»Der Titel kann so viele Dinge in Bewegung bringen«
Ein Gespräch mit Michael Duscher und Jakob Redl, die St.Pöltens Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 vorantreiben.
Die Landeshauptstadt möchte im Jahr 2024 Kulturhauptstadt Europas werden. Das Team der eigens gegründeten Bewerbungsgesellschaft von Stadt und Land arbeitet deshalb gerade an einer Kulturstrategie 2030. Ziel ist es, die Potenziale der Stadt sichtbar zu machen, sie auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. Dabei sollen die Einwohner*innen miteingebunden werden. Wie das funktionieren und was das bringen soll, wollten wir von Michael Duscher und Jakob Redl von der NÖ Kulturlandeshauptstadt St.Pölten GmbH wissen.
BIORAMA: Seit einem halben Jahr arbeiten Sie nun an St.Pöltens Kulturhauptstadt-Bewerbung. Ist das öffentliche Interesse an der Bewerbung groß?
REDL: Es ist sehr unterschiedlich. Also es ist natürlich lokal und regional schon groß, weil natürlich viele Personen und Institutionen betroffen sind. Bundesweit ist das Interesse aber noch sehr gering. Das wundert uns selbst auch sehr, gerade auch jetzt mit der österreichischen EU-Präsidentschaft.
DUSCHER: Aber hier in St.Pölten und auch in der umgebenden Region ist das Interesse schon groß. Das betrifft einerseits die Kulturschaffenden, aber gleichzeitig auch die Bevölkerung, die zu unseren Formaten kommt. Grundsätzlich herrscht eine positive Stimmung und es gibt positive Rückmeldungen zur Bewerbung. Man muss aber sagen, dass die Bewerbung am Anfang für Überraschung gesorgt hat.
Überraschung oder Skepsis?
REDL: Man muss unterscheiden zwischen den St.Pöltenern selbst, den Leuten aus dem Umland und den Leuten aus Wien. Es gibt viele St.Pöltener, die fragen, ob denn die Bewerbung überhaupt Aussicht auf Erfolg hat. Viele glauben, dass man da gegen europäische Städte antritt, und dass man ja eh keine Chance hat. Die Wiener fragen sich: Was ist denn St.Pölten? Wenn man ein bisschen diskutiert, ergibt sich aber meistens schnell der Blickwinkel, dass es an der Zeit ist, endlich mal zu zeigen, wo die Stadt steht. St.Pölten ist eine Stadt, die in den letzten Jahren wirklich deutlich an Qualität gewonnen hat, wo immer mehr Einwohner zu verzeichnen sind und wo es mehr Arbeitsplätze gibt. Deshalb auch unser Claim: Mitten in Europa, mitten im Aufbruch. Weil es eben keine Entwicklung ist, die mit der Kulturhauptstadt-Bewerbung neu einsetzt, aber bei der die Bewerbung Möglichkeiten bietet, mit einem sehr breiten Instrument Stadtentwicklungsfragen aufzugreifen. Das sehen viele Menschen positiv.
DUSCHER: Man muss auch sagen, dass viele in Wien sehr erstaunt waren, dass St.Pölten sich das zutraut. Es gibt aber auch diejenigen, die den Titel »Kulturhauptstadt Europas« sehr gut kennen, und die sagen, dass es in Wirklichkeit ein Stadt- und Regionalentwicklungsprogramm ist, das für St.Pölten genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Vieles ist im Aufbruch, vieles ist noch nicht fertig. Vieles ist noch nicht auserzählt und noch im Entstehen. Deshalb ist dieses Vehikel Kulturhauptstadt das richtige Instrument und das erkennen viele Menschen.
Wie muss man denn dieses Instrument verstehen? Ist es eher ein Showcase für Entwicklungen, die es ohnehin gibt, oder ermöglicht es Entwicklungen?
DUSCHER: Es ist auf jeden Fall das Gegenteil von einem Showcase. Wir wissen, dass 2024 sicher kein Jahr sein wird, in dem wir einen Event nach dem anderen abfackeln, und dann zieht die Karawane weiter. Das erste Kriterium der EU-Jury ist ja die Nachhaltigkeit dessen, was man als Kulturhauptstadt entwickelt. Wenn wir jetzt Sachen entwickeln würden, die nur auf das Jahr 2024 abzielen, dann hätten wir das Thema verfehlt. Insofern ist es vielmehr ein Entwicklungskonzept, bei dem wir jetzt schon merken, dass allein durch die Vorbereitung der Bewerbung unglaubliche Dinge in Bewegung geraten.
