anderen Ländern zu spüren bekommen?

Kat: Definitiv, es werden etwa 15 verschiedene Nationen vertreten sein!

Ari: Diese Einflüsse sind vor allem auch in den Thematiken mancher Werke spürbar. So hoch die Zahl der teilnehmenden Künstler ist, so vielfältig sind auch die Themen der einzelnen Werke. Wir zeigen Fotos aus syrischen Flüchtlingszentren neben einer Arbeit über muslimische LGBT Frauen aus Indonesien. Oder unzählige Einblicke in Hong Kong kleben unweit von einer Reihe modifizierter Mona Lisas. Unkonventionell ist das Projekt alle mal.

Welche (bleibenden) Eindrücke soll Micro Galleries in Graz hinterlassen? Und bleiben die Kunstwerke erhalten?

Kat: MG soll mehr als ein Pop-up Event sein. Wir wollen eine Spur hinterlassen. Viele der Kunstwerke sind zwar temporär, aber mit der nötigen Erlaubnis bleiben sie vorerst bestehen, und verschwinden dann innerhalb der nächsten 4-10 Monate von selbst. Die aller wichtigsten Eindrücke, die wir hinterlassen wollen, sind aber andere: Wir wollen den Bewohnern zeigen, welches wundervolle Potenzial in den versteckten Plätzen ihres Stadtteils liegt, und wie Künstler diese Plätze verwandeln können. Gries und seine Bewohner können sich der ganzen Grazer Community präsentieren und sie als regelmäßige Besucher gewinnen.

Micro Galleries Street Art Nowra

In Straßen, Gassen und Köpfen: Man will Eindrücke hinterlassen (Foto: Teresa Schebiella / Micro Galleries)

Micro Galleries zieht es bald nach Indien und Indonesien. Wie geht es weiter?

Kat: Im März des kommenden Jahres werden wir in Jakarta zu Gast sein – wir wollen die unglaubliche Kultur dieses riesigen Landes einfangen. Danach konzentrieren wir uns auf ein sehr spezielles Projekt, welches im November 2017 in Mumbai stattfinden wird. Wir werden dort mit einer lokalen NGO zusammenarbeiten, die Frauen unterstützt, welche in die Sexsklaverei getrieben und zur Prostitution in den Rotlichtbezirken Mumbais gezwungen werden. Weibliche Künstlerinnen werden wichtige Thematiken und Perspektiven der Frauen aller Welt erforschen und hinterfragen. 

Abschließend: Wie würdet ihr Micro Galleries in drei Worten beschreiben?

Kat: Create positive change.

Ari: Own your environment.

Vielen Dank für das Interview!

Micro Galleries findet von 29. Juli bis 8. August 2016 im Grazer Bezirk Gries statt.



Schon an anderen Stellen haben wir uns bei BIORAMA mit Street Art und öffentlichen Plätzen beschäftigt.

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