Stoff oder Rohstoff?
Ein minimalistischer Lebensstil wird immer beliebter und beginnt oft im Kleiderschrank. Aber was passiert mit der aussortierten Kleidung?
Aussortieren wird gefeiert wie nie. Unter dem Stichwort »Closet Cleanout« finden sich bei Google aktuell etwa 179.000.000 Suchergebnisse. Auch auf Netflix, wo einem in »Tidying Up with Marie Kondo« eine japanische Bestsellerautorin beibringt, wie man seinen Besitz aussortieren und ordnen kann.
Und wie geht es nach dem Frühjahrsputz im Kleiderschrank mit dem Aussortierten weiter? Für intakte Altkleider gibt es bekannte und beliebte Möglichkeiten: der Verkauf auf Flohmärkten oder über Apps wie Kleiderkreisel, das Verschenken oder Tauschen in der Familie, im Freundeskreis oder bei Tauschpartys. Aber die wohl am häufigsten genutzte Option ist die Spende in einen Altkleidercontainer. Und dort können auch beschädigte Textilien abgegeben werden.
In den Restmüll gehört nur Textilabfall, der sehr stark verschmutzt ist. Die Altkleider werden in diesem Fall verbrannt und gehen für den Wertstoffkreislauf verloren. Alttextilien können in den meisten Fällen aber als Rohstoff genutzt werden, wodurch Sekundärrohstoffe gewonnen werden und somit die Umwelt geschont wird.
Klappe auf, Kleidung weg – oder?
Altkleider, auch wenn sie kaputt sind, sollten möglichst sauber und gebündelt in Tüten oder Tragetaschen, Schuhe paarweise gebündelt in den Container geworfen werden. Ja, auch kaputte Kleidung, die in Altkleidercontainern landet, wird noch genutzt und als Rohstoff weiterverkauft.
Es kann passieren, dass dir dein aussortiertes T-Shirt in einem Secondhand-Laden wiederbegegnet. Laut Website des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) werden nur zehn Prozent der Spenden in den Kleiderkammern oder Kiloshops an Bedürftige weitergegeben. Das liegt daran, dass die Kammern in Deutschland und Österreich bereits überfüllt sind. Die restlichen 90 Prozent werden an Verwertungsunternehmen wie Soex verkauft und der Erlös wird dort eingesetzt, wo die kleiderspendensammelnde Organisation Geld benötigt. Beispielsweise werden so Jugendarbeit, Suchtdienst, Betrieb der Kleiderkammern oder ehrenamtliche Bereitschaften finanziert.
In den Verwertungsanlagen werden die Textilien nach Qualität sortiert: Knapp 55 Prozent werden als Secondhand-Ware verkauft, 35 Prozent als nicht mehr tragbar eingestuft und durch Downcycling zu Dämmstoff, Malervlies oder Putzlappen – und die restlichen zehn Prozent werden als Müll entsorgt.
Die 55 Prozent secondhandfähiger Kleidung werden nicht nur innerhalb Deutschlands verkauft, sondern je nach Qualitätsstufe auch in Länder wie Italien, Rumänien, Afrika und Pakistan verschifft. Einerseits können sie dort durch billige Preise den regionalen Textilmarkt zerstören, andererseits bleiben auch durch Altkleidercontainer, deren Inhalt in Afrika landet, die Ressourcen im Kreislauf und werden nicht verschwendet.
Bei Spenden sollte unbedingt darauf geachtet werden, die Kleidung nur in Container von gemeinnützigen Organisationen wie dem DRK oder der Caritas zu geben. Es gibt nämlich auch viele Container von privaten Betreibern, die gar nicht oder nur undeutlich beschriftet sind.
Warum möchte H&M meine Altkleider?
Seit ein paar Jahren gibt es zunehmend auch große, konventionell produzierende Textilunternehmen wie H&M, die Altkleider sammeln und mit Recycling werben. Die gespendete Kleidung wird in diesem Fall ebenfalls an Textilsortieranlagen weiterverkauft. Alttextil ist eine Ressource und mit Ressourcen lässt sich Geld machen. Wenn man vorhat, aussortierte Kleidung bei Modegeschäften abzugeben, sollte man sich vorher gut informieren, was mit den aus den Textilverkäufen erzielten Beträgen geschieht – denn das ist nicht immer ganz transparent, die Höhe der Einnahmen, soweit veröffentlicht, bisher mäßig beeindruckend. Abzuwarten bleibt, wie sich in dieser Hinsicht beispielsweise eine neue Zusammenarbeit zwischen dem mehrere Milliarden schweren Modekonzern Zara (Inditex) und dem DRK entwickelt. Seit 21. März 2019 können Altkleider beim Take-back-Programm zunächst in einer Hamburger Filiale abgegeben werden. Der Erlös geht dabei komplett an das DRK.
Nachhaltigkeit ist ein Lifestyletrend und Recyclingaufrufe sind auch eine Marketingstrategie. Die Kampagnen suggerieren, dass Textilrecycling eine gut funktionierende Lösung ist, die Kleidung einem geschlossenen Wertschöpfungszyklus zugeführt und zu neuer Kleidung verarbeitet werden kann.
Allerdings funktioniert Recycling hier oft anders, als sich das wohl viele vorstellen. In den seltensten Fällen entsteht beispielsweise aus einem »alten« T-Shirt ein gleichwertiges Kleidungsstück. Besonders bei Mischtextilien ist dies nicht der Fall. Die Recyclingvorgänge wären dabei zu aufwändig und zu teuer. Die Stiftung Warentest schreibt, dass die Verarbeitung von Altkleidern zu neuen Kleidungsstücken nur möglich ist, wenn diese hundertprozentig aus Baumwolle bestehen und weder Aufdrucke noch Reißverschlüsse besitzen.
Außerdem werden KundInnen durch Rabattgutscheine als »Belohnung« für Kleiderspenden letztlich mit »gutem Gewissen« zu Neukäufen angeregt.
Wertschätzen und nutzen, was bereits da ist
Daher zurück zu Kondos Methode, bei der es darum geht, sich auf das zu konzentrieren, was man bereits besitzt und behalten möchte. Nach dem Aussortieren folgt die Organisation und Pflege des eigenen Besitzes – mit dem Ziel, diesen anschließend mehr wertzuschätzen. Doch auch während einer Aufräumaktion kann man sich die Frage stellen, ob bestimmte Textilien nicht als Putzlappen im eigenen Haushalt weiterverwendet werden können. Alttextilien können außerdem zu Abschminkpads oder Bienenwachstüchern upgecycelt werden. Und die Reparatur kaputter Kleidungsstücke bleibt immer noch eine der nachhaltigsten Optionen. Vorausgesetzt, man kauft überhaupt nur, was man wirklich auch tragen möchte.
BIORAMA #60