»Wir sagen: Es geht nicht darum, dass irgendwas über diese Stadt drüber gestülpt wird. Wir wollen gemeinsam mit den Personen, Vereinen, Institutionen arbeiten, die hier das Leben prägen.« – Jakob Redl
REDL: Es ist so, dass die Kriterien, die durch die EU vorgeschrieben sind, sehr vielfältig sind. Die Fragen betreffen kulturelles und künstlerisches Programm genau so wie soziale Inklusion oder die europäische Dimension. Wo sich diese Stadt in Europa verortet, ist ganz wichtig. Diese Fragen führen schon jetzt in der Bewerbungsphase dazu, dass wir mit Leuten und Institutionen sprechen, und durch diese Gespräche neue Verbindungen herstellen können, die schon vorbereitend in Projektrichtung gehen können. Wir sagen: Es geht nicht darum, dass irgendwas über diese Stadt drüber gestülpt wird. Wir wollen gemeinsam mit den Personen, Vereinen und Institutionen arbeiten, die hier das Leben prägen. Und dabei wollen wir Menschen innovativer vernetzen, um eine Entwicklung möglich zu machen, die wir als Transformation der Stadt beschreiben.
Wie sieht denn die Bewerbung ganz praktisch aus?
DUSCHER: Die Bewerbung funktioniert so, dass wir heuer zwei Aufgaben haben. Die eine Aufgabe ist es, eine Kulturstrategie »St.Pölten 2030« zu erstellen. Die zweite Aufgabe ist, dass wir ein sogenanntes »Bid Book« erarbeiten. Das müssen wir bis Ende des Jahres abgeben. Wenn wir auf die Shortlist aller österreichischen Bewerberstädte kommen, dann erfahren wir das im Februar 2019. Die Shortlist besteht aus jenen Städten, die es glaubhaft machen, dass sie die Kriterien der EU erfüllen können. Das heißt, wir treten nicht gegen andere Städte an, sondern wir treten an, die EU-Kriterien zu erfüllen. In der nächsten Phase, 2019, müssen dann die Inhalte vertieft werden. Was uns die EU nach der Bewertung unseres ersten Bid Books als Aufgabe gibt, müssen wir dann genauer ausarbeiten. Im November 2019 werden wir erfahren, wer Kulturhauptstadt Europas wird. Es wird spannend werden. Wir haben einen Prozess aufgesetzt, mit vielen partizipativen Formaten und Kulturforen. Wir geben Kulturjournale heraus und wir haben Möglichkeiten für die Bevölkerung geschaffen, uns Feedback zu geben. Es gibt die Website und Formulare, um Ideen einzubringen. Wir sprechen mit allen möglichen Akteuren, mit verschiedensten Gruppierungen – wir vernetzen uns ungemein. Ich weiß gar nicht, wie viele Gespräche wir schon geführt haben.
REDL: Es geht ums Ausfüllen eines Fragebogens, dessen Beantwortung eine Grenze kennt. Nämlich 60 Seiten – nur um das ein bisschen nachvollziehbar zu machen. Da lautet die erste Frage: Warum bewirbt sich die Stadt um diesen Titel und wie fügt sich der Titel potenziell in die weitere Entwicklung der Stadt ein? Für die Antwort hat man drei Seiten zur Verfügung. Durch die breiten Diskussionen, durch die Analysephase und durch die Kulturstrategie sind wir natürlich deutlich breiter aufgestellt als das, was in einer gefilterten oder kondensierten Form auf drei Seiten in die Bewerbung kommt. Da ist es wichtig, dass man das als großes Stadtentwicklungsprojekt sieht, bei dem alles, was wir in die Bewerbung schreiben, eigentlich nur eine Fokussierung auf genau diese Kriterien ist.
Im Marketing würde man von einem usp sprechen, den St.Pölten in seine Bewerbung einbringen muss. Was ist dieser Unique Selling Point?
