»Hin & weg« im Reich der Fantasie
Wir begleiten Schauspielerin Katharina Stemberger ins Reich der Riesen und an den tiefschwarz ruhenden Herrensee.
Die Finger, die hinauf zu den Wolken greifen, sind ihr in all den Jahren nicht aus dem Sinn gegangen. Sie war 16, vielleicht 17 Jahre alt als sie das letzte Mal hier war. »Und das ist ein Zeitl her«, sagt sie trocken.
Das Gras im Schlosspark dampft. Katharina Stemberger steht unter mächtigen Bäumen und blickt die Allee entlang zurück in die Vergangenheit. Heute ist sie als Schauspielerin erfolgreich, engagiert im Kulturleben und der Zivilgesellschaft des Landes. Damals verbrachte sie zwei oder drei Wochen hier auf Schloß Breiteneich. Genau weiß sie das nicht mehr. Zeit spielte damals keine Rolle. Der Dreh- und Angelpunkt war ihr Cello. Ein Kammermusikkurs beim legendären Cellisten Joschi Luitz brachte sie nach Breiteneich. »Das war kein Hobby«, sagt sie, »ich habe das ordentlich verfolgt«.
Musik, Moos und wieder Musik
Stemberger stammt aus einer künstlerischen Familie. Die Schwestern lernten Geige und Querflöte. Sie selbst wollte Cellistin werden und widmete auch Wochenenden und Ferien dem Instrument. Überall war Musik. Erst recht hier in Breiteneich. »Du übst und übst, spielst Kammermusik und überall rundum fanden Konzerte statt«, erinnert sie sich, »und zwischendurch bin ich hier in der Allee spazieren gegangen und habe übers Leben nachgedacht.«
Die bemoosten Bäume, deren Äste sich nach oben strecken, wirken auch Jahrzehnte später wie riesige Pranken. Wie aus weit zurückliegenden Tagen ragen sie aus dem Erdreich in die Gegenwart herüber. Der Park und das prächtige Renaissanceschloss sind damals wie heute bewohnter Privatbesitz. Nur im Hochsommer, wenn hier das Kammermusikfestival »Allegro Vivo« gastiert, sind sie öffentlich zugänglich.
Als wir das Tor des Parks hinter uns schließen, überlassen wir das Areal wieder seinem Schlummer – und dem Eichelhäher, den wir vorhin beim Näherkommen vertrieben haben. Wir ziehen weiter; weiter hinauf ins Waldviertel, das uns Katharina Stemberger als einen ihrer liebsten Kulturschauplätze vorstellt; hinauf an den Herrensee zu Zeno Stanek, mit dem die Schauspielerin seit Ewigkeiten befreundet ist und seit ein paar Jahren – gemeinsam mit Sänger und Autor Ernst Molden – das Theaterfestival »Hin & weg« ausrichtet.
Gestrandet und geborgen in Zwettl
Nach ihrer Cellophase, erzählt sie uns unterwegs, gebe es lange keine Erinnerung an die Gegend hier. Die Schauspielausbildung abgeschlossen, hat sie sich »ein bissl die Welt angeschaut« und war viel in London. Nur beruflich kam sie hin und wieder nach Österreich zurück. Dann irgendwann Zwettl. »Es war der kälteste Winter von überhaupt«, sagt sie, »ich hab einen vollkommen verrückten Film für die Filmhochschule gemacht und hatte mit meinem wunderbaren Fiat Panda auf einer total vereisten Straße einige Kilometer vor Zwettl einen schweren Unfall, hab mich dreimal überschlagen. Mir ist nichts passiert und ich erinnere mich kurioserweise nur noch an unglaublich große Feuerwehrmänner, die mich geborgen haben.«
Danach, am 2. Jänner 1996 irrte sie geschockt durchs stockfinstere Zwettl. »In einem Haus hab ich Licht gesehen, angeklopft und gesagt, dass ich auf der Suche nach meiner Filmcrew bin. Ich war verbeult, verwirrt – und die Leute im Haus haben sich rührend um mich gekümmert.« Seither hat Stemberger nicht nur das Waldviertel, sondern auch die WaldviertlerInnen in ihr Herz geschlossen.
Das Erbe huldigen
Zeno Stanek ist selbst zwar ein »Zuagrasta«, aber längst voll und ganz im Waldviertel angekommen. Schon 1994 verschlug es ihn – ein paar Jahre vor Stembergers Nacht in Zwettl – hinauf in den hohen Norden; nach Hörmanns bei Litschau. Damals studierte er selbst noch Regie am Max-Reinhardt-Seminar. Heute ist er nicht nur Intendant des legendären »Schrammelklang«-Festivals, sondern auch der gedankliche Vater des »Hin & weg«-Festivals.
