Slow Food, Poor People – Fair. Sauber. Arm?
Arme Slow Food Produzenten. Wie kommt es eigentlich, dass sich ausgerechnet von Lebensmitteln mit besonders hoher Qualität häufig kaum Leben lässt?
Wir sind ständig auf der Suche nach traditionellen Lebensmittelhandwerkern und vorindustriellen Manufakturen. Und wenn wir sie einmal gefunden haben, werden sie hip und gehyped, bis jeder Foodie ihre Namen kennt. Besucht man sie, findet man dann oft prekäre Existenzen und Produzenten, die kaum ihre Sozialversicherungsbeiträge bezahlen können. Dafür gibt es Gründe. Auf allen Seiten.
Es ist eine kristallklare Nacht. Es ist auch klirrend kalt. Der Fasching ist vorbei, es ist eine stille Zeit im Lungau. Im Lungau ist auch der Fasching selbst nicht laut, aber die Zeit danach ist Entschleunigung bis zum gefühlten Stillstand. Eine Zeit des Verzichts und der Besinnung. Vor ein paar Jahren trafen sich die Leiter der österreichischen Slow Food-Gruppen zum Austausch. Eingeladen wurden sie vom Convivium – der Regionalgruppe – Lungau. Nach Einschätzung von Slow Food International gelten die Lungauer als „schwache Gruppe“. Weil sie nur eine Handvoll Mitglieder und wenig Ambition haben, daran etwas zu ändern. Damit begründet die– mitgliedsbeitragsabhänige – Dachorganisation ihre Einschätzung. Sieht man genauer hin, ergibt sich ein fundamental anderes Bild. Das Lungauer Convivium, so nennt Slow Food seine regionalen Gruppen, ist eine Gemeinschaft rund um die Leute vom Hiasnhof. Auf 1250 Metern über dem Meer betreibt die Familie Naynar-Lanschützer einen Bio-Bergbauernhof mit einer Ziegenherde. Die Produkte vom Hiasnhof sind handwerkliche Unikate. Rohmilchkäse in Vollendung und auf den Käse-Karten der besten Restaurants zu finden. Es gibt wenige Slow Food Aktivisten, die die Philosophie und die Idee von Slow Food derart stark und konsequent in ihr Denken und Handeln integriert haben, wie die Menschen, die im Lungau die Fahnen der Organisation hochhalten. Und das macht sie nicht zu einer ‚schwachen’ Gruppe, sonder zu einer sehr starken. Einer der stärksten, die wir in Österreich haben. Nur eben nicht in Form hoher und steigender Mitgliederzahlen.
Die Logik und die Hektik der geld- und wachstumsgetriebenen Städter sind Gunther Naynar nicht fremd. Er und seine Familie haben sich nur entschieden, bei dem Spiel nicht mehr mit zu spielen. Vor einigen Wochen wurde im Rahmen einer Charity-Veransaltung in Salzburg eine Menge Geld gesammelt, um die Arche-Projekte im Lungau zu unterstützen. Das freute Gunther Naynar zwar und brachte ihn auch zum Lächeln, nur musste der Scheck auch abgeholt werden. Also eine Stunde nach Salzburg fahren, auf die Bühne steigen, in Kameras grinsen, wieder zurück. Das muss wirklich nicht sein. Zum Glück fand sich dann doch jemand aus der Gruppe – und der Scheck konnte übergeben werden.
An jenem Winterarbend waren die österreichischen Convivienleiter zum Essen eingeladen. Solche Abende gibt es regelmäßig. Normalerweise enden sie mit einem mehrgängigen Menü mit Weinbegleitung. Im Lungau gab es eine Fastenspeise. Und Quellwasser. Es war ein wunderbarer Abend.
Kurse und Workshops als Einkommensquelle
Szenenwechsel ins südliche Weinviertel. An den Hof von Isabell und Christoph Wiesner. Die beiden betreiben mit ihren vier Kindern ein kleines Selbstversorgerparadies. Kern des Hofs ist eine stattliche Mangalitza-Herde, darüber hinaus laufen herum: unzählige Hühner, Puten, Wachteln, Aylesbury-Enten, Gänse, ein paar Pferde und einen Hund. Die Wiesners haben sich in Österreich, aber auch (und vor allem) international als die Top-Experten für rote, blonde und schwalbenbäuchige Mangalitza-Schweine etabliert. In Österreich und mittlerweile auch in Deutschland ist das Interesse der Medien groß, die Geschichte der außergewöhnlichen Familie zu erzählen. Aus USA, Kanada oder England kommen eher Anfragen nach professionellen Schlacht- und Verarbeitungsseminaren. Auch in Österreich bieten die Wiesners Kurse an, in denen der Ablauf einer Hofschlachtung gezeigt wird. Der Ablauf ist dabei etabliert und – prozessbedingt – immer gleich. Kurze Einführung, Bolzenschuss, Stich, Ausnehmen, grob Zerlegen, Kochen. Auch diese Seminare sind mittlerweile gut besucht.