REDL: Es ist gibt eine Entwicklung, die idealtypisch ist. Und zwar, dass die Grundidee zur Bewerbung aus der Zivilgesellschaft herauskam. Ich war selbst auch Mit-Initiator und Sprecher der Plattform KulturhauptSTART, die bereits 2016 begonnen hat, öffentliche Veranstaltungen zu machen und mit den Menschen darüber zu diskutieren, was so eine Bewerbung für die Stadt bedeuten kann. Die Plattform organisiert bis heute monatliche Jour Fixes, bei denen Menschen diskutieren können. Wir haben mit der Plattform auch eine Kooperation etabliert – dieser Ansatz, aus der Zivilgesellschaft heraus die Bewerbungsidee in die Stadt zu tragen, das ist schon relativ speziell. Solche Bewerbungsideen werden ja normalerweise in politischen Kreisen geboren.
DUSCHER: Ein weiterer usp ist klarerweise, dass wir sehr einhellig mit Stadt und Land zusammenarbeiten. Also unserer Bewerbungsgesellschaft gehört zu je 50 % der Stadt und dem Land. Es ist eine neue Situation, dass Stadt und Land gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Das ermöglicht vieles. In unseren Sitzungen sitzen Vertreter des Landes und der Stadt und denken gemeinsam darüber nach, was wir als nächstes machen. Das zeigt, dass die Bewerbung ein gutes Vehikel ist, um die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Ebenen zu fördern. Je weiter wir im Prozess kommen, desto deutlicher werden diese Errungenschaften.
Gäbe es die Bewerbung überhaupt ohne das Commitment der Landesregierung?
REDL: Also in der zweiten Phase wäre es ohne Land wohl sehr schwierig. Von Mitgliedern der Jury wissen wir, dass dann auch nach der politischen Unterstützung gefragt wird. Die EU hat es wohl schon erlebt, dass sie den Titel an Städte vergeben hat, die dann plötzlich nach Neuwahlen Zusagen aus der Bewerbung nicht mehr gehalten haben. Also je breiter die Unterstützung, desto besser. In St.Pölten ist die Unterstützung einstimmig, sowohl im Gemeinderat als auch in der Landesregierung. Gerade bei der Vernetzung innerhalb der Region ist die Unterstützung des Landes auch sehr wichtig, weil die Bewerbung über den Bezirk St.Pölten hinausgehen wird. Da kann man gemeinsam mit dem Land große Dinge in Bewegung setzen.
Und was sind das für Dinge?
DUSCHER: Wir sind dabei, eine Kulturhauptstadt-Region zu gründen. Es geht natürlich schon darum, dass sich St.Pölten bewirbt – aber eben unter Einbeziehung der Nachbargemeinden, des Umlandes und der Region. Wir glauben, dass eine ganz große Stärke der Bewerbung darin liegen kann, dass man das alte Stadt-Land-Thema neu auflädt und sich überlegt, wie das Zusammenwirken von Stadt und Land sein kann, am Beispiel St. Pölten und der umgebenden Region. Es ist ein ziemliches Unikat, dass St.Pölten eine durch und durch mit Kultur aufgeladene Umgebung hat. Innerhalb dieser Region wollen wir Vernetzung aufbauen.
REDL: Das betrifft auf der einen Seite Kulturinstitutionen, wie wir sie in Melk, Krems usw. vorfinden. Aber das betrifft auch kulturtouristische Ansätze, bei denen man fragt: Wie kann sich diese Region auf die europäische Landkarte setzen? Da geht es um den Kulturraum zwischen dem Alpenland, der Wachau, dem Dunkelsteiner Wald und dem Wiener Wald. Dort kann man in einer Kooperation von Stadt und Land viel besser mit Gemeinden zusammenarbeiten.
Welche Rolle spielt denn die Nähe zu Wien?
REDL: Das ist einer der zentralen Punkte unserer Bewerbung: Wir sehen St.Pölten als Modell einer europäischen Mittelstadt in einer Metropolregion. Es leben angeblich 40 % der Menschen in Europa in Mittelstädten. Und die stehen genau vor der Herausforderung, einerseits nicht Großstadt zu sein und damit nicht alles an Kultur bieten zu können, gleichzeitig aber unbedingt eine eigene Identität und ein eigenes Kulturangebot bieten zu müssen. Die Nähe zu Wien ist einerseits eine große Herausforderung, andererseits aber auch eine große Chance. So wie die Leute aus St.Pölten in 40 Minuten im Burgtheater sind, können die Wiener in 40 Minuten im Festspielhaus sein. Es kann für St.Pölten kein Ziel sein, im Speckgürtel von Wien wahrgenommen zu werden. St.Pölten braucht eine eigene Identität, die in die Region St.Pölten ausstrahlt.