Die Idee für das Theaterfestival war es – erklärt Katharina Stemberger auf dem Weg nach Litschau – »etwas Ähnliches wie das Schrammelklang nur fürs Theater« zu machen. Also ein mehrtägiges Festival, niederschwellig, aber anspruchsvoll, offen, ganzheitlich und für Leute aus der Region genauso gedacht wie für BesucherInnen von weiter weg; traditionsbewusst, doch nie ohne Bezüge ins Hier und Jetzt. »Kaspar Schrammel (nach dem die Schrammelmusik benannt ist, Anm.) war ein Litschauer und wir huldigen seinem Erbe«, erklärt Stanek warum das typische musikalische Genre der Wiener Heurigenkultur ausgerechnet im nördlichen Waldviertel gefeiert wird.
»Da liegt er in großer Gelassenheit. Wenn man rundherum geht – der See ist ja gar nicht so groß –, wird man ruhig. Was auch immer einen gerade beschäftigt, er vermittelt einem das Gefühl: Es wird gut.«
– Katharina Stemberger, Schauspielerin und Intendantin, über den Herrensee
Lesungen am Küchentisch
Gemeinsam stehen wir am Ufer des Herrensees. Jedes Mal wenn Stemberger hier ist, zieht es sie an den See; um den See. »Da liegt er in großer Gelassenheit«, sagt sie. »Wenn man rundherum geht – der See ist ja gar nicht so groß – wird man ruhig. Was auch immer einen gerade beschäftigt, er vermittelt einem das Gefühl: Es wird gut.«
Auch nicht schlecht: »Zwischen den Proben dürfen wir ins Wasser hupfen«, sagt die Schauspielerin. Sie sei »kein Bergmensch, gar nicht«. Aber das Wasser, das brauche sie, »um irgendwie ganz zu sein«. Das mache die Zeit hier am Herrensee auch so besonders. Eben irgendwie ganz. Und so ganz anders.
Die »Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung« – wie Stemberger, Stanek und Molden ihr »Hin-&-weg«-Festival im Untertitel beschreiben – findet zum größten Teil hier im Waldbad statt, im Wald, am Ufer entlang, aber auch verstreut im Ort. Theateraufführungen und Lesungen, Matineen und Gespräche am Feuer, nahbar und nahegehend. »Zeno hat dauernd verrückte Ideen wie das Format der Küchenlesung. Ich war da sehr skeptisch«, gesteht Stemberger. »Aber die Leute haben ihm die Türen aufgemacht und wir haben in den Küchen ihrer Häuser gelesen. Zeno hat sich das Vertrauen der Menschen erarbeitet. Deshalb lebt das hier auch.« Und die Grenzen fließen nicht nur wenn es um Genres oder kulturell Eingelerntes geht. »Das Tolle hier ist ja, dass sich die Leute, die baden gehen mit den Festivalgästen mischen.«, sagt Stemberger. »Plötzlich sitzt dann jemand mit Bademantel und Handtuchturban im Theaterpublikum. Sowas finde ich herrlich und das gibt’s sonst nirgends.«
Das Credo: Keine EgomanInnen!
Woher rührt der Geist, von dem alle schwärmen, die das »Schrammelklang« oder das »Hin & weg« besucht haben, die hier aufgetreten sind und die es immer wieder gern hierher zurück zieht? Am Herrensee und seiner Gelassenheit allein kann es schwer liegen.
Er entstammt – so abgedroschen das vielleicht klingen mag – der Leidenschaft, die hier auch noch das kleinste Detail erfasst. »Wir machen das ohnehin nicht, weil wir reich und berühmt werden, sondern weil wir an die Idee glauben und uns gegenseitig sehr schätzen«, sagt Stemberger. Deshalb haben sich Stanek, Stemberger und Molden auch auf eine Prämisse geeinigt: »Wir laden keine mühsamen EgomanInnen ein, um mit uns zu sein. Wir sind lang genug in der Branche, um zu wissen, wer so tickt. Es ist Lebenszeit, ich will eine gute Zeit haben und niemanden um mich, der Energie zieht.«
Drüben auf dem Hügel: das Dorf
Zumindest Stanek braucht seine Energie mehr denn je für ein anderes sinnvolles, noch einmal größeres Projekt. Denn wie Stemberger sagt: »Zeno macht einen Schritt weiter.« Seit 2020 entwickelte Stanek gemeinsam mit einem Investor direkt am Hügel über dem Herrensee das Theater- und Feriendorf »Königsleitn«: Ein ursprünglich eher konventionelles Hotel mit Saisonbetrieb, dessen Schließung im Raum stand als das BetreiberInnenehepaar in Pension ging, wurde saniert und für einen ganzjährigen Betrieb ausgerichtet. Auch in den Bauten ringsum wurden moderne Studios, Apartments und Wohnungen für KünstlerInnen, Kinder- und Jugendgruppen eingerichtet. »Damit trägt er einen Geist in diese Gegend, der weit über unsere zehn gemeinsamen jährlichen Festivaltage hinausgehen wird.«, ist Stemberger sicher.