Während des Kurses wird Christoph Wiesner nicht müde, auf die negativen Aspekte industrieller Fleischproduktion hinzuweisen. Schnelles Wachstum, unkontrollierte Fütterung, Stress beim Transport ins Schlachthaus und beim Schlachten selbst. In der Tat hat mein bei ihm das Gefühl, als würden sowohl bei ihm, wie auch beim Tier jeglicher Stress kurz vor dem Schuss abfallen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hören zu. Meist etwas betroffen, weil sie den Übergang von „so lieb“ zu „so gut“ noch nie so nah miterlebt haben. Aber sie hören zu. Nicken verständig, nachdenklich. Man könnte wirklich meinen, die Landkarten in den Köpfen seien in Bewegung, es könnte sich etwas ändern. Zu Hause erzählen sie dann vom Erlebten. Vielleicht auch davon, was Christoph gesagt hat. Eventuell hat der eine oder andere sogar ein Stück Fleisch mitgenommen. Den Schopf oder die Schulter. Quasi Beute.
Geändert hat sich aber nichts. Nicht für die Wiesners. Vielleicht achten ehemalige Teilnehmer sogar darauf, sich nicht von den Sonderangeboten im Fleischregal des Supermarkts verführen zu lassen. Vielleicht gehen einige sogar öfter zum Fleischer oder kaufen Bio-Fleisch. Das ist alles sehr begrüßenswert. Dass auch nach dem Schlachtkurs in Wischatal Produktke von Isabell und Christoph gekauft werden, ist höchst selten und führt dazu, dass die beiden einen (zu) hohen Anteil ihrer Einnahmen aus Dienstleistung und nicht aus dem Verkauf ihrer Produkte erzielen.
Wenn der Heimatmarkt vom Preis überfordert ist
Die dritten im Bunde sind wieder Käser und ihr Beispiel zeigt, dass der größte Hype nichts nützt, wenn die Produktionskosten so hoch sind, dass der regionale Heimatmarkt mit dem Endkundenpreis überfordert ist. Da kann noch so viel in die urbanen Zentren oder gar nach Dubai exportiert werden, wenn es im Dorf nicht klappt, klappt es gar nicht. Die Rede ist hier vom Haidacherhof im Tiroler Alpbachtal. Ein Paar hat sich hier mit einer Herde Toggenburger Ziegen selbständig gemacht und innerhalb kurzer Zeit dem Tiroler Käsemarkt einige der besten Bio-Ziegenrohmilch-Käse-Sorten ins Regal gestellt. Am herausragendsten dabei waren entweder die ganz frischen Produkte, wie klassischer Ziegenfrischkäse und Labneh, aber auch die extrem gereiften Käsesorten, wie der Toggenburger, der, im Felsenkeller gereift, eine ambitioniert-wilde Oberfläche aufweist und sogar für manchen ausgewiesenen Käse-Fetischisten eine veritable Herausforderung darstellt. Kurzum, die Produkte waren grandios, aber sauteuer.
Exportförderung und Messe-Teilnahmen in Dubai führten dazu, dass einige der Produkte in Bio-Läden in den Arabischen Emiraten angeboten wurden. Die Logistik dafür war alledings hemdsärmelig. Einmal im Monat ging eine Palette eines bestimmten Tiroler Mineralwassers nach Dubai. Thomas Eberharter kümmerte sich darum, dass auf diese Palette auch sein Käse gepackt wurde, der damit – mit dem Land Rover Defender nach München gebracht – huckepack in den Golf flog. Versuche, die Tirolerinnen und Tiroler vom rustikalen Käse zu überzeugen, scheiterten. Das Paar versuchte sogar einen kleinen Käse- und Spezialitätenladen am Wiltener Platzl in Innsbruck zu betreiben. Keine Chance. 30 Euro für einen Hartkäse, noch dazu mit einer kraterzerfurchten Oberfläche, das war den Mandern aus dem heiligen Land zuviel.
Der Betrieb musste schließen.
Dass es in unserer Gesellschaft angesagt ist, über nachhaltige Produktionsweisen und die Hersteller bescheid zu wissen, ist – prinzipiell – eine gute Sache. Noch besser wäre die Sache, wenn der Hype auch dazu führte, dass die Produkte auch gekauft und konsumiert werden.