DUSCHER: Wir wollen mit der Bewerbung auch dem Auseinanderdriften von urbanem und ländlichem Raum etwas entgegensetzen. Was bleibt am Land zurück, wenn immer mehr Menschen in urbane Zentren ziehen? Da soll Europa ja von unserer Bewerbung auch etwas lernen können. Jetzt geht es darum, das Konzept »St.Pölten als lebenswerte Mittelstadt in einer Metropolregion« auszuformulieren.
»Wir wollen mit der Bewerbung auch dem Auseinanderdriften von urbanem und ländlichem Raum etwas entgegensetzen. Was bleibt am Land zurück, wenn immer mehr Menschen in urbane Zentren ziehen?« – Michael Duscher
REDL: Wir werden in der Bewerbung nicht alle Fragen beantworten können. Aber wir wollen sie zumindest stellen und den Raum aufmachen für Experimente, um herauszufinden, was der ländliche Raum für die Stadt und was die Stadt für den ländlichen Raum sein kann. Land ist nicht nur Erholungsgebiet und Naturraum. Ein Beispiel: Der Markt auf dem St.Pöltener Domplatz ist höchst erfolgreich und das Spannende daran ist, dass Leute vom Land in die Stadt fahren, um in der Stadt Produkte vom Land zu kaufen. Diese Drehscheiben-Funktion wird da ganz deutlich.
Sind auch konkrete Projektideen schon ein Thema der Bewerbung?
DUSCHER: Wir haben uns natürlich mit den künstlerischen Leitern der Region in Dialog begeben und die Frage gestellt, was denn künstlerische Schwerpunkte innerhalb der Arbeitsfelder sein könnten. Wie könnte man denn Stadt-Land-Zusammenhänge thematisieren? Wie kann man eine Mittelstadt mit eigenem Kunst- und Kulturanspruch weiterentwickeln? St.Pölten hat ein überdurchschnittliches Kulturangebot. Aber ist das auch für alle verfügbar? Das ist ein großes Thema. Ziel ist, Kunst und Kultur allen zu ermöglichen und neue Zugänge zu schaffen – gerade auch für Kinder und Jugendliche.
REDL: Natürlich kann man jetzt schon träumen. Aber es gibt jetzt noch keine Projektzusagen. Einreichungen und Mittel wird es erst geben, wenn wir den Zuschlag bekommen und eine künstlerische Leitung bestellt haben. Dann wird es konkret. Aber Träumen und Visionieren soll schon jetzt dazu beitragen, unsere Grundidee voranzutreiben. Im Bid Book selbst geht es eher um eine Grundstruktur als um einzelne Projekte.
Sieht man St.Pölten mit anderen Augen, wenn man die Stadt so intensiv als Kulturstandort betrachtet?
DUSCHER: Das kann ich gut beantworten, weil ich ja nicht von hier bin. Ich habe am Anfang sehr viele überraschende Momente erlebt. Viele davon waren sehr positiv, weil ich mir gedacht habe: Wow, das gibt’s in St.Pölten? Das wusste ich überhaupt nicht. Und andererseits gab es auch Momente, in denen ich mir gedacht habe: Das hat Potenzial, das man nutzen kann. Wieso macht das eigentlich niemand? Unsere Analysen haben das dann auch oft bestätigt. Ich kannte St.Pölten anfänglich von kurzen Besuchen beim Frequency Festival oder im Sonnenpark. Ich war ja vorher bei der Festival GmbH, also beim Donaufestival und bei Glatt&Verkehrt. Da kannte ich St.Pölten auch ein wenig über die Kulturwirtschafts-Holding, die hier in St.Pölten sitzt. Aber wenn man in St.Pölten so richtig eintaucht, kann man schon so einiges entdecken. Da sind so viele Dinge verborgen, die man ans Licht bringen kann. Ich werde immer wieder überrascht und dabei bin ich schon sechs Monate involviert. Zum Beispiel das Sonnenpark-Fest letzte Woche: Wenn man zum ersten Mal das Gelände betritt, würde man sich eigentlich in Berlin oder sonst irgendwo wähnen, aber dann plötzlich hat es doch wieder etwas ganz St.Pölten-Spezifisches. Das hat schon wirklich eine tolle Atmosphäre.