Während uns Hausherr Stanek durch die neuen Seminarräume und die Bibliothek führt, durch Proberäume und zum »Theater Dorf Wirt« mit seinen zwei Bühnen und Extrastüberln, werken hier noch die Elektriker. In Zukunft, sind sich Stanek und Stemberger sicher, wird das Kreativdorf die Gegend ganzjährig in einen Hort des Austauschs und der Kultur verwandeln.
Ein Joghurt so authentisch wie die Landschaft
Hier am Herrensee hat Katharina Stemberger auch Herrn und Frau Österreicher kennengelernt. Seit kurzem gibt es deren herrliches Joghurt zwar auch in Wien zu kaufen, kontaktlos im Ab-Hof-Abholladen; doch die Schauspielerin führt uns zurück zu dessen Ursprung – auf den Biohof von Margareta und Anton Österreicher in Wielings bei Eisgarn.
Denn die Bäuerin Margareta hat sie mindestens so beeindruckt wie deren Schafmilchjoghurts, die sie am »Hin & weg«-Festival hinter ihrem Marktstand verkaufte. Schüchtern, aber unglaublich stolz und überzeugt. »Die Österreichers sind extrem authentisch und leben ganz verbunden mit dem was sie machen.«, schwärmt Stemberger. »Die beiden wissen, was ihnen wichtig ist im Leben. Ich würde wirklich vielen Menschen wünschen, dass sie sich mit dem, was sie tun so identifizieren können wie die Familie Österreicher mit ihren Schafprodukten.«
2017 – mehr als 30 Jahre nachdem Anton nach dem frühen Tod des Vaters den Hof im Alter von 15 übernommen hatte – wurde ihr Joghurt ganz offiziell als »bestes Schafmilchjoghurt Österreichs« prämiert (mit dem goldenen »Kasermandl« der Messe Wieselburg). »Die Festivals sorgen für Bekanntheit über die Region hinaus«, erklärt Margareta Österreicher. Wichtig ist es, dass die Leute die Produkte kosten können; dadurch gelingt es, den Menschen die Qualität zu vermitteln. Dann ergebe sich die Nachfrage von selbst. Aktive Nachfrage hat auch ermöglicht, dass es ihre Joghurts mittlerweile in Wien gibt. »Eine Familie hat den ersten Corona-Lockdown in Litschau verbracht. Zurück in Wien wollte sie nicht mehr auf unser Joghurt verzichten. Unsere Wiener Gäste haben uns das Geschäft in Wien besorgt.«
Joghurt – und Wolle für Workshops
Auch Stemberger ist wieder ganz angetan. »Irre gut das Brombeerjoghurt, ein Traum«, sagt sie noch mit vollem Mund – als Margareta sie fürs Foto mit dem Löffel füttert. Die Milch der 40 Mutterschafe ist dementsprechend begehrt. Die Wolle leider nicht, erklärt uns Anton Österreicher als er uns seinen selbstkonstruierten Melkstand zeigt. »Die Wolle landet im Wald zum Düngen. Sie ist unverkäuflich. Unrentabel.« Zeno Stanek, der uns auf den Biohof begleitet, wird hellhörig. Wolle? Die könnte man doch in einem Festivalworkshop verarbeiten. Kurze Zeit später ist man sich einig. Man möchte das zumindest einmal gemeinsam durchdenken. Es ist doch zu schade, die Tiere erst mühsam zu scheren und die Wolle dann im Wald zu verbuddeln. Etwas, das gebraucht und verwertet werden könnte, wegzuwerfen, das passt nicht ins Weltbild. Alles am Hof wird ganzheitlich angegangen und möglichst auch so zu Ende gedacht. »Ich führe jedes Tier selbst zum Schlachthof«, sagt Anton Österreicher. »Die Tiere haben null Stress, weil sie es gewohnt sind, hin und wieder am Hänger zu sein und mich kennen. So soll es sein.«
Diese Leidenschaft schmeckt man, ist Katharina Stemberger überzeugt. »Diese Liebe und Entschiedenheit steckt im Produkt«, sagt sie als wir uns von den Österreichers verabschieden und versprochen haben, wiederzukommen. »Wenn wir dieses Schafjoghurt essen, dann essen wir noch etwas mit, das wir nicht chemisch analysieren können. Das erfreut und berührt mich.«
Auch dass die beiden ihre Finger nun in die Stadt ausgestreckt haben, freut sie. »Der dritte Bezirk ist nicht aus der Welt. Da werde ich mit dem Rad vorbeischauen.«
Damit der genussvolle Vorsatz im Alltag nicht unter die Räder kommt, informieren die Österreichers einmal die Woche in ihrem Newsletter, was sich an Joghurts und Käse frisch aus dem Waldviertel servieren ließe. Authentischer Geschmack, ganz in der Gegenwart.