REDL: Ich war lange ehrenamtlich im St.Pöltener Kulturleben aktiv, beim Verein Lames, und für mich ist es einfach wunderschön, dass man jetzt herzeigen kann, was an Potenzial und an spannender Geschichte schon da ist, aber gleichzeitig auch, was noch fehlt. Man kann jetzt die Dinge endlich einmal durchdiskutieren und die Frage stellen, wo man kulturell eigentlich hin möchte. Ich habe lange in Wien gelebt, dazwischen auch in Berlin und Bordeaux, und jetzt komme ich zurück und kann sagen: Es geht ein Ruck durch die Stadt und man nimmt die Zukunft in die Hand.
Hat dieser Aufbruch auch damit zu tun, dass sich die Rolle St.Pöltens wandelt? Immerhin ist die Stadt in den letzten Jahren viel näher an Wien gerückt und es gibt eine Menge neuer Institutionen.
DUSCHER: Natürlich spielen in der Bewerbung auch die verschiedenen Funktionen der Stadt eine Rolle. St.Pölten ist zum Teil auch einfach eine Nutzstadt. St.Pölten wird benutzt von Fachhochschülern, von Studierenden der New Design University, von Pendlern, von Schülern. Es ist schon ein Thema, dass St.Pölten nicht nur Nutzstadt sein will, nicht nur Stadt des Transits, sondern auch eine Stadt des Verweilens. St.Pölten darf nicht zum Suburb von Wien verkommen. Gleichzeitig prägt der Transit St.Pölten natürlich auch. Aber das wollen wir hinterfragen.
REDL: Wir haben uns vor kurzem mit Leuten aus Krems unterhalten und die meinten, die freie Kulturszene sei in St.Pölten weitaus aktiver als in Krems. Nun kann man sagen: Das liegt unter anderem auch daran, dass viele Menschen zwischen St.Pölten und Wien pendeln. Die studieren in Wien oder haben dort Jobs, sind aber trotzdem in St.Pölten aktiv. Das funktioniert zwischen den beiden Städten sehr gut. Die Nähe zu Wien ist aber immer dialektisch zu verstehen. Sie hat Nachteile, weil Jugendliche normalerweise mit 18 wegwollen – nach Wien zum Beispiel –, aber auch Vorteile, weil man in St.Pölten eben auch ganz andere Möglichkeitsräume vorfindet. Diese Möglichkeitsräume thematisieren wir intensiv.
Ist die Bewerbung ein Luxus, den sich eine Stadt erst einmal leisten können muss?
DUSCHER: Also je länger wir daran arbeiten, desto weniger sehen wir sie als Luxus. Wir sehen sie als Notwendigkeit. Es gibt so viele Potenziale, die wir entdecken. Allein wenn man sich Image und Identität dieser Stadt anschaut, wenn man sich anschaut, wie bekannt oder unbekannt das Kulturangebot ist, oder ob es zugänglich genug ist. Es gibt so viel zu tun, dass wir in der Bewerbung einen logischen Schritt der Stadtentwicklung sehen. Der Titel kann so viele Dinge in Bewegung bringen. Vieles ist schon vorhanden, aber noch nicht konsequent fertig gedacht. Wir haben einen Domplatz, der hauptsächlich als Parkplatz fungiert. Wir haben einen Kulturbezirk, der noch nicht mit der Innenstadt verbunden ist. Wir haben einen Klangturm, der nicht klingt. Es gibt so viele Möglichkeiten. Man muss diese Dinge jetzt einfach zu Ende denken.
»Es gibt so viele Potenziale, die wir entdecken. Allein wenn man sich Image und Identität dieser Stadt anschaut, wenn man sich anschaut, wie bekannt oder unbekannt das Kulturangebot ist, oder ob es zugänglich genug ist.« – Michael Duscher
REDL: Der derzeitige Vorsitzende der EU-Jury hat einmal gesagt, dass er im Kulturhauptstadttitel ein Stadtentwicklungsstipendium sieht, das man selbst bezahlen muss. Denn der Anteil der EU ist nicht sehr hoch. Aber das große Ziel, die EU-Kriterien zu erfüllen, entfacht eine ungeheure Energie. Das ist wirklich ein parteiübergreifendes Zukunftsprojekt, um eine Stadt zu verbessern.
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