Mein Waldviertel
Katharina Stemberger empfiehlt
Schwimmen im und einen Spaziergang um den Herrensee (Litschau)
»Das Waldbad ist nicht nur während der Festivals ein Ort zum Baden und eintauchen. Denn der Herrensee hat als Moorsee einen ganz besonderen Charakter. Was ich während der Festivals hier so liebe: dass sich Festivalpublikum und Badegäste mischen.«
Wienerlieder im Waldviertel (Litschau)
»Viele FreundInnen von mir sind dort aufgetreten, haben mir vom Schrammelklang Festival vorgeschwärmt. Ich selbst habe es mir x mal vorgenommen, hab es aber tatsächlich noch nie geschafft, weil ich selbst gerade immer woanders Theater gespielt habe. Aber irgendwann schaff ich’s!« 2021 findet das Festival von 9. bis 11. Juli sowie von 16. bis 18. Juli statt.
Matinee im Herrenseetheater (Litschau)
»Das Vorbereiten der Matineen fürs »Hin & weg«-Festival ist ein besonders lustvoller Vorgang. Da sitzen Bernhard Fellinger (Ö1), Zeno Stanek und ich zusammen und fragen uns: Worum geht’s gerade in der Gesellschaft. Heuer ist unser Festivalthema »Mut und Vergänglichkeit«. Das Publikum frühstückt und in den Matineen, für die wir uns besondere GesprächspartnerInnen suchen, geht es einmal um Mut, einmal um Kontrollverlust, einmal um Verwandlung und einmal um Vergänglichkeit. Die Leute gehen immer ganz inspiriert, weil wir sie auf die verschiedensten Arten kitzeln.«
Die Matineen finden jeweils am Samstag und am Sonntag am späten Vormittag statt, das Festival selbst vom 13. bis zum 22. August 2021.
Fahrt mit der Waldviertelbahn (Gmünd, Groß Gerungs, Litschau)
»Für mich das beste Schlechtwetterprogramm: zwischen Gmünd, Groß Gerungs und Litschau mit der Schmalspurbahn durch die dampfenden verregneten Wälder. Das hat etwas Cooles.«
Radrunde im Waldviertel (Litschau)
»Wenn es die Zeit zulasst, dann schnappe ich mir gern auch ein Rad und fahr rund um Litschau durch die Gegend. Hin und wieder verschlägt es mich auch hinüber nach Tschechien, wo ich einen der Seen umrunde.«
Glaseinkauf in der Waldglashütte (Neunagelberg)
»In die Waldglashütte von Karl Zalto komme ich jedes Jahr im Sommer. Er hat Gläser in alten schönen Mustern, kein Kitsch. Besonders die Noppengläser haben es mir angetan. Wer will kann in der Waldglashütte auch beim Glasblasen zuschauen.«
Biojoghurts und Käse vom Schaf (Wielings oder Wien)
»Das Joghurt der Familie Österreicher ist zum Niederknien. Wenn wir dieses Schafjoghurt essen, dann essen wir noch etwas mit, das wir nicht chemisch analysieren können.«
Die Bioprodukte von Anton und Margareta Österreicher gibt es auf ihrem Hof in Wielings zu kaufen, gegen Vorbestellung kontaktlos im Abhol-Laden in Wien-Landstraße sowie u. a. in den 5 Wiener Filialen von Joseph Brot.
Rauf und raus ins Waldviertel!
Besondere Orte der Region im Nordwesten Niederösterreichs – künftige Lieblingsplätze und Ausflugswege für Tage, Wochenenden oder ganze Sommer in ungestörter Ruhe inmitten kühler Natur.